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Ausgabe:

März/1999

Spalte:

272–274

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Zapff, Burkard M.

Titel/Untertitel:

Redaktionsgeschichtliche Studien zum Michabuch im Kontext des Dodekapropheton.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1997. XII, 331 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 256. Lw. DM 184,-. ISBN 3-11-015764-0.

Rezensent:

Rainer Kessler

Z.s Freiburger Habilitationsschrift gehört zu der größer werdenden Reihe neuerer Arbeiten, für die Redaktion in den Prophetenbüchern sich nicht auf die Sammlung und Zusammenstellung von Texten beschränkt, sondern gestaltende Fortschreibung vorgegebener Textkorpora unter Hervorbringung größerer eigener Texteinheiten meint. Unter dieser Voraussetzung untersucht Z. zunächst ausführlich die Redaktion des Michabuches (4-240), um dann - wesentlich knapper - die redaktionelle Fortschreibung im Michabuch (FSM) mit der Redaktion des Dodekapropheton in Beziehung zu setzen (241-297).

Da es für die Frage nach den späteren redaktionellen Überarbeitungen im Blick auf das Zwölfprophetenbuch nicht nötig ist, den gesamten Micha zu analysieren, beschränkt Z. sich sinnvollerweise auf die heilsprophetischen Texte Mi 2,12 f.; 4/5 und 7,7(8)-20 (11). Aus diesen Texten wählt er noch einmal diejenigen aus, die sich durch das Thema des Restes als eigene Gruppe abheben, nämlich 2,12 f.; 4,6 f.; 5,6 f. und Kap. 7 (wegen V.18), um von ihnen aus die Schlußredaktion des Michabuches in den Blick zu nehmen (13). Diese "Einzeluntersuchung" nimmt denn auch den Hauptteil seines Buches ein (15-240).

Zu Mi 2,12 f. (15-40), die er als literarisch einheitlich bestimmt (27), hebt Z. die zahlreichen Querbezüge heraus, die dieser Text nicht nur innerhalb von Micha, sondern darüber hinaus zu den Väter- und den Exodusüberlieferungen hat. Er versteht die Verse "als einen für diesen heutigen Ort im Michabuch komponierten redaktionellen Text" (39), wobei er den meines Erachtens wichtigsten konzeptionellen Bezug gar nicht erwähnt, daß sich nämlich die "Sammlung" von 2,12 auf die "Verbannung" von 1,16 und die "Vertreibung" von 2,9 zurückbezieht.

Auch in 4,6 f. findet Z. von ihm "schriftgelehrt" genannte Anspielungen an die Väter- und Exodusüberlieferung sowie Bezüge zum übrigen Michatext. Deshalb nimmt er nun von 4,6 f. die Redaktionsgeschichte von Mi 4 insgesamt in den Blick. Als Kern bestimmt er 4,9 f.14, die ursprünglich direkt an Mi 1-3* anschlossen und den alten Text auf die Situation im 6. Jh. aktualisierten. Sie wurden zunächst um die Heilsperspektive in V.10* und dann um V.11-13 erweitert. Diesen Text, also V.9-14, findet der Verfasser von 4,6 f. vor und ergänzt ihn um den Text von der Völkerwallfahrt zum Zion, den er aus Jesaja entnimmt und selbständig erweitert. So umfaßt Mi 4 auf dieser Redaktionsebene - es ist die FSM genannte Hauptredaktion in Micha - V.1-4.6 f.9-14.

Auch 5,6 f. bestimmt Z. dann als "schriftgelehrte Prophetie", die "auf dieselbe redaktionelle Ebene wie Mi 2,12 f. und Mi 4,6 f. zu stellen ist" (105). Wenn er als Gemeinsamkeit dieser Texte neben dem "Rückbezug auf die Jakobstradition" - ob er immer so klar ist, wie Z. meint, wird man bezweifeln dürfen - "die in allen drei Texten anzutreffende Restvorstellung" ausmacht (106), dann liegt allerdings ein klassischer Zirkelschluß vor, war doch das Thema "Rest" gerade Auswahlkriterium dieser Texte (13). Die von V.6 f. aufgerollte Redaktionsgeschichte von Kap. 5 bezeichnet Z. als "äußerst komplex" (123): Kern sind V.5,9b-12(13). Sie werden vom Verfasser von 5,6 f. um V.8.9a.14 erweitert, so daß FSM neben den Texten aus Kap. 4 also 5,6-14 umfaßt. In drei weiteren Redaktionen kommen noch 5,4b-5a, 5,1.3a.5b und schließlich 5,2 hinzu.

