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Ausgabe:

Dezember/2002

Spalte:

1261–1263

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hirnsperger, Johann, Wessely, Christian, u. Alexander Bernhard [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wege zum Heil? Religiöse Bekenntnisgemeinschaften in Österreich: Selbstdarstellung und theologische Reflexion.

Verlag:

Graz-Wien-Köln: Styria 2001. 234 S. gr.8 = Theologie im kulturellen Dialog, 7. Kart. ¬ 21,50. ISBN 3-222-12867-7.

Rezensent:

Karl Friedrich Reimers

Anfang 1998 ist in der Republik Österreich ein Bundesgesetz über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften (PRBG) in Kraft getreten, das nicht nur einen bemerkenswerten Einschnitt in das bisherige österreichische Staatskirchenrecht bedeutet; es dürfte schon in absehbarer Zeit eine grundlegend neue Entwicklung im dortigen Verständnis für die und den Umgang mit den "neuen" Religionsgemeinschaften mit sich bringen, deren Konsequenzen vielfältig gestaltet sein könnten. Unter den rund 8 Millionen Österreichern herrscht mit knapp 75 % die Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Kirche vor: die "stabile Minderheitengröße" wird mit 6 % von den evangelischen Österreichern gestellt; auf die Muslime entfallen 2 %, auf die Altkatholiken ebenfalls 2 %, auf die Juden 0,1 %. Quer zu einer solchen Zugehörigkeitsstatistik aber bilden sich gerade auch in Österreich auf vielfältigste Weise so genannte "neue" Religionsgemeinschaften, die zunehmend nach eigenen Plätzen in überwiegend römisch-katholischer Umgebung verlangen. Vor allem aus diesem Grund hat die Katholisch-Theologische Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz noch 1998 einen Studientag veranstaltet, der dem neuen Gesetz gewidmet und dem Zusammenhang zwischen religions-"politischen", kirchengeschichtlichen und theologischen Positionen verschrieben war. Aus diesem Studientag ist nun der vorliegende Sammelband hervorgegangen.

Es spricht für die praktische Weitsicht der Herausgeber, dass sie den ersten umfangreicheren Teil dieser Sammelpublikation einer Selbstdarstellung der neuen Bekenntnisgemeinschaften, die bisher "ordentlich eingetragen" staatliche Anerkennung genießen, überlassen haben.

Den Anfang macht die Bahá'í-Religion, vorgestellt von einem Religionsgelehrten aus der Gemeinschaft und dem Vorsitzenden des Geistigen Rates in Wien; die österreichische Gesamtgemeinde besteht heute aus 1200 Gläubigen, vertreten von 26 örtlichen Geistigen Räten. Auch in Österreich bekannter und vertrauter sind die dann folgenden Baptisten, über die der theologisch promovierte Pastor der baptistischen Gemeinde Wien und ein ebenfalls promovierter Gemeindesachverständiger informieren; ihr Profilmotto lautet erhellend "Zahlreich in der Welt, kaum präsent in Österreich" (eine aktuelle Organisationsbilanz fehlt leider). Als Bewegung für religiöse Erneuerung wird darauf die Christengemeinschaft vom Pfarrer in Graz vorgestellt, der religionsgeschichtlich rund um Friedrich Rittelmeyer und Rudolf Steiner weit ausholt; in ganz Österreich gibt es derzeit nicht viel mehr als 500 eingetragene Mitglieder.

