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Ausgabe:

Dezember/2002

Spalte:

1282–1285

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Heim, Knut Martin

Titel/Untertitel:

Like Grapes of Gold Set in Silver. An Interpretation of Proverbial Clusters in Proverbs 10:1- 22:16.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2001. XIV, 378 S. m. zahlr. Tab. gr.8. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 273. Lw. ¬ 98,00. ISBN 3-11-016376-4.

Rezensent:

Jutta Krispenz

"Workers in the field of proverbs are comparatively few in number and the tasks they undertake offer many difficulties. The necessary books are often hard to obtain; the languages in which they are written may not be easy to read; and information is lacking. Nevertheless, studies in proverbs can be said to be flourishing."1

Das Zitat des Sprichwörterforschers Archer Taylor liest sich heute, gut dreißig Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung, als hätte Taylor die heutige Diskussion um das biblische Sprüchebuch vor Augen gehabt. Insbesondere die Tatsache, dass trotz zahlreicher Schwierigkeiten, vor die gerade dieses biblische Buch seine Ausleger stellt, in den vergangenen Jahren immer wieder Monographien zum Buch der Sprüche erschienen sind, verbindet die Situation in der Exegese des Alte Testaments mit Taylors Diagnose. So lässt sich Knut Martin Heims Buch "Like Grapes of Gold Set in Silver" in eine breitere Diskussion einfügen, die um die Frage nach möglichen Zusammenhängen in den Sentenzensammlungen des salomonischen Sprüchebuches kreist. Gerade die Frage nach bewusst gestalteten Zusammenhängen hat sich für diesen Textbereich als entscheidend erwiesen. Sie ist auch nach der Veröffentlichung von H.s unter der Ägide von A. R. Millard entstandener Dissertation kaum schon endgültig beantwortet, wohl aber um einige Einsichten und Klärungen bereichert.

Nach einer kurzen "Introduction" beginnt H. seine in drei Teile gegliederte Untersuchung mit einem Forschungsüberblick, der sich im Wesentlichen auf solche Werke beschränkt, die ab der zweiten Hälfte des 20. Jh.s erschienen sind. Diesen Überblick hat H. sehr sinnvoll nach sachlichen Kriterien in drei Teile gegliedert. Unter der Überschrift "Denial of Coherent Groupings" werden Arbeiten von R. B. Y. Scott, W. McKane, C. Westermann und S. Weeks besprochen. Der Abschnitt "Proverb Performance Context" setzt sich mit Arbeiten von C. Fontaine und C. Camp auseinander, die sich dadurch auszeichnen, dass sie versuchen - in Aufnahme eines Aufsatzes von B. Kirshenblatt-Gimblett - für die einzelnen Sprüche einen sozialen Kontext zu bestimmen. Der dritte und letzte Abschnitt dieses Teils stellt solche Arbeiten zusammen, in denen eine "Affirmation of Coherent Groupings" zu finden ist. H. unterteilt diesen Abschnitt nach den Kriterien, mit denen Kohärenz jeweils begründet wird. Das erste dieser Kriterien freilich wird lediglich "in an unreflected manner, probably under the influence of the commentary genre" (28) eingesetzt: Keiner der von H. hier Genannten (Plöger, Alonso-Schökel, Meinhold und Perdue) hat für die Kapitelgrenze als strukturierendes Element argumentiert. Anders ist das dann schon bei dem zweiten Kriterium, dem Auftreten von "erzieherischen" Sprüchen, die seit Ewald und Delitzsch und in der Folge von Alonso-Schökel, Meinhold, Toy, Wildeboer, Hermisson, Whybray, Westermann, Scoralick und Goldingday in der einen oder anderen Weise als Strukturelemente diskutiert werden.

Zum Kriterium "Paronomasia and Catchwords" bespricht H. die Arbeiten von G. Boström, H.-J. Hermisson, St. C. Perry und J. Krispenz. Theologische Reinterpretation wurde öfter als Kriterium für eine redaktionelle Überarbeitung verwendet, so von W. McKane, R. B. Y. Scott, R. N. Whybray und M. Sæbø, während für A. Meinhold die entsprechenden Sprüche die Texte schon auf der Ebene der ersten Komposition strukturieren. Schließlich geht H. noch auf T. Hildebrandts Aufsatz zu Spruchpaaren ein. Nach einem Abschnitt über Kommentare zum Sprüchebuch (die Kommentare von Plöger, Alonso-Schökel, Meinhold, Garett, Murphy und Perdue werden hier besprochen) setzt H. sich noch mit dem Strukturkriterium der "Variant Repetitions" auseinander, wie es in den Arbeiten von D. Snell und R. Skoralick Anwendung findet. Eine Besprechung der von R. N. Whybray in verschiedenen Publikationen entwickelten Sicht zur Anordnung der Sentenzen schließt die Reihe der Besprechungen ab. Der forschungsgeschichtliche Teil bietet eine erhellende Zusammenfassung der bisherigen Bemühungen, die Anordnung der Sprüche zu verstehen.

