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Ausgabe:

Dezember/2002

Spalte:

1292–1294

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Weyde, Karl William

Titel/Untertitel:

Prophecy and Teaching. Prophetic Authority, Form Problems, and the Use of Traditions in the Book of Malachi.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2000. XVII, 455 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 288. Lw. ¬ 128,00. ISBN 3-11-016692-5.

Rezensent:

Aaron Schart

Die vor allem in Oslo über mehr als 10 Jahre hinweg entstandene und 1998 verteidigte Dissertation stellt einen traditionskritischen Kommentar zur letzten Schrift des Zwölfprophetenbuchs dar. Nach einer Einleitung, die sich der Forschungsgeschichte (14-48) und der Methodologie (49-54) widmet, wird Mal im zweiten Teil (57-393) in acht Abschnitten Vers für Vers kommentiert: Mal 1,1 (Superscription); 1,2-5 (Salvation Oracle); 1,6-2,9 (Announcement of Judgement); 2,10-16 (Speech of Exhortation); 2,17-3,6(!) (Announcements of Cultic Restoration and Judgment of Evildoers); 3,7(!)-12 (Speech of Exhortation); 3,13-21 (Announcements of Judgement and Salvation); 3,22-24 (Editorial Additions). Im dritten Teil (397-402) folgen einige knappe Schlussfolgerungen ehe ein erschöpfendes Literaturverzeichnis (403-420) und umfangreiche Register (421-455) das Buch abschließen.

Die Einleitung (3-54) berücksichtigt eingehend die verschiedenen Thesen, der dialogischen Form von Mal auf die Spur zu kommen. In für die Prophetie sonst eher ungewöhnlicher Weise versucht Maleachi ja, Einwände von Gegnern, die wörtlich zitiert werden, argumentativ zu entkräften. W. betont, dass die Auseinandersetzung mit den gegnerischen Vorwürfen und Einwänden nichts an der prophetischen Entschiedenheit und Eindeutigkeit ändert (27). Es handle sich nicht um Kurzfassungen echter Diskussionen, deren Ergebnisse offen blieben, sondern um vollmächtige Ansagen der göttlichen Wahrheit, die sich allerdings eines dialogischen Stils bedienten.

Die Untersuchung der in der Überschrift verwendeten Phrasen (57-69) ergibt eine auffallende Nähe zum chronistischen Schrifttum. Besondere Berücksichtigung erfährt die Phrase debar YHWH ... beyad, die einer Person die Autorität zuschreibe "to interpret authoritative material of the past and apply it to the post-exilic community" (61).

Das Gerichtswort gegen die Priester in Mal 1,6-2,9 (112- 214) betrachtet W. als literarisch einheitlich. Spannungen erklärten sich durch den Willen des Autors, seine Anklagen durch Verweis auf verschiedene Traditionsbestände abzusichern. Deutlich sei, dass das Gerichtswort im Unterschied zu anderen prophetischen Gerichtsworten zum gleichen Thema die Autorität der schriftlich fixierten Tora voraussetze. Letztere müsse bereits das Heiligkeitsgesetz (Mal 1,7 ff. setze Lev 22,17 ff. voraus) und das Dtn (Mal 1,8 setze Dtn 15,21 voraus) umfasst haben. Mal harmonisiere bereits in kreativer Weise die verschiedenen Gesetze und versuche, z. B. mit Hilfe eines Sprichwortes (Mal 1,6, vgl. Jes 1,3), für ihre Befolgung zu werben. Beschworen werde weiter die im Jerusalemer Kult verankerte Zionstheologie, die mit der vollen Präsenz von YHWHs universalem Königtum in der Gegenwart rechne (Mal 1,14b, vgl. Ps 47,3; 95,3). Und schließlich werde vorausgesetzt, dass bestimmte prophetische Zukunftsansagen sich bereits in der Gegenwart realisieren. So werde etwa die Absichtserklärung YHWHs aus Ez 36,23 "ich will meinen großen Namen, der vor den Völkern entheiligt ist, ..., wieder heilig machen" in Mal 1,11 als Fakt betrachtet: "groß ist mein Name bei den Völkern". Diese Verschmelzung der Traditionen führe auch zu einer Einebnung der Differenzen zwischen Priesteramt und Prophetie. Dass Mal den Priester dort, wo er seiner Aufgabe nachkommt, mit dem eigentlich prophetischen Ehrentitel "Bote YHWHs" (Hag 1,13) bezeichnen kann, zeige, dass Tora-Auslegung als inspirierter Prozess und nicht als mechanische Anwendung von Normen verstanden werde.

