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Ausgabe:

Dezember/2002

Spalte:

1285–1287

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Krauss, Rolf

Titel/Untertitel:

Das Moses-Rätsel. Auf den Spuren einer biblischen Erfindung.

Verlag:

München: Ullstein 2000. 352 S. m. zahlr. Abb. 8. Geb. ¬ 24,00. ISBN 3-550-07172-8.

Rezensent:

Bernd U. Schipper

Das vorliegende Buch des Berliner Ägyptologen Rolf Krauss steht für den Versuch, die Erkenntnisse wissenschaftlicher Forschung einem breiteren Adressatenkreis zu vermitteln und zugleich einen Beitrag zur Fachdiskussion um den historischen Mose zu liefern. K.s Leitfaden ist Sigmund Freuds These, es habe sich bei Mose um einen vornehmen Ägypter (Prinz, Priester oder Beamter) gehandelt (87). Dabei verbindet K. die Suche nach dem historischen Mose mit einer Gesamtsicht der Vor- und Frühgeschichte Israels, die er in vier Kapiteln entfaltet und die eine Antwort auf die Frage geben soll, ob die "Heilige Schrift von Historikern oder von Romanautoren geschrieben worden" ist (Klappentext, vgl. 11). Ausgangspunkt ist die These (Kap. 1: "Moses, ein Ägypter", 7-83), dass es sich bei der biblischen Überlieferung über Mose um ein "Produkt der Phantasie" (13) handele, während "jüdische Sagen, die nicht in der Bibel stehen, ... mehr Aufschluß über Mose" geben (88). Die Angaben über Mose bei Josephus, Philo und Artapanos gingen auf eine gemeinsame ältere Tradition zurück (92), so dass K. (Kap. 2 "Mose, ein Pharao", 85-172) nach einem ägyptischen Prinzen sucht, "der Moses hieß, einen Feldzug in Kusch führte und mit dem Pharao in einen Thronstreit geriet" (117). Auf Grund dieses Kriterienkatalogs entfallen alle gängigen Theorien zum historischen Mose, auch die Gleichsetzung mit dem Beamten Bija aus der Zeit Sethnachts (20. Dynastie), wobei es für K. jedoch "denkbar" ist, "dass Moses und Bija Zeitgenossen waren, die sich vielleicht persönlich gekannt haben" (125). Letztlich bleibt einzig die bereits von C. R. Lepsius (1849) und H. Brugsch (1869) geäußerte Vermutung übrig, Mose sei mit einem ägyptischen Beamten namens Mase-saja aus der Zeit Merneptahs (19. Dynastie) identisch (129). Dieser habe als Vizekönig von Kusch einen Aufstand in der Provinz Wawat niedergeschlagen (131) und unter dem Namen Amun-Masesa als Gegenkönig zu Sethos II. regiert (144).

Hat K. damit seine Kernthese vorgestellt, so versucht er in den folgenden Kapiteln (Kap. 3 "Moses und die biblische Geschichte: Dichtung oder Wahrheit", 173-262, Kap. 4 "Moses, ein erfundener Religionsstifter", 263-330), den Nachweis zu führen, dass sowohl das gesamte Bild der Vor- und Frühgeschichte Israels (Josephsgeschichte, Exodus, Landnahme) als auch die Darstellung von Moses als Begründer der Jahwereligion völlig unhistorisch sei (262.284). So erklärt K. letztlich bei seiner Suche nach dem historischen Mose auch noch "das Wann und Wie der biblischen Religion" (293): Das Alte Testament ist ein Produkt der persischen und griechischen Zeit; der Jahwist als Hauptverfasser der alttestamentlichen Mosetradition stand "unter dem religiösen Einfluß der Perser" (310); und die jahwistische Geschichte über Mose speist sich letztlich aus der "geschichtlichen Biografie des ägyptischen Prinzen und Gegenkönigs Mase-saja" (320). Diese wurde über ägyptische Geschichtstradition vermittelt (326) und mit Elementen persischer Tradition angereichert (Mose als ein Prophet wie Zarathustra, 321). Ein umfangreiches Literaturverzeichnis (333-345) und ein Register betonen die von K. angestrebte Wissenschaftlichkeit, so auch der Rückgriff auf Fachsprache (z. B. Jahwist, Priesterschrift) und der Verweis auf einzelne Fachwissenschaftler (angefangen bei W. F. Albright über B. J. Diebner, W. Dever, K. Kenyon und O. Kaiser bis hin zu N. P. Lemche, J. v. Seters, H. Vorländer und E. Würthwein).