H.s Darstellungen der einzelnen Sichten zeichnen sich durch Sachlichkeit und Fairness aus. Leider hat er aber offenbar Boströms Buch nicht mit derselben Sorgfalt wahrgenommen, die er den anderen Beiträgen zum Thema angedeihen lässt, möglicherweise ist seine - aus der Perspektive der Arbeit Boströms nur schwer verständliche - Reserve gegenüber der Bedeutung von Paronomasien eine Folge davon. Leider steht H. mit dieser Rezeption von Boströms Buch nicht allein. Mag sein, dass auch hier der oben zitierte A. Taylor Recht hat: Das Buch Boströms gehört zu den Arbeiten, die in einer offenbar schwer zu lesenden Sprache geschrieben sind. Besonders H.s Einschätzung, Paronomasien und Alliterationen könnten, wegen des geringen Umfangs des hebräischen Alphabets zufällig entstanden sein, würde durch Boströms Arbeit ebenso widerlegt, wie durch das Beispiel etwa der deutschen Sprache: Alliterationen wirken dort auch dann, wenn sie vom Autor ungewollt sind - sie wirken zumindest störend. Dies gilt, obwohl das deutsche Alphabet unter seinen 26 Buchstaben nur 21 Konsonanten aufweist, mithin noch weniger umfangreich ist als das hebräische.

Der forschungsgeschichtliche Teil mündet in eine Zusammenfassung des von H. erhobenen Forschungsstandes, den H. dazu nützt, seine Einschätzung des jeweiligen Kriteriums zu formulieren und in sieben Thesen zur Beschaffenheit und Bedeutung der Komposition in den Sentenzensammlungen des Sprüchebuches zusammenzufassen. Der Ausblick auf die folgenden Kapitel formuliert das Untersuchungsprogramm der Studie in der Form von drei zentralen methodischen Fragen.

Der zweite Teil "On reading Proverbs in a Collection" umfasst drei Abschnitte, die aus der Menge der zuvor beschriebenen Themenfelder drei Fragestellungen herausgreifen und eingehender behandeln.

Kapitel 4 "Towards a Theory of Proverb reading in a Collection" thematisiert die pragmatische Einbettung als bedeutenden Faktor bei der Verwendung und der Rezeption von Sprichwörtern im alltäglichen Gebrauch. Er stützt sich hierfür auf eine Arbeit von R. M. Harnish, deren Ergebnisse er auf das Buch der Sprüche überträgt mit der Maßgabe, hier sei die Aufgabe korrekter Anwendung zur Aufgabe korrekter Entschlüsselung geworden und vom Verwender des Spruches auf den Leser übertragen. Situative Einbettung und literarischer Kontext werden dabei letztlich in eins gesetzt und die Aufgabe, die "intentio operis" zu erheben, wird fallen gelassen: An dessen Stelle tritt das Verständnis des Lesers unserer Zeit. Dessen Bedürfnis, von der Masse der im Buch der Sprüche überlieferten Sentenzen nicht überwältigt zu werden, erzwingt eine Lesestrategie, die den Stoff in handhabbare Stücke aufteilt. Die Frage nach einer historisch verifizierbaren Strukturierung der Sentenzensammlungen verschwindet in diesem Abschnitt ganz aus dem Blickfeld.

In Kapitel 5 "The Linguistic Study of Appellations in Proverbs" geht H. der Frage nach, ob die im Buch der Sprüche verwendeten positiven bzw. negativen Typisierungen wie Gerechter vs. Frevler oder Weiser vs. Tor letztlich als Synonyme aufzufassen sind. Zur Beantwortung der Frage untersucht H. alle Appellativa in Prov 10 hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zu semantischen Gruppen. Drei wesentliche Gruppen kristallisieren sich dabei heraus: "Moral Appellations", "Intellectual Appellations" und "Terms of the Semantic Field of Diligence". Auf diese drei Gruppen lassen sich fast alle Appellativa aus Prov 10 verteilen (zu den sechs Termini, die sich nicht diesen Gruppen zuordnen lassen zählen allerdings die Begriffe ryv[, yld, rswm, rmwv und tjkwt bzw. [ ). Innerhalb der Begriffsauswahl, die Prov 10 bietet, kommt H. zu dem Ergebnis, dass die fraglichen Charakterisierungen auf der negativen bzw. positiven Seite zwar nicht synonym, jedoch korreferentiell sind.

