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Ausgabe:

Oktober/1998

Spalte:

1035 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Ballod, Georg

Titel/Untertitel:

Der Auftrag des Christlichen Jugenddorfwerks Deutschland "Keiner darf verloren gehen" (1947-1993) als theologisches Problem.

Verlag:

Marnheim: Berg Verlag 1995. VIII, 266 S. 8. DM 48,-. ISBN 3-9804248-0-4.

Rezensent:

Martin Schreiner

Warum findet das Christliche Jugenddorfwerk Deutschland, das bedeutende und namentlich als christlich ausgewiesene Bildungs- und Ausbildungswerk, in der theologischen Fachliteratur, insbesondere im religionspädagogischen Diskurs kaum Beachtung? Dies ist die Ausgangsfrage von Georg Ballods kenntnisreicher Bonner Dissertation, die das charakteristische Selbstverständnis des CJD in den Jahren 1947-1993 unter theologischen, pädagogischen und ökonomischen Perspektiven untersucht.

1997 feierte das Christliche Jugenddorfwerk Deutschlands sein 50jähriges Jubiläum. Das überkonfessionell arbeitende und von Parteien, Staat und Kirchen unabhängige CJD wurde am 25. April 1947 aus der Not der Nachkriegszeit gegründet von Arnold Dannenmann, einem im württembergischen Pietismus verankerten und durch die Erfahrungen als Mitglied der Bekennenden Kirche geprägten Pfarrer. Es ist heute mit über 160 Einrichtungen der größte freie Träger von Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen in Deutschland. In den fünfzig Jahren seines Bestehens hat es mehr als zwei Millionen Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Menschen mit Behinderungen in seinen Schulen oder durch eine Berufsausbildung gefördert. Heute betreuen rund 7.200 Mitarbeitende mehr als 91.000 Jugendliche in 157 Jugenddörfern.

Leitspruchs dieses gemeinnützigen sozialpädagogischen Verbandes auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes ist nach wie vor der Satz seines Gründers "Keiner darf verloren gehen", der eine doppelte Rettungsabsicht ausdrückt, nämlich "Selbstverwirklichung" und "Heilsvorbereitung": Keiner soll verloren gehen mit seinen Gaben und Anlagen, Aufgaben in unserem Leben so zu erfüllen, daß er sich selbst verwirklichen kann, aber hoffentlich auch nicht für den Ruf Gottes in alle Ewigkeit hinein! Geholfen werden soll allen Menschen durch Errettung von Unglaube und Unfähigkeit (A. Dannenmann).

Der doppelten Gefährdung des "Verlorengehens" begegnet das CJD zum einen beispielsweise durch die Sorge für lernschwache, für behinderte, für asthma- und allergiekranke, für milieugeschädigte und entwurzelte, für über- und ausgesiedelte Kinder und Jugendliche ebenso wie durch die Förderung von musisch und sportlich Hochbegabten, zum anderen durch die intensive religiöse Begleitung der Lernenden. Die Jugenddörfer wollen "moderne Begegnungsstätten mit Jesus Christus" sein in der Verpflichtung, jungen Menschen den christlichen Glauben nahezubringen, damit diese sich einmal für oder gegen einen christlichen Lebensweg entscheiden können.

Ballod, den langjährigen Leiter des Gymnasiums Weiherhof, das im Rahmen eines Pachtvertrages von 1980-1985 in das CJD integriert war, interessiert in den ersten drei Kapiteln vor allem die Analyse der soteriologisch-eschatologischen Komponente des Auftrages "Keiner darf verloren gehen" unter Berücksichtigung lebensgeschichtlicher Motive und Erfahrungen des Auftraggebers Arnold Dannenmann (19-32: Der Anspruch des Auftrages; 33-126: Der Auftrag als theologischer Leitsatz des CJD; 127-194: Der Auftrag im Zusammenhang von Glaube und Heil). In einem knappen vierten Kapitel setzt er sich mit dem Auftrag als Erziehungs- und Bildungsprogramm auseinander (195-214), bevor abschließend ein großer Abschnitt den ökonomischen Grundlagen und Zielen des Auftrages gewidmet wird ( 215-246) und fünfzehn Thesen die Ergebnisse zusammenfassen.

B. erscheint die von A. Dannenmann vertretene "Pädagogik aus Glauben an Christus" unter folgenden vier Aspekten theologisch problematisch: "Personspezifische Identifikationserwartung", "fundamentalistische Normverpflichtung", "enthusiastischer Missionierungsdrang" und "kollektive Erlebnissicherung". Er wirft dem CJD-Gründer insbesondere ein Defizit an kritisch-theologischem Denken, ein nicht hinlänglich geklärtes Verständnis des Zusammenhangs von Heilsprozeß, Heilsweg und Erlösung sowie eine unzureichend reflektierte Vorstellung von Begründung und Erfahrung des Glaubens vor. Es entstehe ein ",SOS-Trilemma’ der zur Letztbegründung des Auftrages relevanten triadischen Komponenten von der Unverfügbarkeit der Gnade Gottes, dem enthusiastischen Missionierungs- und Gestaltungswillen und der Nötigung zur permanenten Ressourcenmaximierung".

Aufbau und teilweise auch Stil dieser Dissertation lassen allerdings - trotz der ausdrücklichen positiven Würdigung des effizienten CJD-Bildungsangebots durch B. - bei unvoreingenommenen Lesenden durchaus den Eindruck entstehen, daß das Ziel des Buches möglicherweise der Dekonstruktion "eines hagiographischen Lebensbildes" (6) und der Aufarbeitung (leidvoller) biographischer Erfahrungen des Autors mit der "Verschränkung von geistlichem Anspruch und wirtschaftlichen Handeln" zur Zeit der "Dannenmann-Dynastie im CJD" (7) dient. Gleichwohl liefert es grundlegende Einblicke in das Wirken, Werden und Wachsen des CJD sowie weiterführende Impulse zur Verhältnisbestimmung von Theologie und Pädagogik, von Glaube und Bildung.