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Ausgabe:

Dezember/2002

Spalte:

1345–1348

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Klueting, Harm

Titel/Untertitel:

Öffentliche Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung im Ehrenamt. Laienprediger - Prädikanten - Predigthelfer - Ältestenprediger - Lektoren in den Gliedkirchen der EKD.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2002. 224 S. 8. Kart. ¬ 22,00. ISBN 3-17-017208-5.

Rezensent:

Reiner Marquard

Den Gliedkirchen der EKD stehen enorme Hausarbeiten bevor. Der protestantische Flickenteppich wird zusammengehalten durch das verbindende Gewebe reformatorischen Erkenntnisgewinns. Da, wo dieses Gewebe auf seinen wahren Erkenntnisgewinn hin beansprucht wird, zeigen sich Risse.

Es geht um nicht weniger als um die Re-Formulierung des urevangelischen Begriffs vom Allgemeinen Priestertum. Es geht um eine Re-Lektüre lutherischer Schriften, in denen Luther das Grundanliegen der Reformation entfaltet hat. Die evangelischen Kirchen stehen vor der Herausforderung, das, was sie als wahr bekennen, strukturell wirklich werden zu lassen.

Harm Klueting, Historiker und Kirchenhistoriker, entfaltet die Geschichte ehrenamtlicher Wortverkündigung als eine Geschichte von Widerstand und Ergebung gegenüber der auch in der Evangelischen Kirche dominanten klerikalen Bestimmung des Verkündigungsgeschehens (1. Klerus und Laien, Allgemeines Priestertum und Ehrenamt; 2. Allgemeines Priestertum bei Luther und in der Reformation; 3. Das ordinierte Amt nach CA V und XIV und bei Luther und Calvin; 4. Geschichtliche Entwicklung und Formen des Laienpredigertums im und am Rande des deutschen Protestantismus seit der Reformation: radikale Reformation, Spener und Zinzendorf, Wichern, Evangelische Gemeinschaft, Landeskirchliche Gemeinschaftsbewegung, Bekennende Kirche und Zweiter Weltkrieg, Institutionalisierung der Laienpredigt in den Gliedkirchen nach 1945).

Die Geschichte der ehrenamtlichen Verkündigung und Sakramentsverwaltung - obwohl im reformatorischen Taufverständnis wurzelnd - nimmt ihren Weg jeweils zwischen den verlockenden Alternativen von Antiklerikalismus und Antiintellektualismus, Herzensfrömmigkeit und Antiinstitutionalismus. Die Verlockungen erschöpfen den einstmals guten Gedanken - sie machen ihn stumpf. Dass der Gedanke des Allgemeinen Priestertums aus den protestantischen Gebilden nicht völlig auswanderte, verdankt er dramatischerweise der besonderen Herausforderung der Bekennenden Kirche. K. recherchiert auf wenigen Seiten (35-41) die bedrückende Geschichte der Nothelfer von 1935 und der Lektoren und Predigthelfer von 1939-1945. Er ermittelt die unscheinbaren Daten und erinnert an vergessene Namen. Was Verkündigung und Ordination bedeuten, das ist hier wieder neu zu lernen.

"Nach dem Ende der NS-Herrschaft, des Zweiten Weltkrieges und des Kirchenkampfes, nach der Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse ... und nach der Normalisierung der Lebensverhältnisse in dem seit 1949 staatlich zweigeteilten Deutschland westlich der Oder-Neiße-Linie konnte man in den evangelischen Landeskirchen hinsichtlich der Laienpredigt nicht zu dem Stand vor dem Kirchenkampf zurückkehren" (42). Die vorsichtige Formulierung K.s bedeutet dechiffriert, dass die einzelnen Landeskirchen den Gedanken des Allgemeinen Priestertums theologisch und kirchenrechtlich höchst unterschiedlich in ihre Kirchenstrukturen integriert haben. Im 5. Kapitel (Formen und kirchenrechtliche Ausgestaltung der öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung im Ehrenamt in den deutschen evangelischen Landeskirchen der Gegenwart) werden die Regelungen und Zuständigkeiten, Pflichten und Kompetenzen synoptisch aufgeführt. "Die Evangelische Kirche der schlesischen Oberlausitz, der Rest der nach 1945 bei Deutschland verbliebenen schlesischen Kirche der Lektoren, kennt keine Ordnungen für Laienprediger, Prädikanten oder Lektoren" (46), so dass die übrigen 23 Landeskirchen nach folgenden Gesichtspunkten zur öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung im Ehrenamt vorgestellt werden: a) Amtsbezeichnung, Aufgaben und Recht, b) Ordination, Einführung und Bevollmächtigung, c) örtliche und zeitliche Begrenzungen des Ehrenamts der öffentlichen Wortverkündigung, d) der Talar, e) theologisch-kirchenrechtliche Begründung der Laienpredigt und der öffentlichen Wortverkündigung im Ehrenamt, f) Verfahren zur Beauftragung und Voraussetzungen, g) Ausbildung und Fortbildung, h) Übernahme in eine andere Landeskirche, i) Verbindung zur Ortsgemeinde.

