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Ausgabe:

Dezember/2002

Spalte:

1273–1275

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Nissinen, Martti [Ed.]

Titel/Untertitel:

Prophecy in its Ancient Near Eastern Context. Mesopotamian, Biblical, and Arabian Perspectives.

Verlag:

Atlanta: Society of Biblical Literature 2000. XII, 161 S. gr.8 = Society of Biblical Literature, 13. US$ 29,25. ISBN 0-88414-026-1.

Rezensent:

Aaron Schart

Der Sammelband geht zurück auf eine Arbeitsgruppe im Rahmen des Society of Biblical Literature International Meeting in Lahti/Finnland am 21. Juli 1999.

Der erste Teil umfasst "Studies in Method". Hans M. Barstad (3-11) trägt nützliche Literaturhinweise zur Methodologie des religionsgeschichtlichen Vergleiches zusammen.

Lester L. Grabbe (13-32) widmet sich dem kulturübergreifenden Vergleich des Phänomens Prophetie in folgenden Punkten: Offenbarungsempfang, soziales Setting, Lifestyle, Testverfahren, literarische Präsentation, Redeformen. In sozialer Hin- sicht scheine Prophetie besonders in Krisenzeiten aufzutreten, vielfach mit militärischer Zuspitzung.

So versprach etwa der Shawnee-Indianer Tenskwatawa (frühes 19. Jh. in Nordamerika) seinen Kriegern, dass die Geschosse der Armee der Vereinigten Staaten ihnen nichts anhaben würden (20-21). Obwohl in den erhaltenen Mari-Briefen von besonderen Berufungserlebnissen keine Rede ist, müsse es, angesichts des Vergleichsmaterials aus anderen Kulturen, wenigstens für den in den Texten muhhûm genannten Prophetentyp, solche Erlebnisse und auch autobiographische Berichte darüber gegeben haben (29-30). Gerade in der Frage der Rekonstruktion von Phänomenen aus lückenhaftem Datenmaterial hätte man sich ein paar Gedanken dazu gewünscht, warum für die Rekonstruktion der Berufungserlebnisse der Mari-Propheten ausgerechnet der Delaware-Prophet aus der Ghost-Dance Bewegung eine enge Analogie bilden soll.

David L. Petersen (33-44) beschreibt, welche Typen sich hinsichtlich des Verständnisses dessen unterscheiden lassen, was einen israelitischen Propheten wesentlich ausmacht: der mit außergewöhnlicher Wahrnehmungsfähigkeit Begabte (Gunkel, "geheime Erfahrung", Hölscher, "Ekstase"), der Poet (Herder), der Kultbeamte (Mowinckel, "Kultprophetie"), der Ungebundene (Max Weber, "Charisma"), der Vermittler zwischen göttlicher und menschlicher Welt (James Muilenburg, Robert Wilson, Thomas Overholt, Petersen selbst, "intermediary"), der fortschrittliche religiöse Denker (Wellhausen, "ethischer Monotheismus"). Zum Schluss (41-43) kommt Petersen noch auf das Thema "Prophets and Prophetic Literature" zu sprechen. Während im Alten Testament eine vielfältige prophetische Literatur entstanden sei, habe es das im Alten Orient erst in ersten Ansätzen gegeben.

Den zweiten Teil des Sammelbandes "Studies in Sources" beginnt Herbert B. Huffmon mit seinem Beitrag über Prophetie in Mari, Assyrien und Israel (47-70). Für Mari weist er darauf hin, dass die Prophetien vom Königshof zwar ernst genommen, aber den technischen Orakeln untergeordnet wurden. Das beweise vor allem der Brauch, dem brieflichen Bericht über das Auftreten eines Propheten in bestimmten Fällen eine Haarlocke und einen Teil des Gewandsaums beizulegen. Diese wurden offensichtlich in entsprechenden Divinationsverfahren benutzt, um die Glaubwürdigkeit der Prophetien zu überprüfen (49- 50). Inhaltlich sagten die Propheten typischerweise Erfolg oder Gefahr für den König voraus. Aber es kämen auch Forderungen an den König vor, insbesondere die, den Kult der jeweils involvierten Götter nicht zu vernachlässigen. Eine dem König gegenüber besonders kritische Gruppe seien die apilu-Propheten des Gottes Addu von Aleppo/Kallassu. Sie erinnerten den König daran, dass Addu dem König Zimri-Lim das Königtum verliehen habe, es ihm aber auch wieder nehmen könne, wenn er nicht den Unterdrückten helfe (54). Auch die neu-assyrischen Prophetien seien von den Königen Asarhaddon und Assurbanibal, an die die Prophetien gerichtet waren, sehr ernst genommen worden (58). Von einer Überprüfung der Prophetien sei nirgends die Rede. Die israelitischen Propheten könnten sich wie in Mesopotamien direkt an Könige wenden. Aber sie täten das nicht aus Sorge um das Wohlergehen des Königs, sondern um ihn zu bewegen, durch seine Herrschaft YHWHs Rechtswillen zur Geltung zu bringen.

