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Ausgabe:

Dezember/2002

Spalte:

1339–1342

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph

Titel/Untertitel:

1) Briefe 1. Briefwechsel 1786-1799. Hrsg. von I. Möller u. W. Schieche.

2) Werke 7. Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie (1799). Hrsg. von W. G. Jacobs u. P. Ziche.

Verlag:

1) Stuttgart: Frommann-Holzboog 2001. XXXIX, 414 S. gr.8 = F. W. J. Schelling Historisch-kritische Ausgabe. Reihe III,1: Briefe. Lw. ¬ 270,00. ISBN 3-7728-1909-5.

2) Stuttgart: Frommann-Holzboog 2001. VIII, 544 S. gr.8 = F. W. J. Schelling Historisch-kritische Ausgabe. Reihe I: Werke, 7. Lw. ¬ 270,00. ISBN 3-7728-1868-4.

Rezensent:

Christian Danz

Der Name Schellings ist in der Entwicklungsgeschichte der Philosophie des deutschen Idealismus mit der Konzeption einer Philosophie der Natur im Horizont des durch die Philosophie Kants geprägten Problembewusstseins verbunden. Noch in seinen späten in München gehaltenen Vorlesungen Zur Geschichte der neueren Philosophie reklamierte Schelling in der ihm eigenen Bescheidenheit für seine frühe Naturphilosophie die philosophisch entscheidende Leistung, welche die engen Grenzen des Fichteschen Idealismus überwunden hat. Gleichwohl blieb die Wirkungsgeschichte von dessen Naturphilosophie ambivalent. Neben einer im Grundton auf empirieferne Spekulation gestimmten Wirkungsgeschichte feiert eine zweite Linie Schellings Naturphilosophie als Überwindung des die Neuzeit grundlegend bestimmenden Wissenschaftsideals sowie der mit diesem verbundenen Ausbeutung und Zerstörung der Natur. Ein nicht geringes Verdienst der Herausgeber der Historisch-kritischen Ausgabe der Werke Schellings besteht darin, dieses zwiespältige Bild der Naturphilosophie Schellings korrigiert zu haben. Es wurden der Forschung nicht nur mustergültig edierte Texte zur Verfügung gestellt, sondern erklärende Anmerkungen zu den jeweils publizierten Texten sowie ein minutiöser Wissenschaftshistorischer Bericht (Ergänzungsband zu: Werke, Band 5-9, Stuttgart 1994) erschließen dem heutigen Leser die damaligen naturwissenschaftlichen Debatten. Dadurch ergab sich ein Bild des jungen Schelling, das zeigte, in welch hohem Maße dieser das naturwissenschaftliche Wissen seiner Zeit verarbeitete. Schellings frühe Naturphilosophie erschien damit als ein Parallelunternehmen zu Kant. Wie dieser die Möglichkeit der Newtonschen Physik als Wissenschaft zu ergründen suchte, ging es Schelling darum, die Möglichkeit von Chemie als Wissenschaft zu begründen.

Seit 1976 arbeitet die Schelling-Kommision der Bayerischen Akademie der Wissenschaften an einer Historisch-kritischen Ausgabe (AA) der Werke Schellings. Diese Ausgabe soll in vier Reihen erscheinen (Reihe I: Werke; II: Nachlass; III: Briefe; IV: Vorlesungsnachschriften). Inzwischen sind sieben Bände der Reihe I, ein Wissenschaftshistorischer Bericht zu Schellings naturphilosophischen Schriften 1797-1800 sowie der erste Band der Reihe III: Briefe erschienen. Die hohe editorische Qualität dieser Ausgabe ist vielerorts gelobt worden. Sie setzt Maßstäbe für die Wiederveröffentlichung bereits publizierter Werke und erweitert den Quellenbestand und die Forschungsgrundlage zur Philosophie Schellings. Dies gilt auch für den hier anzuzeigenden Band 7 der Reihe I, der Schellings Erste[n] Entwurf eines Systems der Naturphilosophie enthält (I/7) sowie den ersten Band der Reihe III, welcher den Briefwechsel Schellings im Zeitraum von 1786 bis 1799 umfasst (III/1).