Natürlich darf man eine solche synoptische Erhebung nicht überbewerten. Die lesbaren Texte unserer Kirchenordnungen sind schließlich immer noch die Frauen und Männer, die in unseren Kirchen Haupt- und Ehrenämter ausüben. Aber umgekehrt sind doch die Rahmenbedingungen nicht unerheblich, in, mit und unter denen sich Entfaltungsräume erschließen oder verhindert werden. K. verzichtet klugerweise auf das modische Gehabe einer Ranking-Liste. Die Unterschiede innerhalb der EKD sind mitunter sehr deutlich und bleiben zum Teil weit hinter den reformatorischen Standards zurück. Ordnungen z.B., in denen einerseits die Wortverkündigung geregelt, die Sakramentsverwaltung aber nicht gestattet ist, sind mit der reformatorischen Inbeziehungsetzung von Wort und Sakrament überhaupt nicht nachzuvollziehen (uneingeschränkt vorgehalten wird diese Inbeziehungsetzung nur in Baden, Hessen-Nassau, Oldenburg und der Ev.-Ref. Kirche).

Woher und wohin das Herz des Autors schlägt, erweist das 6. Kapitel über aktuelle Reformüberlegungen: Ohne eine Neubesinnung auf den Begriff des Allgemeinen Priestertums kann es nicht gelingen, den Dienst ehrenamtlicher Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung ekklesiologisch angemessen zu bestimmen. Das Amtsverständnis der Evangelischen Kirche kennt keine klerikale Ableitung; "nach den Maßstäben des katholischen Kirchenrechts - auch noch von 1983 - ist jeder evangelische Pfarrer und jeder (deutsche) evangelische Bischof ein Laienprediger" (21). Die, die nach CA V in unseren Kirchen das Predigtamt ausüben sind getaufte Gemeindeglieder. "Die Taufe ist Ordination zum Verkündigungsamt" (Markus Barth, WuP 9/68, 376). Die befähigten Gemeindeglieder werden zum Dienst der Verkündigung ordiniert. Die Ordination geschieht in der Regel in ein Hauptamt, sie geschieht aber auch in das Ehrenamt. Pfarrer und Prädikanten sind nicht geweiht, sie sind beauftragt. Alle von K. vorgetragenen Reformüberlegungen basieren auf diesem Erkenntnisgewinn und müssen sich von daher auf weitere Dringlichkeiten befragen lassen (Dienstgemeinschaft, Aus- und Fortbildung, Begrenzungen und Befristungen, Talarfrage etc.). Die Reformbestrebungen müssen deshalb vorwiegend in drei Richtungen gehen:

1. Das Ordinationsverständnis gehört insofern auf den Prüfstand, als im Verkündigungsdienst irreführend zwischen Ordination (hauptamtlich) und Beauftragung (ehrenamtlich) unterschieden wird.

2. Die Sakramentsverwaltung ist integraler Bestandteil des Verkündigungsdienstes und kann deshalb nicht limitiert werden auf die, die zur Erarbeitung einer selbstverfassten Predigt beauftragt sind.

3. Die Unterscheidung zwischen Lektoren- und Prädikantendienst innerhalb der ehrenamtlichen Verkündigung ist von der Amtsbezeichnung Lektor her aufzugeben (es gibt keine Predigten 1.oder 2. Ordnung). Das neue Evangelische Gottesdienstbuch gewichtet das Amt des Lektors im klassischen Sinne neu (Lesung im Gottesdienst) und legt von daher auch eine Niederlegung dieses Begriffes für den ehrenamtlichen Verkündigungsdienst nahe. K. schlägt als neue einheitliche Amtsbezeichnung Prediger(in) im Ehrenamt (i. E.) oder Pastor(in) im Ehrenamt (i. E.) vor. Hier ist zu fragen, ob nicht die klassische Bezeichnung Prädikant(in) die Unterscheidung (nicht Trennung!) zum hauptamtlichen Dienst aufnimmt (ohne eine geordnete theologische stetige Kultur wäre das Ehrenamt der Verkündigung überfordert) und dennoch die gemeinsame Aufgabenstellung nach Jes 52,7 (Vulgata: praedicare) angemessen bestimmt. Bei gleicher Amtsbezeichnung können aus guten Gründen unterschiedliche Ausbildungsgänge vorgehalten werden (so nach dem jüngst in Baden verabschiedeten Prädikantengesetz vom April 2002).

Das Buch von K. ist außerordentlich verdienstvoll, weil es profund und präzise theologisch und kirchenhistorisch der Evangelischen Kirche eine Themenstellung entfaltet, an der sie sich zu bewähren haben wird. Kirchensoziologische Erhebungen zur Bedeutung des Ehrenamtes in der Kirche verstärken K.s (kirchen-) historisch und systematisch-theologisch orientierte Studie: Prädikantinnen und Prädikanten sind gewollte Grenzgänger(innen) zwischen dem Milieu der Gemeinde und den Milieus der Mit- und Umwelt. Prädikantinnen und Prädikanten beeinflussen auf diese Weise die theologische Grammatik der Kirche. Auch unter dieser Perspektive ergeben sich unabweisbare Bedeutungszuwächse dieses Ehrenamtes im Zentrum der Kirche. Die Gesetze zum ehrenamtlichen Verkündigungsdienst unserer Landeskirchen (das Buch enthält in der Anlage sämtliche in der EKD relevanten Gesetzes- und Verordnungstexte!) sind ein Spiegelbild dafür, welche Begabungen die Kirchen gerne intra muros hätten oder lieber extra muros belassen. Den Vorteil haben augenblicklich die Landeskirchen, deren Regelungen weniger restriktiv sind. Das Buch evaluiert nicht die unterschiedlichen Ausbildungskulturen der Landeskirchen (Verordnungen sind nur Indikator für eine gewollte Systempflege). Auch hier gelten höchst unterschiedliche Standards. Die EKD wäre gut beraten, für die Aufgabe der öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung im Ehrenamt eine(n) Beauftragte(n) zu benennen, um notwendige Reformvorhaben zu koordinieren und im ökumenischen Diskurs angemessen zur Sprache zu bringen.