Karel van der Toorn beginnt seinen Vergleich der alt-babylonischen mit der neu-assyrischen Prophetie (71-87) zunächst ebenfalls mit der unterschiedlichen Quellenlage. Die Erstellung von Sammeltafeln hänge wohl damit zusammen, dass die Orakel nicht nur den einen König Asarhaddon, sondern seine ganze Dynastie betrafen. In Mari seien sodann nur bei einem Teil der Propheten deren Eigennamen angegeben, in den neuassyrischen Texten dagegen bei allen. Schließlich träten die Propheten in Mari, bis auf wenige Ausnahmen, im Tempel auf, und würden dort dem Kultbild die Stimme leihen (80-82). In den assyrischen Tafeln würden über die Umstände des Auftretens keine Angaben gemacht. Es sprächen jedoch einige Indizien dafür, dass die Propheten ihre Eingebungen unabhängig von institutionellen Vollzügen erhielten. Hintergrund dessen sei die Entwicklung zur Vorstellung von der grundsätzlichen Transzendenz der Gottheit in der neu-assyrischen Religion. Die Gottheit sei zur Kommunikation mit den Menschen nicht mehr an ihr Kultbild gebunden, sondern könne vom Himmel her unvermittelt eingreifen (82-84).

Martti Nissinen unternimmt eine religionssoziologische Beschreibung der neu-assyrischen Propheten (89-114). Beide Titel, die für Propheten beiderlei Geschlechts benutzt werden, mahhu/mahhutu und raggimu/raggintu, bezeichneten einen besonderen Bewusstseinszustand, in dem der Empfang göttlicher Botschaften möglich ist, am ehesten die Ekstase (90-93). Im Unterschied zum Alten Testament, in dem direkte Konfrontationen zwischen Prophet und König berichtet sind (z. B. Jes 7), gebe es in den erhaltenen assyrischen Quellen keine eindeutigen Hinweise darauf, dass die Propheten ihre Orakel auch direkt vor dem König verkündet haben. Im Vergleich mit anderen Berufsgruppen, die den Willen der Götter zu erkunden hatten (Astrologen, Leberschauer u. a.), hätten die Propheten folgende Merkmale: hoher Anteil von Frauen, Propheten schrieben nicht selbst Briefe an den König, unmittelbarer Kontakt zur Gottheit, keine "wissenschaftliche" Ausbildung, Propheten waren keine Mitglieder des königlichen Beraterstabes (109).

Jaakko Hämeen-Anttila behandelt die arabische Prophetie (115-146). Auch auf diesem Gebiet hat sich eine zunehmende Skepsis verbreitet, was die Möglichkeit der Rekonstruktion der ursprünglichen, mündlichen Auftritte der Propheten aus den vorhandenen schriftlichen Quellen angeht (117-119). Die islamische Entwicklung hin zum Kalifat, die autoritative Fixierung der Biographie Mohammeds und die Auseinandersetzungen mit Juden- und Christentum hätten eine Konzeption von Prophetie entstehen lassen, deren historische Zuverlässigkeit mitunter äußerst zweifelhaft erscheint. Der historische Mohammed sei vor der Hedschra "an intinerant prophet, preaching and conveying a moral message to various tribes and towns", gewesen (132). Erst in Yathrib (später: Medina) habe er sich durch engen Kontakt mit der dortigen jüdischen Gemeinde den biblischen Propheten angeglichen (132). Über die Art des Offenbarungsempfangs bei Mohammed könne man wenig Verlässliches sagen, es scheint aber, dass die Audition im Vordergrund stand, Träume und Visionen aber auch vorkamen (133-135). Islamische Schriften wüssten von Propheten neben und nach Mohammed, würden diese aber lediglich als Falschpropheten ("ridda prophets" 136) darstellen. Erst im Laufe des 8. Jh.s habe sich die Vorstellung von einem Ende der Prophetie mit Mohammed als Siegel verfestigt (146).

Es handelt sich um einen interessanten Sammelband, der einen guten Überblick über die inzwischen zahlreichen Forschungen zum Thema verschafft. Thematisch steht die sozio-religiöse Rolle der Prophetinnen und Propheten im Zentrum, Rede-/Literaturformen und Inhalte kommen nur am Rande vor. Immer wieder finden sich Verweise auf das Alte Testament, die über das Stellenregister auch leicht auffindbar sind. Einerseits kann man sich mit Hilfe der Analogien besser vorstellen, wie israelitische Prophetinnen und Propheten wohl aufgetreten sind, ehe die Sprüche mancher von ihnen schriftlich herausgegeben wurden. Andererseits wird deutlich, dass es nur im Falle des Korans etwas den alttestamentlichen Prophetenbüchern Vergleichbares gibt. Deshalb ist eine historisch-kritisch arbeitende Koraninterpretation ein wichtiger Gesprächspartner für die alttestamentliche Exegese.