Ein Pfarrer und Mitglied der Theologischen Kommission stellt sodann den Bund Evangelikaler Gemeinden in Österreich vor, die sich als "moderne Gemeinden auf dem Boden der Hl. Schrift" verstanden wissen möchten, infolge ihrer erst in den 1980er Jahren greifbarer gewordenen Kommunikation bisher jedoch nur wenig über ihre stabilen Mitgliedschaften sagen können. In der Selbstdarstellung der Freien Christengemeinde-Pfingstgemeinde, verfasst von deren Pastor und Vorsitzendem in Bad Ischl, finden wir dagegen sofort Konkretes: Hier geht es um rund 1700 Mitglieder in 33 Gemeinden und Versammlungsorten, darunter ein rumänischer Zweig mit rund 300 Mitgliedern in sechs Gemeinden. Ein weibliches monastisches Mitglied, zur M. A. graduiert, gibt in diesem Band einen Überblick über die Hinduistische Religionsgesellschaft in Österreich (HRÖ), "eine universelle geistig-kulturelle Gemeinschaft"; zur ersten hinduistischen Gemeinde der HRÖ, der erst 1991 gegründeten Hindu-Mandir-Gesellschaft Wien, gehören bisher mehr als 500 Familien (deren Hochrechnung auf eine größere Zahl von Einzelmitgliedern freilich Spekulation bliebe). Bemerkenswert geschichtssolide sind die darauf folgenden Informationen über Jehovas Zeugen in Österreich, geschrieben von einem Wiener Vorstandsmitglied: "Praktiziertes Christentum"; da wird zeitgeschichtlich Ergreifendes skizziert und belegt, fast 22.000 Mitglieder in 300 Ortsversammlungen zählt diese Gemeinschaft heute! Ein Theologie-Dozent und leitender Pastor führt den Leser in die österreichische Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten ein, die wir in der Schweiz als Freikirche und in Deutschland schlicht als Gemeinschaft kennen - ohne allerdings mit genaueren Österreich-Fakten zu arbeiten. Zum Schluss wird die Koptisch-Orthodoxe Kirche gewürdigt, Verfasser sind ein Pfarrer und ein sachverständiger Kirchenmitarbeiter: "... gesegnet ist Ägypten, mein Volk ..." (Jes 19,25); von 1976 gerechnet, gibt es in Wien mittlerweile über 3000 Kopten, in der Steiermark über 700, in verschiedenen anderen Stadtgemeinden insgesamt noch fast 500. Hier wird zugleich noch einmal besonders greifbar, wie fragwürdig es bleibt, allzu großzügig synoptisch von "neuen" Bekenntnissen und Gemeinschaften zu reden.

Im zweiten Teil des Sammelbandes wird das empirisch und selbstdarstellend Zusammengetragene gründlicheren Reflexionen unterzogen. Johann Hirnsperger, Grazer Ordinarius für Kanonisches Recht, macht leicht nachvollziehbar, welche Gesetzeslücke mit der Schaffung einer besonderen Rechtspersönlichkeit privaten Rechts für Religionsgemeinschaften geschlossen werden konnte. Mit den Altregelungen des Staatsgrundgesetzes von 1867 als Normengebung war den neueren Entwicklungen im mittlerweile doch nicht mehr so "ganz katholischen" Österreich als Bundes-Republik im zusammenwachsenden Europa keineswegs mehr Rechnung zu tragen. Ähnlich luzide geht der Grazer Dogmatik-Ordinarius Bernhard Körner auf die Grundfrage ein, wie die religiösen Bekenntnisgemeinschaften unter der dogmatischen Perspektive des Zweiten Vatikanischen Konzils "eingewertet" werden könnten. Dabei sehen wir lebensklug mitgewürdigt, dass der Alltag im heutigen Österreich ja längst durch konfessionellen Pluralismus und viel schöpferisches Neben- wie Miteinander gekennzeichnet ist. Den divergierenden Wahrheits-Ansprüchen, die sich mit der Kernfrage "Wege zum Heil?" auftun, geht Christian Wessely mit erfreulich großem Sinn für Theologien im Gespräch, aber auch in Konkurrenz miteinander nach. Wie sehr uns noch in Vielem die religionswissenschaftlichen Grundlagen fehlen, die erst einen wirklich gesellschaftlichen und besonders einen katholisch-theologischen Dialog mit verschiedensten religiösen Bekenntnisgemeinschaften möglich machen würden, macht Manfred Hutter, Universität Bonn, in dem wohlfundierten Beitrag klar, mit dem dieser Sammelband schließt. In ihrer gelungenen Verbindung von Selbstdarstellungen mit fundierter Reflexion dürfte diese Sammelveröffentlichung eine außerordentlich hilfreiche Unterwegsstation auf dem Weg zu weiterführenden Verständigungen zwischen den Konfessionen und Religionen markieren; und dies ganz gewiss nicht "nur" in Österreich.