Das sechste Kapitel, das den dritten Teil der Arbeit abschließt, trägt den Titel "Criteria for the Delimitation of Editorial Clusters in Proverbs". An dieser Stelle bezieht sich H.s Argumentation auf die am Beginn der Studie dargelegte Forschungsgeschichte. Aus ihr versucht er, seine Kriterien für die Abgrenzung zu extrahieren. Das führt zu einigen weiterführenden Beobachtungen - so etwa derjenige, dass nicht ein einziges Kriterium für die Abgrenzung von Abschnitten benannt werden kann, dass vielmehr verschiedene Möglichkeiten der Formung und Ausgrenzung zum Zuge kommen oder dass "thematische Entwicklung" ein sehr problematisches Kriterium ist - kann aber seine eigene Vorgehensweise nicht wirklich überzeugend fundieren. Dazu wäre eine Ableitung aus einer allgemeinen Texttheorie nötig gewesen. H.s Argumentation changiert an dieser Stelle auf recht bezeichnende Weise zwischen dem Ziel, eine Abgrenzung von Sprüchen auf historischer Basis zu erheben, und dem Wunsch, den Sprüchen aus der Perspektive des heutigen Lesers einen Zusammenhang erst zu verschaffen. Tatsächlich lässt sich ja für jede beliebige Gruppe von Sprüchen ein sinnvoller Zusammenhang finden, das liegt nicht an den Sprüchen, sondern daran, dass der menschliche Geist danach strebt, Sinn zu entdecken. Die Aufgabe, vor die uns die Sentenzensammlungen stellen, besteht aber darin, diejenigen Zusammenhänge zu erheben, für die wahrscheinlich gemacht werden kann, dass sie nicht (nur) unsere modernen Kohärenzvorstellungen erfüllen, sondern dass sie von einem der biblischen Autoren tatsächlich in den Texten angelegt wurden (immerhin sollte man nicht vergessen, dass Exegeten über Jahrhunderte hin die Sprüche praktisch kontextfrei verstanden haben).

So beginnt H. im dritten Teil seiner Arbeit die Suche nach und Auslegung von Abschnitten innerhalb der unstrukturiert erscheinenden Folge von Sentenzen auf einer nicht allzu festen Grundlage. Die "Exegesis of Proverbs 10:1-22:16" - sie umfasst zwei Drittel des gesamten Buches - muss ohne ein begründetes Set an Kriterien auskommen.

Auf diesem Wege erhält H. folgende Abschnitte: 10,1b-5; 6-11; 12-18; 19-22; 22-25; 27-30; 31-32; 11,1.2-14; 15-21; 22-31; 12,1-7; 8- 12; 16-23.25; 24.26-28; 13,1-6; 7-11; 12-19; 20-25; 14,1-3; 4-9; 10-14; 15-18; 19-22; 23-27; 28-35; 15,1-4; 5-12; 13-18; 19-23; 24-27; 28-33; 16,1-9; 10-11; 12-15; 16-19; 20-24.26; 25.27-30; 31-33; 17,1-9; 10-16; 17-20; 21-25; 26-28; 18,1-8; 10-15; 16-19; 20-24; 19,1-10; 11-15; 16-24; 25-20,4; 5-13; 14-19; 20-21,4; 5-8; 9-19; 20-29; 30-31; 22,1-5; 6-16.

Die Einzelexegesen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, werden jeweils untergliedert in einen Abschnitt zur Textkritik, einen zur Abgrenzung und einen, der den Abschnitt als "Proverbial Cluster" darstellt. H. tritt in seinen Exegesen mit der Vorgängerliteratur in einen Dialog ein, und kann auf diese Weise öfter positiv an bereits Erarbeitetes anknüpfen und die disparate Diskussion voranbringen. An einigen wenigen Stellen zeigt sich inzwischen ein Konsens hinsichtlich der Einteilung des Textes in Abschnitte. Das ist besonders in Prov 14 der Fall. Über weite Strecken aber gibt es nach wie vor so viele Meinungen wie Exegeten und H. fügt diesen noch eine weitere hinzu, eine freilich, die in den Einzelexegesen zu durchaus interessanten und lohnenden Einsichten gelangt. Eine knappe Zusammenfassung schließt den Text des Buches ab. An sie schließt H. einen Vorschlag für ein neues Layout der Bibelübersetzung von Prov 10 an - ein Vorschlag, dem die zuständigen Bibelanstalten angesichts der unabgeschlossenen Diskussion hoffentlich nicht allzu schnell folgen werden. Die in einem Anhang beigefügten Tabellen "Syntagms of Characterizations and Appellations in Proverbs 10" erschließen sich nur im Zusammenhang mit Kapitel 5. Ein Literaturverzeichnis und zwei Register (Scripture Index; Index of Words and Subjects) vervollständigen den Band.

H. hat neben der Darstellung seiner eigenen Position der Diskussion mit vorliegenden Ansichten breiten Raum gegeben. Sein unpolemischer Umgang mit sehr unterschiedlichen Ansätzen bietet dem Leser einen guten Einblick in den Stand der Diskussion zu diesen so spröden Texten. Schon damit hat er sich um diese Diskussion verdient gemacht.

Fussnoten:

1) Archer Taylor in: Proverbium 8, 1967, 161.176, zitiert nach Proverbium 22, 1973, 820.