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Ausgabe:

November/2002

Spalte:

1232 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kranemann, Daniela

Titel/Untertitel:

Israelitica dignitas? Studien zur Israeltheologie Eucharistischer Hochgebete.

Verlag:

Altenberge: Oros 2001. 292 S. 8 = Münsteraner Theologische Abhandlungen, 66. Kart. ¬ 30,00. ISBN 3-89375-199-8.

Rezensent:

Bernd Schröder

Zu besprechen ist eine für den Druck "umfassend überarbeitet[e]" (9) liturgiewissenschaftliche Dissertation, die von Klemens Richter betreut und im Wintersemester 1999/2000 von der Münsteraner Katholisch-Theologischen Fakultät angenommen wurde.

Schon der Titel des Buches markiert den archimedischen Punkt, von dem her Daniela Kranemann zur kritischen Durchsicht der Liturgie, genauer einer Auswahl eucharistischer Hochgebete, anhebt; ihre Leitfrage lautet: "Wie ernst ist es der christlichen Liturgie tatsächlich mit der [...] [in der Liturgie der Osternacht] geradezu bekenntnishaft formulierten Würde Israels?" (11)

Um zu prüfen, ob katholische Liturgien der "fortdauernden Erwählung Israels, die Christen in die Zeitgenossenschaft dieses ersterwählten Gottesvolkes einweist" (22), hinreichend Rechnung tragen, mustert die Autorin im ersten Teil ("Horizontbeschreibung", 17-54) das Vorkommen Israels im Ordo Lectionum Missae, in Gebetstexten des Messbuches, in liturgischen Gesängen wie auch an weiteren Orten im "Gesamtkunstwerk Liturgie" (39 f.) und referiert anschließend angenehm knapp und problembezogen den Stand der einschlägigen neueren theologischen wie liturgiewissenschaftlichen Forschung. K. resümiert, dass seit dem II. Vatikanum die Sensibilität für die Notwendigkeit einer "Israel" nicht abwertenden Theologie und Liturgie gewachsen ist, gleichwohl eine "Reihe von ungelösten und diffizilen Fragen" zu klären bleibt (54).

In einem zweiten Teil ("Entwicklung einer Hermeneutik", 55-106) sucht K. liturgietheologische Kriterien zu gewinnen, anhand derer sich israeltheologische Mängel der Liturgie aufspüren und beheben lassen. Anhand der Hochgebete führt sie zunächst ihr Ideal vor Augen, wonach christliche Liturgie sowohl ihr Proprium, nämlich "das Bekenntnis zur Selbstoffenbarung Gottes in Leben und Geschick Jesu Christi" (59), als auch die "heilsgeschichtliche Zeitgenossenschaft von Israel und Kirche" (65) wahren soll und kann. Israelvergessenheit und Substitutionsgelüste seien vermeidbar, wenn entsprechend der Kurzformel "Wie diese, so auch wir" (Angelus Häußling) liturgietheologisch argumentiert und formuliert würde (67). Die umstürzende Reform der Karfreitagsfürbitte für die Juden (in den 60er Jahren) dient K. als gelungenes, wegweisendes Beispiel einer entsprechenden Liturgierevision, dem sie "eine herausragende hermeneutische und kriteriologische Relevanz" (99) zubilligt. Es zeigt zugleich die Impulskraft des Grundsatzes "lex orandi - lex credendi". Die fünf Kriterien, die sie schließlich als Grundlage ihrer weiteren Textanalysen benennt, sind allerdings in erster Linie formaler Art (Schrift- und Traditionsbezug, Berücksichtigung von Rezeption und Kontext, Anstiftung zu "existentielle[r] Kontinuität [...] der Kirche mit Israel"; 106), zudem m. E. keineswegs widerspruchsfrei.

Im dritten Teil analysiert K. unter der Überschrift "Israelerinnerung im Eucharistischen Hochgebet" (107-221) exemplarisch und detailliert einschlägige liturgische Texte. Die deutschsprachigen unter ihnen erweisen sich als israeltheologisch de- fizitär (137 f.152.200 f.). Als vorbildlich schätzt die Autorin hingegen die liturgische Sprache der Herrenmahlsfeier "bei den hebräischsprachigen Katholiken in Haifa", also in einer weithin judenchristlichen Gemeinde ein (bes. 219-221), die hier wegen ihrer besonderen Situation als christliche Gemeinde in jüdischem Kontext herangezogen wird.

Ein kurzer vierter Teil bietet eine "Zusammenfassung und Perspektiven" (222-232), genauer: gebetstheologische Desiderate.

Zu den Stärken dieser Arbeit zählt für mich die Einbeziehung und Auswertung der erwähnten judenchristlichen Liturgie ebenso wie die Erinnerung an die israel-liturgietheologisch wegweisenden Studien John Hennigs. Anfragen richte ich an das Israel-Verständnis der Autorin, das lediglich das religiöse Judentum zu umfassen scheint (vgl. 12 f.) - welche theologische Bedeutung aber hat das ganze Israel, zumal dessen sich als säkular verstehender Teil? -, und an die Struktur ihrer Argumentation, die eine positive Bestimmung des theologischen Verhältnisses von Kirche und Israel sowohl voraussetzt als auch liturgisch realisieren will und damit zirkuläre Züge trägt (vgl.13). Zu fragen und an der Gestaltung liturgischer Texte zu bewähren bliebe schließlich auch, wie sich das Israel-Kriterium mit anderen berechtigten Erwartungen an eine zeitgenössische Liturgie vereinbaren lässt.

Unbeschadet dieser Anfragen bietet diese Studie nicht weniger, aber wohl auch nicht entscheidend mehr als einen soliden, gut lesbaren Überblick über israeltheologische Probleme nachkonziliarer katholischer Messliturgie.