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Ausgabe:

Dezember/2002

Spalte:

1313–1316

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Müller, Andreas

Titel/Untertitel:

Humanistisch geprägte Reformation an der Grenze von östlichem und westlichem Christentum. Valentin Wagners griechischer Katechismus von 1550.

Verlag:

Mandelbachtal-Cambridge: edition cicero 2000. XII, 385 S. 8 = Texts and Studies in the History of Theology, 5. Kart. ¬ 24,50. ISBN 3-934285-32-5.

Rezensent:

Angelika Dörfler-Dierken

Die hier anzuzeigende Dissertation eines Heidelberger Theologen steht in der Tradition der theologischen Beschäftigung mit Südosteuropa, wie sie von dem Nestor der dortigen Orthodoxieforschung, Friedrich Heyer, und von Andreas Müllers Doktorvater Adolf Martin Ritter gefördert wurde. Unterstützt von der Münchener Südosteuropa-Gesellschaft und der Heiligen Synode der Griechisch-Orthodoxen Kirche hatte der Vf. die Möglichkeit, in Bibliotheken und Archiven in Siebenbürgen und Thessaloniki zu arbeiten. Entstanden ist diese wissenschaftliche Untersuchung und eine 388 Seiten lange Edition des 1550 von dem Kronstädter Reformator Valentin Wagner abgefassten griechischen Katechismus ("Reformation zwischen Ost und West"). Ohne Kenntnis dieser Edition bleibt die Dissertation über weite Strecken unverständlich.

M. verbindet in einer nicht immer glücklichen Weise zwei Fragestellungen und Perspektiven auf Valentin Wagner und seinen griechischen Katechismus: Die eine stellt Wagner als von Melanchthon geprägten Wittenberger Theologen vor; die andere zeichnet ihn als Vermittler reformatorischer Theologie an die Ostkirche.

Interessanter als der weite ökumenische Horizont, vor dem M. Wagners katechetisches Großunternehmen platziert, sind die Person des Kronstädter Reformators und der Katechismus selbst. M. stellt in einem ersten Kapitel Valentin Wagner vor (10-48), bietet anschließend eine Einführung in die politische und religiöse Geschichte Siebenbürgens (49-118), würdigt dann in einem dritten Teil den Katechismus Wagners im Hinblick auf dessen Quellen (119-210) und stellt in seinem vierten Teil "Die Theologie Wagners im Kontext von Reformation und ostkirchlicher Orthodoxie" (211-301) vor. In den "Abschließenden Bemerkungen" (302-323) betont M., dass die siebenbürgische Reformation ein genuin städtisches Phänomen gewesen und die dortige reformatorische Theologie nur vor dem Hintergrund der Bedrohung durch die Türken angemessen zu würdigen sei. Mit Bezug auf den Katechismus unterstreicht der Vf., dass die siebenbürgische Reformation pädagogisch ausgerichtet gewesen sei, dass der griechischsprachige Katechismus Wagners aber auf Grund seiner Mängel von der Ostkirche nicht habe rezipiert werden können. Ergänzt wird die Untersuchung durch ein Verzeichnis der Werke Wagners, Proben von dessen Handschrift (333-334), den üblichen bibliographischen Apparat (in dem merkwürdigerweise nicht die zu Rate gezogenen Lexikonartikel aufgeführt werden) und mehrere ausführliche Register.

Valentin Wagner (um 1510-1557) wurde von seinem Lehrer Johannes Honter im Jahre 1542 nach Wittenberg gesandt, um Kontakt mit der dortigen lutherischen Führungsspitze aufzunehmen. Weil Wagner 1554 zum Magister promoviert wurde, dürfte er ein zweites Mal dorthin gereist sein. Als er von seiner ersten Reise nach Siebenbürgen zurückkehrte, war in Kronstadt die Messe gerade abgeschafft worden (Oktober 1542). Spätestens im ersten Halbjahr 1544 hat er dort mit der Abfassung seines griechischen Katechismus begonnen. Wagner wirkte in Kronstadt als Lehrer und Rektor des neugegründeten Gymnasiums, der Schola Coronensis. 1546 ist er als Grammatiklehrer an der Hermannstädter Schule belegt, wird aber noch in demselben Jahr in den Kronstädter Stadtrat berufen und am 29. Januar 1549 als Nachfolger Honters hier als Stadtpfarrer eingesetzt. 1555 übernahm er die von seinem Vorgänger betriebene Druckerei, in der er vor allem Schulliteratur, Katechismen und Gesangbücher drucken ließ.