Am unkonventionellsten und vorwärtstreibendsten ist Z.s Analyse von Mi 7 (128-236). Hier findet er - entgegen der in der Literatur üblichen Zerstückelung des Kapitels - überhaupt nur zwei Einheiten: Mi 7,1-4a.5 f. und Mi 7,4b.7.8-20, wobei "Mi 7,4b.7-20 eine in Abhängigkeit nicht nur zu Mi 7,1-4a.5 f., sondern auch zu einem in beträchtlichen Teilen bereits vorliegenden Michabuch stehende Fortschreibung darstellt" (222). - Nachdem so die "redaktionelle Fortschreibung (FSM) im Michabuch" bestimmt ist - sie umfaßt bis auf 4,5.8; 5,1-5 den gesamten Michatext (Übersicht 296 f.) -, kann kurz ihre "Sachkontur und Intention" (237) zusammengefaßt werden. Sie schlägt sich in der Schaffung der schon oft beobachteten zwei Zyklen nieder, Kap. 1-5 und Kap. 6 f., die jeweils wieder durch die Abfolge von Unheil und Heil geprägt sind. "Zusammenfassend läßt sich damit sagen, daß der von FSM geschaffene erste Zyklus Mi 1,1-5,14 die Abfolge zwischen Gericht und Heil schildert, die nicht nur die Rekonstitution Zions, sondern auch die Einbeziehung der Völker in das Heilswirken Jahwes zum Thema hat. Im zweiten Zyklus geht es hingegen um die Frage, wie das desolate Zion durch die Rezeption des prophetischen Wortes die weltverändernde Kraft der Wundertaten Jahwes erfahren kann und darin Vergebung der Schuld empfängt" (240).

Im einzelnen wird man mit Z. um manche exegetische Entscheidung streiten können. Wichtig ist sein Grundansatz, daß er in einer Reihe von Texten Fortschreibungen nachweist, die sich auf ein vorgefundenes Textkorpus beziehen und dieses in ein neues Licht rücken. So überzeugend Z. hier arbeitet - also bei den von ihm im Detail untersuchten Texten 2,12 f.; 4,6 f.; 5,6 f. und Kap. 7 -, so problematisch wird es, wenn er von da die übrigen Heilstexte in den Blick nimmt. Da verfällt er wieder in exzessive Literarkritik, die er in der Regel nicht selbst erarbeitet, sondern dem consensus omnium entnimmt. Hindert ihn kein Sprecher-, Tempus-, Perspektiv- und Themawechsel daran, den Michaschluß 7,8-20 für literarisch einheitlich zu halten - meines Erachtens völlig zu Recht -, so genügen ihm zur Zuweisung von 5,2 zu einer eigenen Redaktionsschicht zwei Zeilen ("allem Anschein nach ein späterer Nachtrag", 109). Auch wird man fragen müssen, ob ein in der Tat ja "bunter" Text wie Mi 4 und 5 nur durch diachrone Schichtung erklärbar ist, oder ob man nicht auch damit rechnen muß, daß sich hier der Diskurs einer Gruppe von Prophetinnen und Propheten (ich denke etwa an Gruppen, wie sie Neh 6 erwähnt) niederschlägt, die sich bei einer grundsätzlichen Übereinstimmung durchaus unterschiedlich äußern können.

Von FSM ausgehend wendet sich Z. abschließend der Redaktion des Dodekapropheton zu, wobei besonders die Gruppe Jona- Micha - Nahum in den Blick kommt. Dieser Komplex beschäftigt sich "besonders mit dem Verhältnis Israels zu den Völkern, bzw. den Völkern zu Jahwe" (273). Dabei erzählt Jona die Bekehrung Ninives, während Nahum das Gericht über Ninive ankündigt. FSM vermittelt nun dergestalt, daß sie differenziert zwischen Völkern, die sich zu Jahwe bekehren, und solchen, die dies nicht tun und die dann ein entsprechendes Schicksal erleiden. Literarisch ist FSM neben Micha auch in der Überarbeitung des Akrostichons Nah 1,2-8 wie in der Einfügung des Jona-Psalms zu finden. Insgesamt ist diese Bearbeitungsschicht "in die Mitte des 3. Jh.s" zu datieren (292), wofür freilich zuvor ein Geflecht literarischer wie sehr allgemein bleibender geistesgeschichtlicher Voraussetzungen akzeptiert werden muß.

Insgesamt werfen die Ausführungen zur Redaktionsebene des Zwölfprophetenbuches mehr Fragen auf, als sie lösen. Dies ist beim gegenwärtigen Forschungsstand allerdings unvermeidlich, und Z. weiß das auch und stellt deshalb gleich die weiterführenden Fragen (277-279.294 f.). Zu ihrer Beantwortung wird man in der Analyse einzelner Prophetenbücher im Zwölferbuch, in der Analyse von Buchgruppen (Hosea - Amos; Nahum - Habakuk - Ze fanja; oder eben auch Jona - Micha - Nahum) und schließlich in der Analyse buchübergreifender Redaktionen weiterfahren müssen. Z. hat dazu die richtigen Fragen gestellt, und er hat mit seinem Beitrag einen wichtigen Mosaikstein zum Gesamtbild beigetragen.