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Ausgabe:

November/2002

Spalte:

1225–1227

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Wuketits, Maria, u. Franz M. Wuketits

Titel/Untertitel:

Humanität zwischen Hoffnung und Illusion. Warum uns die Evolution einen Strich durch die Rechnung macht.

Verlag:

Stuttgart: Kreuz 2001. 207 S. 8. Geb. ¬ 22,90. ISBN 3-7831-1910-3.

Rezensent:

Udo Kern

Dieses Buch versteht sich als kritisches, konstruktives und verständliches "Sachbuch", näher: als "eine kritische Auseinandersetzung mit dem Humanitätsgedanken" (7). Es ist tatsächlich ein verständliches, gut lesbares, von Redundanzen nicht freies, viel Selbstverständliches enthaltendes Buch. Entzaubert soll die Idee einer unkritischen Humanität werden. Für Maria und Franz Wuketits ist Entzauberung der Humanität, die oft "als Rechtfertigung für Inhumanität" (10) gelte und bloße Floskel sei, angesagt. Die "vornehme Idee der Humanität" soll "mit der Wirklichkeit des menschlichen Lebens" konfrontiert werden, und den "inhumanen Kräften" soll nachgespürt werden, die der Idee der Humanität entgegenwirken (16).

Der Mensch werde "seit alters von drei großen Gefahren bedroht": 1. Die von der dem Menschen umgebenden Natur ausgehende Gefahr ist zunächst zu nennen. (11) 2. Der Mensch selbst ist die Gefahr des Menschen. "Die Fähigkeit zur Unmenschlichkeit ist ein Gattungsmerkmal des Menschen." (So E. Winkler und J. Schweikhardt, zit. 12). 3. Von den von Menschen "selbst geschaffenen künstlichen Gebilden, und zwar einerseits seinen (sozialen beziehungsweise politischen) Institutionen, andererseits seiner Technik" (12), gehen Gefahren für den Menschen aus.

Der Mensch, "ein Irrläufer der Evolution" (Arthur Koestler), sei nicht "für die Ewigkeit angelegt". (17) Seine "von Profit und Kapital gelenkte Zivilisation fordert wenig Menschlichkeit und viel Ellbogentechnik" (19). "Die Gleichwertigkeit aller Menschen ist eine schöne Illusion, die jedoch nie Wirklichkeit war" (42), dem widersprächen schon klimatische Bedingungen und stammesgeschichtliche Verhaltensweisen. Das gleiche gelte von der "uns vom Staat garantierte[n] Freiheit" (49). "Die repräsentative Demokratie ist eine Attacke gegen das Individuum beziehungsweise die Forderung, das Individuum als Subjekt und nicht als Objekt wahrzunehmen." (99) "Die (demokratische) Wahl reduziert das Individuum zum Stimmvieh" (99).

Der Mensch verfolge wie andere Spezies primär - das habe die moderne Verhaltensforschung gezeigt - seine "Eigeninteressen". (109) Von anderen Lebewesen unterscheide den Mensch die Möglichkeit der eigenen kritischen Reflexion. - "Der Mensch ist nicht der geborene Naturschützer", vielmehr gehöre "die Zerstörung seiner natürlichen Umwelt [...] zu seiner biologischen Grundausstattung." (115) Der "leistungsfähigste Totschläger", den die Evolution hervorgebracht habe, sei der Mensch (116). Unser Dasein verdanke sich egoistischer Rücksichtslosigkeit. Auch unser uneigennütziges Verhalten - so die Soziobiologie - verdanke sich unseren egoistischen Antrieben. Das gelte vom altruistischen Verhalten des Menschen überhaupt und vom reziproken Altruismus (119) im Besonderen. Der Egoismus ist "eine elementare Komponente in unserer sozialen Evolution. Jeder sozial reife Mensch versucht zwar, seine eigenen Interessen durchzusetzen, berücksichtigt aber - wenn auch nur in Erwartung eigener Vorteile - die Interessen seiner Mitmenschen und kooperiert mit diesen." (122)

"Die in unserer Natur schlummernden Kräfte sind weder human noch inhuman"; ursprünglich dienten sie "bloß dem Überleben." (134) "Humanität und Inhumanität sind späte Erfindungen unserer Evolution", Konzepte des in der Zivilisation rational über Gutes und Böses nachdenkenden, auf moralische Grundlinien ausseienden Menschen. (134) Unser Konstrukt "Menschheit" "ist keine evolutiv stabile Einheit" (136). "Der Humanitätsgedanke ist nicht evolutiv verankert" (137).

Nicht "im biologisch begründeten Egoismus des Individuums" bestehe die eigentliche Gefahr für die gesamte Menschheit, vielmehr "in der Transzendenz, in der Fähigkeit des Einzelnen, seine eigene Bedeutung den vermeintlich hehren Zielen großer überindividueller Systeme unterzuordnen." (147) Man denke an das "Abschlachten ganzer Völker aus Loyalität gegenüber einem eifersüchtigen Gott, König, Land oder politischen System" (A. Koestler, zit. 146), an die "aus religiösen und politischen Motiven verübten Massenmorde" (146).

