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Ausgabe:

Dezember/2002

Spalte:

1306–1308

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Vogel, Manuel

Titel/Untertitel:

Herodes. König der Juden, Freund der Römer.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2002. 375 S. 1 Beilage. 8 = Biblische Gestalten, 5. Kart. ¬ 16,50. ISBN 3-374-01945-5.

Rezensent:

Martin Ebner

In der neuen Reihe der Evangelischen Verlagsanstalt "Biblische Gestalten" ist nach Bänden zu Josef, Petrus (vgl. ThLZ 127, 2002, 161-163.173 f.), Noah und Maria (vgl. ThLZ 127, 1161f. 1180-1183) nun ein weiterer zu Herodes erschienen - aus der Feder von M. Vogel. Die Darstellung geht generell chronologisch vor, eingestreut sind einige thematische Abschnitte und Kapitel: zu den Ehen des Herodes, zu den Gebieten seines Reiches, zu seiner Baupolitik (mit den Abbildungen neuester Rekonstruktionen), zur Frage, ob Herodes Jude war, sowie zur Wirkungsgeschichte seiner Persönlichkeit mit interessanten Details zur Ikonographie und zu Bühnenwerken von mittelalterlichen geistlichen Dramen bis hin zu Hebbels "Herodes und Mariamne". Der chronologische Durchgang erstreckt sich von der Skizzierung des historischen Rahmens in Palästina ab der Zeit der Diadochenkriege bis hin zu den Erben des Herodes, als deren letzter Agrippa II. (48/49- 100 n. Chr.) behandelt wird.

Das Buch ist flüssig und doch präzise geschrieben. Es lässt sich trotz einer sehr differenzierten Zugangsweise außerordentlich leicht lesen. V. arbeitet auf dem neuesten Stand der Literatur und gibt hilfreiche Empfehlungen zum Weiterlesen. Die einzige Schwierigkeit für den durchschnittlich gebildeten Leser, für den diese Reihe gedacht ist, dürfte darin bestehen, sich im Dickicht der vielen, oft gleichen Namen unterschiedlicher Personen (Antipater, Herodes!) zurechtzufinden. Ein Namensregister wäre deshalb hilfreich gewesen. Der Autor ist sich dessen bewusst, wie seine Ratschläge zur "Leseökonomie" am Ende der Einleitung zeigen. Er verweist auf die Beilage des weit verzweigten herodianischen Stammbaums und entlässt den Leser mit der tröstenden Bemerkung: "Die Haupthandlung bleibt auch dann verständlich, wenn man nicht jede Einzelheit präsent hat" (29). Vielleicht wäre bezüglich der ausführlichen chronologischen Darstellung zu überlegen gewesen, ob nicht durch die Herausarbeitung prägender Strukturen, z. B. des Kampfes zwischen dem alten hasmonäischen Geschlecht und den aufstrebenden Herodianern, manches Detail hätte erspart oder leichter eingeordnet werden können.

Die eigentliche Stärke des Buches liegt in der Art und Weise, wie V. den Leser unmittelbar an die Quellen heranführt und deren Auswertung miterleben lässt. Hier zahlt sich die langjährige Mitarbeit V.s im Münsteraner Josephus-Arbeitskreis aus, als dessen Mitglied er für die Herausgabe der Vita des Josephus (Tübingen 2001) maßgeblich verantwortlich zeichnet. Es ist geradezu spannend, an exemplarischen Beispielen die hermeneutischen Probleme der Josephusforschung vorgeführt zu bekommen. Immer wieder wird die Darstellung durch entsprechende Metareflexionen unterbrochen. Sie reichen von der Problematisierung der Übersetzung (68 f.) bis hin zur Frage nach der inneren Konsistenz der Werturteile des Josephus (223 f.).

Die unterschiedlichen, ja, z. T. gegensätzlichen Darstellungen des gleichen Sachverhalts in den diversen Werken des Josephus werden ausführlich diskutiert und vor allem auf dem Hintergrund der Konventionen der antiken Geschichtsschreibung (generell dazu: 18-26) evaluiert. Wenn Josephus z. B. die Enthauptung des Antigonos mit dem Beil im Bellum mit abschätzigen Worten abhandelt, sie in den Antiquitates dagegen gar nicht erwähnt und seinen Tod in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt, dann handelt es sich nicht einfach um Widersprüche oder Verfälschungen. Josephus folgt vielmehr im einen Fall den Konventionen rhetorischer Geschichtsschreibung, wonach ein schlechter Charakter auch einen schändlichen Tod stirbt, im anderen Fall schreibt er einen wehmütigen Nachruf auf das Haus der Hasmonäer (92 f.).