Entscheidend für das Verständnis der Persönlichkeit und des Lebenswerkes Wagners ist sein Kontakt zu Philipp Melanchthon. Nach seinem zweiten Aufenthalt in Wittenberg gab der Siebenbürger Theologe mindestens sieben kleinere Melanchthonschriften in Kronstadt heraus. Gründe für den Nachdruck gerade dieser Titel führt Müller nicht an. Zudem korrespondierte Wagner mit seinem geistigen Vater und anderen Persönlichkeiten aus dessen Umkreis. Genauere Informationen finden sich zu diesem in Humanistenmanier durch Briefe verbundenen Theologenkreis bei Müller nicht. Ein starkes Indiz für die Notwendigkeit der Einbettung Wagners in diesen Humanistenkreis ist die Tatsache, dass der Kronstädter dem Melanchthon-Intimus Joachim Camerarius als "Freund" (206) galt. Dieser übereignete dem Siebenbürger seinen griechischen Katechismus mit einer entsprechenden persönlichen Widmung.

In Melanchthons geistigem Umfeld scheint die Idee einer griechischen Fassung des lutherischen Katechismus entstanden zu sein. Auch dazu würde sich der Leser nähere Informationen wünschen. Was wollte man im Melanchthonkreis mit griechischen Bearbeitungen katechetischer Literatur erreichen? Hatte man damals schon griechischsprachige Menschen aus der Ostkirche im Blick oder Schüler an humanistisch geprägten Schulen? Gibt Melanchthons Briefwechsel mit seinen Freunden auf diese Fragen eine Antwort? M. stellt sie nicht und kann deshalb auch nicht versuchen, sie zu beantworten. Knappe Hinweise auf Melanchthons Verhältnis zur griechischen Kirche finden sich in Dorothea Wendebourgs Habilitationsschrift "Reformation und Orthodoxie", 1986, 21 f. Demnach gab es im Jahr 1543 einen ersten Kontakt zwischen Melanchthon und einem ostkirchlichen Theologen, bei dem auch Wagners schon erwähnter Freund Camerarius eine Rolle spielte; überdies habe Melanchthon die Geschichte der siebenbürgischen Reformation von Honter gekannt, bevorwortet und herausgegeben. Müller geht den sich aus diesen Fakten ergebenden Fragen nicht nach; er beschränkt sich darauf, den Katechismus Wagners mit dem 1545 erschienenen Katechismus des Lukas Lossius (VD 16 L 2781) und dem 1551/52 veröffentlichten des schon erwähnten Camerarius (VD 16 C 447-9) zu vergleichen. Literarische Abhängigkeit besteht nach M. zwischen den drei Katechismen nicht; sachliche Übereinstimmungen ergeben sich - so wird recht unspezifisch konstatiert - aus der gemeinsamen Nähe zu Melanchthon.

Wagner gliederte seinen in der Tradition des Wittenberger Katechismus stehenden Text in zwanzig Dialoge, welche die fünf Hauptstücke ausführlich erläutern. Die literarische Gattung des Dialogs war bekanntlich im Reformationszeitalter ausgesprochen beliebt. Es fällt im Unterschied zu anderen zeitgenössischen Dialogen bei Wagner jedoch eine große Formelhaftigkeit von Frage und Antwort auf; der Schüler hat kaum mehr zu tun, als dem Lehrer Stichworte für ausführliche Referate zu liefern.

Auffällig ist die große Zahl an Zitaten antiker (paganer wie christlicher) Autoren in Wagners Text; 209 Zitate hat M. feststellen können, zudem 49 Anspielungen und 18 Begriffsübernahmen. Übertroffen wird diese Zahl freilich noch von den Schriftzitaten und -anspielungen, die nur zu einem geringen Teil aus dem Alten Testament entnommen sind. M. wertet diese Anleihen als typisch für einen "Schulmann mit humanistischer Ausrichtung"; die Zusammenstellung "der christlichen und paganen Texte [mache] die jeweilige Argumentation auf besondere Weise interessant und vielfältig" (199). Die Feststellung der jeweils Zitierten war wohl einigermaßen schwierig, weil Wagner, um die Ehre Christi nicht zu schmälern, auf die Angabe von Menschennamen verzichtet hat.

M. hat sich mit Wagner einem Theologen zugewendet, der "an der Grenze von östlichem und westlichem Christentum" wirkte. Deshalb lautet seine Arbeitshypothese, dass der Kronstädter Reformator seinen Katechismus für speziell siebenbürgische Verhältnisse abgefasst habe: Hier seien lutherisch geprägte Reformation und orthodoxes Christentum nicht nur zufällig zusammengetroffen, sondern in einen Dialog miteinander eingetreten. Wagner habe seinen Katechismus mit Blick auf ostkirchliche Rezipienten abgefasst. Dafür spricht, dass der Siebenbürger im lateinischen Vorwort zu seinem griechischen Katechismus angibt, "besonders unsere Nachbarn, den Rest des unglücklichen Griechenlands" berücksichtigt zu haben. Dediziert hat er seinen Katechismus jedoch den "studiosis Transylvanis". Meinte Wagner damit alle transsilvanischen Theologen, die in gewisser Weise immer Schüler des Herrn sind, oder Griechischschüler, denen er die wahre Religion in der wahren Sprache vermitteln wollte? Zudem spreche für seine Verortung im Dialog zwischen der West- und der Ostkirche, dass der siebenbürgische Dichter Christian Schesaeus (1536-1585) in seinen "Eligiae in obitum trium illustrium virorum" aus dem Jahre 1573 seinen Freund Wagner deshalb rühmte, weil durch die Lektüre von dessen "Katichisis" viele Griechen zu Christus bekehrt worden seien. Diese Bemerkung ist jedoch zu schwach, als dass sie die Beweislast für die Arbeitshypothese M.s tragen könnte. Zumindest wäre zu klären, wie redlich Schesaeus als Lobredner war. Von der Hoffnung seines Freundes auf Erfolg bei den Griechen dürfte er wohl gewusst haben; aber deshalb muss Wagner nicht auch tatsächlich Bekehrungserfolge erzielt haben. Wichtig zu wissen wäre in diesem Zusammenhang, ob die Herausstellung missionarischen Erfolges durch Lektüre ein zeitgenössischer humanistischer Topos gewesen sein könnte. Vorstellbar wäre - und das würde das Diktum des humanistischen Dichters hinreichend erklären -, dass an der Schola Coronensis der eine oder andere griechisch-orthodoxe Schüler studierte.