Da "der Glaube als Urvertrauen wesentlicher Bestandteil der menschlichen Existenz ist", "sind Abweichungen von seiner (lebenswichtigen) Grundfunktion und seine spezifischen Ausprägungen im Aberglauben und Irrglauben zwangsläufig katastrophal." (148 f.) - Jesus wollte die Menschen auf den Weg des Guten im Namen Gottes bringen. Dafür musste er am Kreuz sterben. Geradezu pervers aber sei es, Jesu Kreuzigung als Begründung für die Erlösung der Menschheit anzuführen. "Der Mann aus Nazareth war [...] umsonst eines grausamen Todes gestorben. Denn sein Tod setzte den Gräueltaten der Menschen nicht nur kein Ende, sondern diente als Legitimation für weitere Massaker." (152) Ein theologisches Verstehen des Kreuzes ist den Verfassern gänzlich fremd, ebenso wie eine vom Kreuz her gründende "Menschlichkeit".

"Töten und Morden lässt sich [...] religiös sehr gut begründen und rechtfertigen." (153) Das dokumentierten z. B. die christlichen Kreuzzüge und der islamische Dschihad. Allerdings gelte das für die Begründung des Krieges um hehrer Ziele überhaupt willen.

Der Glaube an den Fortschritt des Menschlichen in der Geschichte sei eine höhnische Heuchelei und Illusion. Freuds Psychoanalyse habe "zur Entzauberung des Menschen" und zu der Einsicht beigetragen, dass das faszinierende Naturwesen Mensch nicht ein über allen Naturgesetzen schwebender freier Geist sei, sondern in seiner Kultur von der biologisch bestimmten Verhaltensvariabilität geprägt sei (158).

Die heutige postindustrielle Gesellschaft sei "durch die Schaffung von Bedürfnissen [...] und vom Imperativ der sofortigen Verfügbarkeit der Mittel zur Bedürfnisbefriedigung geprägt." (160) Damit stehe die heutige Konsumgesellschaft "einem steinzeitlichen Verhaltensantrieb" nahe (160). Unsere heutige narzisstische Yuppie-Gesellschaft - mit ihrer geringen Frustrationstoleranz, ihren oberflächlichen persönlichen Beziehungen, ihrem Wenig-Verantwortung-auf-sich-nehmen und mit ihrem ständigen (unreflektierten) Konsum - sei nur ausgerichtet "auf Leistung und wirtschaftlichen Erfolg, mit keinem Sensorium für soziale und ökologische Probleme" (160 f.). "Konsumtrottel schlechthin", ein von der eigenen Kompetenz unkritisch überzeugtes, vom Konsum "ferngesteuerte[s] Wesen" gebiert diese Gesellschaft (161). Das Ellbogenprinzip sei prägend für diese Konsumgesellschaft, die sich als Erlebnisgesellschaft und Industriegesellschaft ohne Grenzen generiere. Das alte "stammesgeschichtliche Erbe": "sich vollzufressen", habe heute ein bisher in der Evolutionsgeschichte so nicht gekanntes Stadium erreicht, wie das "Phänomen der Überernährung" demonstriere. (164 f.)

Der Mensch als "ein illusionsbedürftiges Lebewesen" (172) gerät in gefährliche kollektive Illusionen, die weltumstürzende destruierende Potentiale in sich tragen. Demgegenüber sei festzuhalten, dass "das Leben jedes einzelnen Menschen einen supremen Wert darstellt" (176). Die "Verbesserung der Lebenssituation der Armen [...] dieser Welt" sei vordringlichste Aufgabe heutiger Regierungen (188). "Das Motiv dafür bräuchte nicht einmal wahre Humanität zu sein, sondern die ökonomische Überlegung, welche möglichen Katastrophen dadurch abgewendet werden könnten: Katastrophen, die sich [...] keine Wirtschaft leisten kann." (188)

In diesem Buch von Maria und Franz Wuketits zur Humanität ist vieles, was der aufmerksame Zeitgenosse kennt, in gefälliger, gut lesbarer Form eindringlich zur Sprache gebracht. Beide wollten sich, wie es im Vorwort heißt, auf das Wesentliche beschränken und dem Fachjargon wenig Tribut leisten. Allerdings ist dieses Buch angesichts des großen Themas zu wenig differenziert. Das Aufzeigen des Destruierenden hinsichtlich der Humanität dominiert eindeutig. Die konstruktiven, affirmativen Elemente können sich kaum melden. Beherrschend ist die kritische Diagnose hinsichtlich der Humanität, die Hoffnung für sie, das Therapeutische bleibt weitgehend auf der Strecke.