K.s These zum historischen Mose hängt zum einen an der Bewertung der Historizität der jüdisch-hellenistischen Überlieferung und zum anderen an der Rekonstruktion der Ereignisse im Ägypten der 19. Dynastie. Wenn K. von der Mose-Rezeption der jüdisch-hellenistischen Literatur, die bekanntermaßen bestimmte biblische Motive ausblendet und die Figur des Mose neu ausdeutet, historische Schlüsse ziehen will, so ist das mehr als gewagt. Auch wenn zum Teil die Quellen jener Autoren im Dunkeln liegen, so macht doch deren Darstellung selbst deutlich, dass sie kaum historisches Wissen enthalten. Bei den hellenistischen Autoren des 3.-1. Jh.s v. Chr. wird Mose kurzerhand zu Josephs Enkel (Apollonios Molon) oder Sohn (Pompeius Trogus), und der für K.s Argumentation (90 ff.107) so wichtige jüdisch-hellenistische Schriftsteller Artapanos (2. Jh. v. Chr.) erhebt Mose sogar zum Lehrer des Orpheus (Eusebius, Praep. Ev. 12,10 ff.). Auch das Motiv der königlichen Abstammung ist letztlich nicht mehr als ein Element der Charakterisierung des Mose als heroenhafte Gestalt in Anlehnung an griechische Topoi (Philo, Vita Mosis 1,32). Aber selbst wenn man K.s These folgen wollte, bekommt man spätestens beim ägyptischen Befund große Probleme. Die Gleichsetzung des unter Merneptah und kurz unter Sethos II. bezeugten Vizekönigs von Kusch Msswjj (bei K: Mase-saja) mit Pharao Amenmesse (alias Amun-masesa) geht zwar auf eine von K. selbst vor 26 Jahren geäußerte These zurück (Studien zur altägyptischen Kultur, 4, 1976, 161-199 und 5, 1977, 131-174). Sie ist jedoch schlichtweg unbeweisbar und konnte sich dementsprechend in der Forschung auch nicht durchsetzen. Das entscheidende Argument für die Gleichsetzung von Msswjj mit Mose - dass es sich bei Amenmesse um einen Usurpator gehandelt habe - beruht allein auf der Determinierung des Kurznamens von Amenmesse, Msjj, im pSalt 124 mit dem Zeichen des gefallenen Feindes. Dies besagt jedoch lediglich, dass Amenmesse, der Herrscher der 19.Dynastie, zur Abfassungszeit des Textes, und damit in der 20. Dynastie, als persona non grata gegolten hat, was u. a. auch durch das Fehlen von Amenmesses Namen in der offiziellen Königsliste von Medinet-Habu unter Ramses III. belegt ist. Insofern wird man mit der gesamten Forschung weiterhin davon ausgehen müssen, dass Amenmesse nicht als Usurpator neben, sondern als rechtmäßiger Pharao vor Sethos II. regiert hat. Damit entfällt jedoch der Vizekönig von Kusch, Msswjj, im K.schen Sinne als möglicher Kandidat für Mose, da sich für ihn kein Thronstreit mit dem Pharao (so Kriterium, 117) nachweisen lässt. K. betont selbst, dass die Tatsache, dass "Mase-saja" wie "der jüdische Sagenprinz Mose" in Äthiopien/Kusch gekämpft hat, nicht viel besagt, da dies auch für die älteren Vizekönige Thut-mose und Meri-mose belegt ist (131). Insofern gibt es de facto keinen ägyptischen Beamten oder Vizekönig von Kusch, der mit den Angaben der jüdischen Quellen gleichgesetzt werden könnte, und die neue Suche nach dem historischen Mose bleibt letztlich ergebnislos. Somit ist auch nach der Lektüre von K.s Buch die Frage nach dem historischen Mose so ungeklärt wie zuvor - nur wird dies den zahlreichen nichtfachwissenschaftlichen Lesern, die K.s Theorie schon aus dem Spiegel (26, 1997, 190-192) kennen, nicht bewusst sein. Dementsprechend führt das Buch von K. die Notwendigkeit vor Augen, Erkenntnisse der historisch-kritischen Wissenschaft auch einem breiteren Publikum zu vermitteln - denn das Interesse daran ist ungebrochen.