Der Band I/7 bietet entsprechend den Editionsprinzipien der Historisch-kritischen Ausgabe den Text des Erstdruckes (ED) der ersten Auflage von Schellings Schrift Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie von 1799. Diese Auflage blieb zu Lebzeiten Schellings die einzige. Schelling selbst hatte den Text des Ersten Entwurfs im Wintersemester 1798/99 bogenweise an seine Jenaer Hörer ausgeteilt und am 20. März 1799 die Arbeit an dem Buch beendet. In der von Schellings Sohn veranstalteten Ausgabe des Ersten Entwurfs in den Sämmtlichen Werken (Stuttgart/Augsburg 1856-1861, SW) sind die Eintragungen aus Schellings Handexemplar in den Text eingearbeitet. Die vorliegende Ausgabe fasst diese Zusätze Schellings als Nachlass auf, da sie nicht zu Lebzeiten Schellings veröffentlicht worden sind. Sie wurden geschlossen mit Verweisen auf die entsprechenden Bezugsstellen im Ersten Entwurf im Anschluss an den Text des Erstdrucks abgedruckt (I/7, 273-357). Der von Wilhelm G. Jacobs und Paul Ziche verfasste 59-seitige Editorische Bericht (I/7, 3-62) gibt detaillierten Aufschluss über die Entstehungsgeschichte des Ersten Entwurfs, vorhandene Erstdrucke (darunter ein Korrekturexemplar Schellings aus der Bibliothek von Karl Jaspers), die Rolle der Naturwissenschaften an der Universität Jena um 1800, die Brown-Rezeption in Jena, sowie Hinweise auf die frühe Rezeption des Entwurfs (durch Goethe und Steffens), deren unterschiedliche Besprechung in den einschlägigen Rezensionsorganen, der zeitgenössischen naturwissenschaftlichen (Andreas Röschlaub, Conrad Joseph Kilian und Johann Joseph Doemling) und philosophischen Diskussion (Jakob Friedrich Fries). Die Erklärenden Anmerkungen (I/7, 359-490), eine 334 Titel umfassende Bibliographie sowie Orts-, Personen- und Sachregister (I/7, 516-533), eine Seitenkonkordanz (AA, ED und SW) ermöglichen dem Benutzer ein vorzügliches Arbeiten mit dem Text.

Schellings Erster Entwurf, von diesem selbst als "dynamische[..] Atomistik" (I/7, 86) charakterisiert, kann ebenso als erster Versuch einer zusammenfassenden systematischen Darstellung der in den Ideen zu einer Philosophie der Natur von 1797 und der Weltseele von 1798 ausgeführten Gedanken gelten wie als Abschluss einer ersten Entwicklungsstufe von Schellings Naturphilosophie. Dabei geht der Erste Entwurf in der Konstruktion der Schwere, sowie in der Bestimmung der Qualitäten über die in den Ideen und in der Weltseele explizierte Grundlegung hinaus. In drei Hauptabschnitten wird der Grundgedanke der Produktivität der Natur ausgearbeitet, und zwar derart, dass eine dynamische Stufenfolge in der Natur abgeleitet wird. Ausgangspunkt ist hierbei ein Unbedingtes - nach Schelling die Voraussetzung jeder Wissenschaft -, welches in transzendentalphilosophischer Perspektive als Tätigkeit gefasst wird (I/7, 77-81). Die Darstellung des Naturprodukts verlangt jedoch, eine unendliche Hemmung dieser unendlichen Tätigkeit anzunehmen, wobei der Grund der Hemmung nur in der unendlichen Tätigkeit selbst liegen kann (I/7, 81). Die sich aus dieser prinzipientheoretischen Reflexion ergebende ursprüngliche Dualität differenziert sich in immer komplexere Formen aus. Diesen Prozess rekonstruiert Schelling unter dem Leitgedanken einer Stufenfolge der Natur im ersten Hauptabschnitt des Ersten Entwurfs. Der zweite Hauptabschnitt beinhaltet eine Konstruktion der anorganischen Natur. Als Bedingung der Möglichkeit des Zusammenhangs der Massen wird die Schwere abgeleitet. Sie ist das, was die anorganische Natur überhaupt konstituiert. Im dritten Hauptabschnitt wird dann die Struktur des Verhältnisses von organischer und anorganischer Natur selbst thematisiert. Dabei widmet sich Schelling insbesondere der Aufklärung dieser Struktur. Sie wird als analoge Wechselbestimmung von Organischem und Anorganischem gedeutet. Die Natur kommt auf diese Weise als eine dynamische Stufenfolge in den Blick. Durch die Mannigfaltigkeit der Formen geht ein einheitliches Prinzip hindurch. Dieses ist für Schelling der Geist, der auf seinem Weg durch die Natur zum Bewusstsein seiner selbst gelangt.