Die Mahnrede Mal 2,10-16 (215-279) verurteile einerseits die Verheiratung mit Frauen, die fremde Götter verehren, und andererseits die Scheidung generell. Während die erstere Aussage als Verschärfung von Aussagen der Tora (vgl. Dtn 7,3) verstanden werden könne, lehne die letztere etwas ab, was Dtn 24,1-4 als legitim voraussetzt. Hier könnte man eine im Alten Testament singuläre Vorstufe von Jesu Umgang mit Dtn 24 sehen (Mk 10,1-9), aber W. sieht in Mal 2,16 keinen wirklichen Widerspruch zu Dtn 24, da beide Passagen in ganz verschiedenen Kontexten stünden (275).

In Mal 2,17-3,6 (280-324) gilt dem Konzept des "Boten, der YHWH den Weg bereitet" besondere Aufmerksamkeit. Auch in diesem Fall knüpfe Mal 3,1 an die Tora (Ex 23,20) an. Allerdings werde unter dem Boten nun eine zukünftige Gestalt verstanden. Im Gegensatz zum Mainstream der historisch- kritischen Exegese betrachtet W. Mal 3,1b-4 nicht als nachträglichen Zusatz, sondern als eine notwendige und deshalb ursprüngliche Erläuterung des Auftrags des Boten. Unter Aufnahme von Formulierungen aus Joel 2,11 werde die Idee des Tages YHWHs auf den Boten übertragen (294). Gleichzeitig werde als das eigentliche Ziel seines Kommens die Reinigung des Kultes und seiner Verantwortlichen sowie die Bestrafung der Gesetzesbrecher bestimmt. Die Aufzählung Letzterer in Mal 3,5 zeige erneut, wie verschiedene Stellen der Tora (Ex 22, 17. 20-21; Lev 5,22.24; 19,12; Dtn 15,18; 24,14.17; 27,19; u.a.) kreativ harmonisiert werden.

In Mal 3,7-12 (325-348) werde die gegenwärtige Lage der Gemeinde als Leben unter dem Fluch bestimmt, der gemäß der Tora (Dtn 28; Lev 26) die angeredeten Gesetzesbrecher getroffen habe. Der Ton aber wird darauf gelegt, dass die Zeit des Fluches zu Ende sei, YHWH im Gegenteil nur darauf warte, seinen Segen regelrecht ausschütten zu können. Auch diese Vorstellung knüpfe mannigfaltig an die Tora an (339, vgl. Mal 3,11 mit Dtn 30,2.9), und zwar auch an deren Erzähltexte (vgl. z. B. "Schleusen des Himmels" Gen 7,11 Priesterschrift). Allerdings würden die Anklänge manchmal in auffälliger Weise gebrochen (angesichts des klaren Bezugs von Mal 3,10 auf Gen 7,11 fragt W. 335: "why is rain not mentioned?"; vgl. auch 340).

Auch den Abschnitt Mal 3,13-21 (349-387) hält W. für literarisch einheitlich. In diesem Abschnitt spielten Tora-Zitate keine argumentative Rolle mehr, stattdessen werde in V. 17 aus dem im vorhergehenden Vers erwähnten "Buch des Gedenkens" zitiert, in dem die Zukunft der Gottesfürchtigen festgehalten ist: Sie werden YHWHs Eigentum sein. Ein Status, den nach der Tora (Ex 19,5; Dtn 7,6; 14,2) eigentlich ganz Israel, und zwar schon in der Gegenwart genieße (363). Der kommende "Tag YHWHs" sei ein nur in prophetischen Texten begegnendes Konzept. Die Besonderheit von Mal 3 liege zum einen darin, dass an jenem Tage gezielt die Gottlosen bestraft werden, wobei die Gottesfürchtigen an deren Bestrafung beteiligt würden (365.377); zum anderen werde die Belohnung der Gottesfürchtigen mit Metaphern beschrieben, die sich in Tag-YHWHs-Texten sonst nicht finden (z. B. "Sonne der Gerechtigkeit").

W. hat eine äußerst gründliche traditionskritische Untersuchung des Wortlauts von Mal vorgelegt. Keine Phrase gibt es, die nicht auf mögliche lexikalische Verbindungen zu anderen Passagen des Alten Testaments geprüft worden wäre. Diese profunde Materialsammlung wird allen nützen, die sich mit Mal beschäftigen. Es fehlt leider etwas die Systematisierung der Ergebnisse. Insbesondere hätte man sich im Abschnitt "12.2 Exegetical Techniques" (399-402) eine Erläuterung des Begriffs "conceptual language" (401) gewünscht, mit dem der Autor wohl den Sachverhalt beschreiben will, dass ältere Traditionen nicht wortwörtlich, sondern ihrem eigentlichen Sinn nach aufgenommen und kreativ angeeignet werden.