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Ausgabe:

Oktober/1998

Spalte:

1039–1041

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schirmer, Helmut

Titel/Untertitel:

Volksschullehrer zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Der Untergang des evangelischen Religionsunterrichts an den Volksschulen in Oldenburg während des Nationalsozialismus

Verlag:

Oldenburg: Isensee Verlag 1995. VIII, 336 S.1 Kte gr.8 = Oldenburger Studien, 35. Kart. DM 28,-. ISBN 3-89598-270-9.

Rezensent:

Folkert Rickers

Die in den letzten Jahren häufiger begegnende Pointierung in Buchtiteln "(zwischen) Kreuz und Hakenkreuz" weist auf eine neue Forschungskonstellation der Kirchlichen Zeitgeschichte hin. Mit ihr wird zum Ausdruck gebracht, daß es nicht länger hinzunehmen ist, wenn Ereignisse, Personen und Personengruppen in der Zeit des Dritten Reiches vornehmlich nach ihren kirchlichen Beziehungen untersucht werden, wie es in der Kirchenkampfforschung in der bloßen Gegenüberstellung von Bekennender Kirche und Deutschen Christen jahrzehntelang üblich war. Denn dadurch können die politischen Implikationen (und Belastungen) kirchlicher Arbeit leicht aus dem Blick geraten. Die Kirchliche Zeitgeschichte stellt sich mehr und mehr der Tatsache, daß auch bei dogmatisch korrekt denkenden Christen die Zustimmung zum Nationalsozialismus und die Bereitschaft zur Mitarbeit erheblich größer waren, als bisher durch die Forschung bewußt gemacht worden ist.

Diesem allgemeinen Trend ist auch die Oldenburger Dissertation H. Schirmers von 1994 verpflichtet. Allerdings wird dieses Interesse methodologisch leider nicht weiter reflektiert, wie überhaupt auf methodologische Überlegungen ganz verzichtet wird. Die Stärke der Arbeit liegt denn auch mehr in der Entdeckung der Quellen, in ihrer präzisen Auswertung und in der materialreichen wie detailgenauen Darstellung der Vorgänge um den evangelischen Religionsunterricht in dem ehemaligen kleinen Freistaat Oldenburg (Oldb).

Der Autor geht dabei der allgemeinen These nach, daß durch die Religions- bzw. Entkonfessionalisierungspolitik der nationalsozialistischen Regierungen in den Ländern des Deutschen Reiches der konfessionelle Religionsunterricht bis auf milieubedingte Ausnahmen (z. B. Oldenburger Münsterland) sehr bald zum Erliegen kam (vgl. J. Conway, Die nationalsozialistische Kirchenpolitik, 1969, 194-211). In ihr realisierten sie auf dem Gebiet der Erziehung eine Politik, die auf die Ausschaltung aller Religion, hauptsächlich natürlich der christlichen, aus dem öffentlichen Leben abzielte, weil das Christentum mit dem Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus rivalisierte. Während Sch. diesen reichsweiten religionspolitischen Aspekt allerdings eher peripher berücksichtigt, arbeitet er um so eindringlicher heraus, wie in Oldenburg das Zusammenspiel zwischen Minister Pauly, Ministerialrat Heering und den Nazi-Schulräten funktionierte.

So wurden bereits 1936 in einem neuen Schulgesetz die Mitwirkungsrechte der Kirche für den Religionsunterricht erheblich eingeschränkt (119 ff.). Dabei hatte die Behörde relativ leichtes Spiel, weil sie einem schwachen Oldenburger Oberkirchenrat gegenüberstand, der sich wegen seiner deutschchristlichen Ausrichtung politisch selbst blockierte. Sch. stellt zu Recht die Ohnmacht dieses Gremiums heraus, die erheblich zum Untergang des Religionsunterrichts beitrug. Schließlich, als der Unterricht vollends daniederlag, hat sich die Landeskirche kaum noch um ihn gekümmert. Vor allem aber hat die Behörde dem Treiben des NSLB in Oldenburg einigermaßen tatenlos zugesehen, ja es sogar begünstigt, der schon 1936 seine Mitglieder dazu aufrief, aus der Kirche auszutreten und den Religionsunterricht niederzulegen. Diesem Aufruf folgten viele. 1937 war die Lage bereits katastrophal. Sie verschärfte sich aber noch durch einen Umstand, dem Sch.s eigentliches Interesse gilt. Denn die Kirchenaustritte und Niederlegungen des Religionsunterrichts entsprachen im wesentlichen dem weltanschaulichen Bewußtsein der Lehrerinnen und Lehrer. Noch geprägt von kirchlicher und dogmatisch intendierter Aufsicht der Kirche über den Unterricht in der Weimarer Republik und in weltanschaulicher Hinsicht überwiegend völkisch-national eingestellt, kam ihnen die neue Lage außerordentlich gelegen. Das allgemeine Vordringen der Säkularisation tat das ihre. Und diejenigen, die noch am Religionsunterricht festhielten, wollten ihn im Sinne völkischer Religiosität erteilen. Und so haben sie es praktiziert, wie Sch. auch mit aufschlußreichen Unterrichtsbeispielen belegen kann.