Mit dem Band III/1 werden nun die bisher nur in verstreuten Ausgaben vorliegenden Briefe von und an Schelling in einer historisch-kritischen Maßstäben genügenden Edition zugänglich. Das hohe Maß an editorischer Qualität, welches auch diesen Band auszeichnet, hat jedoch seinen Preis. Er wird nolens volens darin bestehen, dass die Forschung noch auf lange Zeit mit den bisher zugänglichen Ausgaben des Briefwechsels von Schelling von G. L. Plitt Aus Schellings Leben in Briefen, Bd. 1-3 (Leipzig 1869-1870) und H. Fuhrmanns [Hrsg.] F. W. J. Schelling. Briefe und Dokumente, Bd. 1-3 (Bonn 1962; 1973 und 1975) sich begnügen muss. Welche Arbeit mit der Edition von Schellings Briefwechsel auf die Herausgeber zukommt, mag man daran erahnen, dass, wie die Herausgeber vermerken, "bisher noch kaum die Hälfte der Briefe von und an Schelling veröffentlicht" (III/1, XI) ist. Von der Veröffentlichung dieser noch nicht zugänglichen Briefe darf sich die künftige Forschung weiteren Aufschluss über den gegenwärtig noch kontrovers diskutierten Entwicklungsgang Schellings erhoffen. Der vorliegende Band enthält 144 Briefe von und an Schelling aus dem Zeitraum von 1786 bis 1799, "darunter zehn, die bisher nicht veröffentlicht waren" (III/1, XXV).

Die Editionsprinzipien der Historisch-kritischen Ausgabe wurden den Erfordernissen einer Briefausgabe angepasst. Über sie informieren die Editionsprinzipien der Reihe III (III/1, XV-XXIV). Grundsätzlich sollen alle erreichbaren Briefe von und an Schelling in die Reihe aufgenommen werden, ebenso Niederschriften in Briefform (Schellings Kontroversen), amtliche Schreiben, aber auch in einem Anhang Eintragungen in Stammbücher, Widmungen von und an Schelling, sowie Gedichte an Schelling. Jeder edierte Brief enthält eine Titelzeile (Identitätsnummer, Verfasser- bzw. Empfängernamen) und eine Überlieferungsliste (Gattung des edierten Textes, die Überlieferungsträger; bei Handschriften: Standort, Umfang, eigenhändig oder Schreiber, Besonderheiten; ebenso werden Drucke angeführt). Entsprechend den Editionsprinzipien der Historisch-kritischen Ausgabe ist die Editionsgrundlage der Briefe das jeweilige Original bzw. die Handschrift. In den Fällen, wo diese nicht überliefert ist, greifen die Editoren auf den als besten ermittelten Textzeugen zurück. Die einzelnen Briefe sind mit einem textkritischen Apparat sowie mit geschlossen publizierten Erklärenden Anmerkungen (III/1, 263-352) versehen, die über Personen, Orte und Ereignisse informieren. Eine 343 Titel umfassende Bibliographie macht die in den Briefen zitierte Literatur zugänglich (III/1, 355-376). Die Bände der Reihe III: Briefe beinhalten ein Korrespondenz-Verzeichnis, ein Verzeichnis der erschlossenen Briefe sowie ein Verzeichnis der Standorte der Handschriften und der Drucke. Ein Orts-, Personen- und Sachregister erschließen dem Benutzer die Briefe, und Daten zu Leben und Werk Schellings aus dem jeweiligen zeitlichen Abschnitt geben eine biographische Orientierung. Naturgemäß ist im Falle einer Briefedition der Editorische Bericht, verfasst von Walter Schieche, kürzer (III/1, XXXVII-XXXIX).

Die wissenschaftliche Erschließung des Werkes von Schelling hat sich in den letzten Jahren vornehmlich der Naturphilosophie zugewandt. Dies belegen eine Vielzahl von Veröffentlichungen und wissenschaftlichen Kongressen zu Schellings Philosophie der Natur. Die dadurch erzielte philosophiegeschichtliche Klärung und Einordnung der Philosophie des jungen Schelling wäre freilich nicht in dem Maße möglich gewesen, ohne die durch die Historisch-kritische Ausgabe zugänglich gemachten Quellen.