M. hat nicht genau bestimmt, wie der erste und der zweite Zweck des Katechismus - Erwerb von Sprachkompetenz, Mission in der Ostkirche - sich zueinander verhalten. Da sich keine Verbindung Wagners zu einem einzigen orthodoxen Theologen seiner Zeit nachweisen lässt, ist der zweitgenannte Abfassungszweck nur aus den zitierten Wendungen und in einzelnen Akzentsetzungen aus seinen Darlegungen heraus zu belegen: Indem Wagner genuin protestantische Theologoumena aussparte oder andere Themen im Rückgriff auf patristische Theologen vertiefte, hätte er versucht, für seine orthodoxen Adressaten gesprächsfähig zu werden, meint M. Er kommt selbst zu dem Schluss, dass Wagner dieses Ziel nicht erreichen konnte. Er habe erstens "seine Rezipienten durch die Formulierung seines Textes in einem archaisierenden Humanisten-Griechisch abgeschreckt" (322), weil das allenfalls hochgebildeten Griechen verständlich gewesen wäre, in diesen Kreisen aber Katechismusliteratur völlig unbekannt war. Zweitens habe er in westkirchlicher Tradition das Apostolikum ausgelegt und "dadurch die mangelnde Rezeption seines Textes selber heraufbeschworen" (323). Überhaupt habe er "durch seine für ostkirchliche Leser uninteressanten Themen ... Langeweile [ausgelöst]" (323 f.) sowie durch zahllose Fehler in Orthographie, Formulierung und Gedankenführung die Lektüre behindert.

Der Kronstädter machte in der Tat merkwürdige Fehler als gebildeter Theologe, die M. nicht zu erklären versucht: Wenn Wagner das Verhältnis von Sohn und Geist zum Vater als "wesensähnlich" (213) und Maria als "Sohnesgebärerin" (232) bezeichnet, dann dürfte das darauf hindeuten, dass er in seinem Metier entweder nur ungenügend beschlagen - und zwar sowohl in der west- als auch in der ostkirchlichen Tradition -, oder in seinen griechischen Formulierungen schlampig oder aber ein eigenständiger reformatorischer Denker mit gewissen auffälligen Eigenheiten gewesen ist. Müller bilanziert: "Die Darstellung der reformatorischen Gedanken in Form eines gewaltigen pädagogischen Werkes konnte ihr Ziel nicht erreichen, weil sie sich vornehmlich um eine einfache Übertragung westlich-reformatorischer Gedanken in die ostkirchliche Sprache bemühte und insofern eine wirkliche Verständigung noch nicht leistete" (324).

Angesichts dieses ernüchternden Fazits klingen die eingangs vorgetragenen Versprechungen M.s, "eine[n] der ersten Schritte auf dem Vermittlungsweg" (Vorwort) zwischen östlichem und westlichem Christentum beziehungsweise "de[n] ersten umfangreichen Vermittlungsversuch eines reformatorischen Theologen" (ebd.) darzustellen, etwas vollmundig. Mit diesen Bemerkungen sei nicht bestritten, dass Wagner gehofft haben mag, sein Katechismus würde bei griechisch-orthodoxen Lesern Interesse und Zustimmung finden. Aber bezeichnend für die Situation ist doch das hohe Maß an Unkenntnis und Beziehungslosigkeit, das zwischen Wagner und seiner ostkirchlichen Um- gebung bestanden haben muss. Er scheint noch nicht einmal darum gewusst zu haben, dass kaum ein Grieche sein Humanistengriechisch verstehen konnte.

Der Siebenbürgischen Kirchengeschichte ist zu wünschen, dass sie in den nächsten Jahren näher an den Mittelpunkt des reformationsgeschichtlichen Interesses heranrückt; M.s Dissertation dürfte dazu beitragen, diesen Prozess zu befördern.