Immer wieder arbeitet V. den Gestaltungswillen des Josephus heraus: wie er durch das beliebte Stilmittel der Synkrisis Charaktere voneinander abhebt, wenn er z. B. in der Adlerepisode den Todesmut der "Märtyrer" herausstellt, um gleich im Anschluss daran den feigen Herodes zu schildern, der sich mit aller Kraft ans Leben klammert, obwohl er doch schon am lebendigen Leib verfault (261-270); wie Josephus durch kleine Anekdoten die Spannung steigert, wenn er z. B. davon erzählt, dass bei der Flucht des Herodes aus Jerusalem, also am Tiefpunkt seiner Karriere, auch noch der Eselskarren umstürzt, in dem seine Mutter sitzt (76 f.); wie er einen ironischen Unterton aufkommen lassen kann, wenn er z. B. bei der Verhandlung um das Testament des Herodes erwähnt, dass Augustus seinen Adoptivsohn Gaius bei dieser Gelegenheit der Öffentlichkeit vorgestellt habe, um damit süffisant anzudeuten, dass auch der römische Kaiser mit der Nachfolgeregelung seine Schwierigkeiten hat (275); ganz zu schweigen von den politischen Absichten, die Josephus verfolgt, wenn er z. B. gut zwei Dutzend römischer Urkunden zitiert, in denen die Privilegien der Diasporajuden bestätigt werden (71 f.), oder seinem apologetischen Interesse, die Schuld am Ausbruch des Jüdischen Krieges auf auserlesene Sündenböcke zu schieben - die Grausamkeit oder Geldgier so manch römischen Prokurators wird hier eingereiht (277 f.) -, um sein eigenes Volk und vor allem die Aristokratie davon freizusprechen. Das wird dem Leser völlig klar: Auf Grund der Quellen lässt sich allenfalls ein je von unterschiedlichen Interessen geleitetes Bild der Persönlichkeit des Herodes gewinnen.

Ganz nebenbei erfährt man eine ganze Reihe interessanter Details zur Realienkunde, etwa von einem Kos-Kult in Idumäa (116), von der Organisation sportlicher und musischer Wettkämpfe in Jerusalem nach dem Vorbild der "Spiele von Aktium" im Olympiadenrhythmus (118), von den Problemen bei der Durchführung des Sabbatjahres (153 f.), vom Adler als Wappentier des Herodes (vgl. Adlerepisode: 265 f.) oder etwa davon, dass die Söhne von Klientelfürsten, die in Rom erzogen wurden, dort zugleich auch immer als Geiseln verwendbar waren.

War nun Herodes ein Jude oder doch eher im Herzen ein Römer? V. unterscheidet ethnische, religiöse und kulturelle Gesichtspunkte (210-232). Er vermutet, dass schon Herodes' Großvater zum Judentum übergetreten ist, so dass der Enkel gemäß Dtn 23,8 f. religiös gesehen als Jude anerkannt werden muss. Das matrilineare Kriterium für das Judesein ist erst ab dem 2. Jh. n. Chr. greifbar. Herodes mit "Halbjude" zu beschimpfen (Ant 14,403), ist deshalb bösartige Diffamierung, von der Sache her ein Seitenhieb auf seine ethnische Herkunft aus Idumäa - mit genealogischen Wurzeln in Aschkelon (Justin)! Obwohl V. Herodes in einem durch und durch hellenistischen Umfeld beheimatet sein lässt, ist er - gerade auf dem Hintergrund der großen Bandbreite jüdischen Selbstverständnisses im 1. Jh. n. Chr. - von seinem Judesein auch in religiöser Hinsicht überzeugt, allerdings mit einer stark pragmatisch ausgerichteten Aufgeschlossenheit für die hellenistische Welt. V. ist sich bewusst, dass er im Feld der Möglichkeiten (210) damit eine sehr pointierte Stellung bezieht.

Die Brücken zum NT werden nicht nur immer wieder durch naheliegende Hinweise geschlagen (Schlagworte sind "Kindermord von Bethlehem", "Romreise des Archelaos", "Feindschaft zwischen Pilatus und Antipas" sowie "Agrippa und Berenike"), sondern vor allem, aber gleichsam nebenbei, in den vielen hermeneutischen Überlegungen zur antiken Geschichtsschreibung. Wer hören kann, der höre!