Diese Entwicklung war ganz im Sinne des Gauleiters und Ministerpräsidenten Carl Röver, der ein enger Bekannter Rosenbergs war. Es ist bedrückend nachzulesen, daß es, als sich ihnen die politische Gelegenheit bot, vor allem die Lehrerinnen und Lehrer selbst waren, die den Religionsunterricht äußerlich und innerlich zerstört haben. Allerdings: Wer will ihnen ihr Verhalten vorhalten, wenn man bedenkt, daß sie in der Weimarer Republik, um überhaupt das Lehramt ergreifen zu können, zwangsläufig genötigt waren, Religionsunterricht in kirchlich-dogmatischen Sinne zu erteilen? Sch. zeichnet auch diese Geschichte aus den Quellen ausführlich nach (9 ff.). Sie ist leider kein Ruhmesblatt für die Oldenburgische Kirche. Für die jahrzehntelangen Wünsche der Lehrer nach einer Reform des Religionsunterrichts nach pädagogischen Maßstäben hatte sie sich kaum aufgeschlossen gezeigt. Ähnliche Studien, die darauf abzielen, das religiöse und politische Bewußtsein der Volksschullehrer seit 1933 zu erhellen, wünschte man sich auch aus anderen Ländern des Deutschen Reiches. Nur einzelne Volksschullehrer haben in Oldenburg am evangelischen Religionsunterricht festgehalten (248 ff). Namentlich behandelt und damit im Sinne oppositionellen Verhaltens ausgezeichnet werden die Lehrer Kurt Wolffram und Karl Prelle. Ihre ausgiebige Würdigung durch Sch. ist auch aus methodologischen Gründen interessant.

Beide waren sie Mitglieder der Bekennenden Kirche und standen als solche natürlich dem weltanschaulichen Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus ablehnend gegenüber. Sch. will sie zwar nicht als "politische Widerstandkämpfer" sehen, aber doch als "Ev. Religionslehrer im Widerspruch", "im Widerspruch zu den Auffassungen ihres Dienstherrn" (248), als solche, "die ihren evangelischen Glauben profiliert vertraten" (252). Weiter wird ihnen "Zivilcourage" bescheinigt (248), sowie in einem konkreten Fall "ein gehöriges Maß konspirativen Verhaltens" (258). Das sind ziemlich ungenaue Einschätzungen, die mit dem gegenwärtigen Stand der Widerstandsforschung nicht abgeglichen sind. Denn so weit die von Sch. gebotenen Quellen ausweisen, befand sich Wolffram lediglich in einem religiösen Konkurrenzkampf mit den Völkischen. Der Widerspruch reduziert sich damit auf eine Religions- bzw. Glaubensfrage. Von einem prinzipiellen Widerspruch gegen den "Nationalsozialismus", wie ihn Sch. mindestens vorsichtig avisiert, ist indessen nichts erkennbar.

Nicht anders verhält es sich bei Prelle. Dieser geht sogar wie viele andere davon aus, daß christliches Bekenntnis und Frömmigkeit mit dem Nationalsozialismus durchaus harmonieren können, wenn man letzteren nicht als Religion ansieht. Die diesbezüglichen Äußerungen Prelles (273, Fußn. 162) sind anders, als Sch. annimmt, doch wohl als bare Münze zu nehmen. Aber sie passen nicht in das Erklärungsmuster des Autors und werden von ihm deshalb als bloße strategische Aussagen in einer existentiellen Drucksituation gewertet. Nun hat sich Prelle mit dem Artikel "Landschulleben" allerdings selbst und aus freien Stücken in die "Deutsche Erziehung im neuen Staat" (hrsg. v. Friedrich Hiller, Langensalza u. a. 1934, 122-129; 21936) eingereiht, eine Arbeit, die Sch. bibliographisch nicht erfaßt hat. Prelle hat seinen Beitrag in der 2. Auflage auch nicht zurückgezogen, was immerhin möglich gewesen wäre, wie das Beispiel eines katholischen Mitautors beweist.

Der Verdacht, daß Volksschullehrer in der Geschichte immer besonders willfährige politische Stabilisatoren gewesen sind, erfährt durch Sch.s Untersuchung eine geradezu deprimierende Unterstützung und wird durch die scheinbar "oppositionellen" Beispiele Wolffram und Prelle nicht wirklich relativiert. Denn auch ihr biblisch begründetes Bekenntnis hat nicht einmal im Ansatz kritisches politisches Vermögen ausgelöst. Ein "evangelisch-christlicher, biblisch fundierter Religionsunterricht" garantiert eben allein noch nicht Widerständigkeit gegen Ideologien (wie Sch. sich mindestens mißverständlich ausdrückt; 318f.), weil dieser ohne ideologiekritische Durchdringung selbst unter Ideologieverdacht steht. Von einem kritischen Vorhalt, der irgendeine politische Bedeutung gehabt hätte, kann aber bei den beiden Lehrern nicht die Rede sein. Sie haben rein formal gesehen Ideologie gegen Ideologie, Religion gegen Religion und Glaube gegen Glaube gesetzt - nicht mehr, mag hier und dort auch Politisches mitgeschwungen haben.

Erstaunlicherweise nennt Sch. durchgehend die vielen Namen der handelnden (und eben belasteten) Lehrer und Lehrerinnen erklärtermaßen nicht (bis auf die Namen der "guten", d. h. der bekennenden: Wolffram, Prelle, Andoleit). Man solle sie eben nicht als Subjekte (die auf ihre Verant wortlichkeit anzusprechen wären!), sondern als "Gruppe" wahrnehmen. Das macht aber überhaupt keinen Sinn und erschwert den weiteren Umgang mit dem Buch erheblich. Denn die Lehrer und Lehrerinnen haben an ihren Schulen selbstverständlich als Subjekte agiert; als Gruppe mit eigenem Profil sind sie so gut wie gar nicht in Erscheinung getreten. Daß der Arbeit darüber hinaus ein Personenregister fehlt, ist im elektronischen Zeitalter ärgerlich.