Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2002

Spalte:

1264–1266

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Rüpke, Jörg

Titel/Untertitel:

Die Religion der Römer. Eine Einführung.

Verlag:

München: Beck 2001. 264 S. m. 23 Abb. Kart. ¬ 19,90. 8. ISBN 3-406-47175-7.

Rezensent:

Christoph Auffarth

Römische Religion prägt die europäische Entwicklung und das Verständnis vom Ort der Religion in der Kultur auch dort, wo ihr ausdrücklich widersprochen wird; wo Glauben, Entscheidung, Wort und Mythos der Institution, der Priesterhierarchie, dem Ritual vorgezogen wird. Doch eine Einführung, die Kontinuitäten und Differenzen klar macht, suchte man bislang vergebens. In der Jurisprudenz ist die Tradition und Rezeption des römischen Rechts in guten Lehrbüchern und Forschungen dargestellt; die römische Kirche dagegen will sich lieber nicht als Erbin römischer Religion sehen, will sie sich doch vom Polytheismus inhaltlich unterscheiden. Da war das Handbuch von Kurt Latte (1961) Balsam, wenn es fast ausschließlich von der Bauernreligion der Frühzeit sprach, einer Naturreligion voller Merkwürdigkeiten, Augenblicksgöttern wie dem Getreidebrand, eine Religion, an die die Römer später selbst nicht mehr glaubten. Warum es dann doch noch Neubauten von Tempeln, kontinuierlich Opfer gab, ließ sich so nicht beantworten.

Nun sind fast gleichzeitig zwei vorzügliche Einführungen erschienen, eine Darstellung mit Quellenband1 und die hier zu besprechende Einführung von Jörg Rüpke, Religionswissenschaftler an der Universität Erfurt. Hier werden nicht Listen von Göttern und Ritualen aneinandergereiht, sondern Voraussetzungen werden geklärt: Was ist und wie funktioniert Polytheismus, was unterscheidet die (von der Gestalt her menschlich dargestellten) Götter von den Menschen, was ist rituelles Handeln im Unterschied zu anderen Verhaltensweisen? Gerade dieses Kapitel macht deutlich, dass es nicht um Bedeutung, nicht um letzte Sinndeutungen geht, indem sich Religion letztlich immer um die Sterblichkeit drehe, sondern um "Verknüpfen", um ein Netz von Sicherheit im Alltag. Nach A kommt B und wenn B ausbleibt, muss A noch einmal wiederholt werden. Im Kapitel 5 "Nachdenken über Religion" kehrt R. die Linie von Latte um: Mitten in den Jahren der Krise der Republik wird Religion wichtig, die Kritik des Spötters Caesar führt nicht zur Abschaffung, sondern zur Neuschaffung der Religion; Philosophen wie Cicero und Varro werden zu Sinnstiftern der Rituale. Religiöses Handeln wird zur Voraussetzung des Bestandes der Stadt und des Staates erklärt.

Damit kann R. nun im Teil II die "Leistungen" der Religion erklären: In Opfer und Festessen wird die soziale Ordnung vor aller Augen geführt. Wie Religion Handlungen erfolgreich zu einem Ende führt oder eben gerade verhindern soll durch Gelübde und Fluch, macht deutlich, dass "Magie" nicht einen von Religion zu unterscheidenden unerklärbaren Rest darstellt, der vom einfachen Volk benutzt würde. In der Stadt als Raum des Lebens sich zurechtzufinden und Orientierungen vor Augen zu haben, "leistet" Religion durch architektonische Zuordnungen und ihre "Erfahrung" in Gestalt von Prozessionen. Der religiösen Landkarte entspricht der religiöse Kalender, für den R. heraushebt, dass erst durch allgemein akzeptierte und bekannte Zeitraster Kommunikation geplant werden kann. Kalender ist dann nicht ein "religiöses" Element der Frühzeit, das später rationalisiert und für andere Zwecke eingespannt wird, sondern von Anfang an mehrdimensional: Diese kulturwissenschaftliche Herangehensweise, nicht (nur) nach den Inhalten (und ob wir sie glauben oder nicht), sondern auch nach der Funktion zu fragen - zumal im Anschluss an Luhmann -, macht aus den je historischen Sondernfällen R.s Buch zum Muster einer religionswissenschaftlichen Perspektive, das man mit vielen Einsichten auch in andere Religionen liest, nicht zuletzt auch mit Einsichten in die Anwesenheit von Religion in der Moderne.

Der Teil III zeigt, wie Religion soziale Realität abbildet und strukturiert. Exzellent ist das Kapitel "Großstadtreligion", das Bauern- und Naturreligion als völlig verfehlte Perspektive erweist. Das Kapitel "Religiöse Spezialisten" öffnet die Perspektive vom Einmannbetrieb "Priester" und "Tempel" in die Komplexität eines religiösen Betriebs, seiner Ökonomie, der Gebäude und Nebengebäude eines Heiligtums und der Unterscheidung von religiösem Wissen auf der einen und Priesterämtern als Aufstiegsmöglichkeit in der sozialen Hierarchie auf der anderen Seite. Das letzte Kapitel greift noch einmal die knappe historische Perspektive des Kapitels 2 "Von der Wölfin zum Caesar" auf - "Vom Caesar zum Lamm" soll nun heißen, dass hier die Linie von der kaiserzeitlichen Religion zur Romanisierung des Christentums (so, und nicht umgekehrt: Christianisierung Roms) gezogen wird. Eine Geschichte der römischen Religion versucht R. nicht, denn das ergäbe nicht eine, sondern viele Geschichten.

Quellenzitate und 23 Abbildungen machen das Buch anschaulich. Die Sprache des Buches zwingt dauernd zur reflektierenden Auseinandersetzung, weil sie nicht erzählt oder aus Anekdoten weitreichende Schlüsse zieht, sondern jederzeit Einzelheiten einer systematischen Religionswissenschaft einordnet. Eine ausführliche Bibliographie, systematisch gegliedert und knapp kommentiert, sowie ein Register erweitern die Einführung zum Studienbuch. Ein Handbuch will es nicht sein. Endlich liegt eine moderne Darstellung vor, die auch Perspektiven über das antike Rom hinaus eröffnet. Pflichtlektüre für alle, die Religionen der Antike bearbeiten.

Fussnoten:

1) Mary Beard, John North, Simon Price: Religions of Rome. Cambridge 1998.