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Ausgabe:

November/2002

Spalte:

1218–1220

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Keil, Siegfried, u. Michael Haspel [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften in sozialethischer Perspektive. Beiträge zur rechtlichen Regelung pluraler Lebensformen.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2000. VI, 245 S. 8. Kart. ¬ 24,90. ISBN 3-7887-1787-4.

Rezensent:

Martin Steinhäuser

Kurz vor dem Inkrafttreten des "Partnerschaftsgesetzes" in der Bundesrepublik Deutschland (1.8.2001) gaben der Direktor des Marburger Instituts für interdisziplinäre Gerontologie und angewandte Sozialethik, Siegfried Keil, und sein Assistent Michael Haspel den zu besprechenden Band heraus. Vor allem Keil hat sich seit vielen Jahren am komplizierten kirchlich-theologischen Diskussionsprozess um Homosexualität und homosexuelle Partnerschaften beteiligt. Zum Abfassungszeitpunkt der Rez. hat die gesellschaftliche, vor allem aber die kirchliche Spannung noch nicht nachgelassen: Wie viele Paare lassen ihre Partnerschaft registrieren, vor allem außerhalb der Hochburgen wie Berlin oder Köln? Auf welche Ritualangebote (Segnungsgottesdienste, Fürbitte etc.) werden sich die Landeskirchen verständigen können? Wie stark werden diese aber tatsächlich nachgefragt (werden)? Welche Zusammenhänge zur generellen Pluralisierung von Lebensformen müssen beachtet werden, was ist mit dem "Leitbild Ehe"? Genug offene Fragen und gute Gründe, die die zehn Beiträge dieses Bandes, alle "aus dem protestantischen Spektrum", über tagesaktuelle Bedeutsamkeit hinausheben.

Die erste Hälfte des Buches konzentriert sich auf historische, juristische, pädagogische und sozialwissenschaftliche Aspekte:

Zu Beginn zeichnet Siegfried Keil die "Entwicklung sozialethischer Positionen zum familialen Status gleichgeschlechtlicher Partnerschaften" nach, wobei er eine Linie zieht von der Entkopplung von Sexualität und Generativität seit 1970 (Grundlage der Entdiskriminierung) hin zur verantwortungsethischen Aufwertung homosexueller Elternschaft (7-28).

Jutta Puls, Richterin am Oberlandesgericht Hamburg, erörtert "Familienrechtliche Aspekte der Gleichstellung homosexueller Partnerschaften" (29-43), wie sie im jetzigen Gesetz erst teilweise berücksichtigt werden. Uwe Sielert, Professor für Pädagogik (Schwerpunkt Sozialpädagogik) an der Universität Kiel, skizziert die - auch gegenwärtig einem Benachteiligungsabbau erst entgegengehende - Problemlage von "Sorgerecht, Adoption und artifizieller Insemination bei glechgeschlechtlichen Elternteilen" (45-63). Christoph Behrens, Referent im schleswig-holsteinischen Ministerium für Justiz, Frauen, Familie und Jugend, sieht die "Ängste vor einem Ende des Monopols Ehe" in einer gesellschaftlichen Annäherung sexueller Lebensstile begründet und plädiert energisch für die "Gleichbehandlung von Gleichwertigem" (65-81).

Die zweite Hälfte des Buches widmet sich kirchlich-theologischen Diskussionsstücken: Andrea Bieler, Assistentin für Praktische Theologie in Göttingen und Kerstin Söderblom, Pfarrerin in Frankfurt, begründen segenstheologisch, weshalb "Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare" als Aufgaben von Kirchen und Gemeinden unverzichtbar sind (83-98). Elisabeth Hartlieb, Assistentin für Systematische Theologie in Marburg, diagnostiziert in einigen EKD- und VELKD-Texten eine Verschiebung in der Ablehnung der Homosexualität von der "sünden-" zur "schöpfungstheologischen" Begründung, die allerdings die Generativität als Kriterium weitertransportiere. Gefordert sei deshalb ein grundsätzlicher Abschied von der "sexuellen Obsession christlicher Sündenlehre" (99- 121). Michael Haspel streitet in seinem Beitrag "Vom sola scriptura zum tota scriptura bei der ethischen Urteilsbildung" wider einen "homophoben Biblizismus", indem er den systematischen Bezug des Schriftprinzips in der Glaubenslehre rekonstruiert und für die Frage der Normenbildung die Einordnung einzelner Bibelstellen in grundlegende Diskurse der materialen und formalen Ethik fordert (123-149). Alexander Warnke, Promovend im Fach Ethik, unterzieht die Stellungnahmen der evangelischen Kirchen des deutschsprachigen Raums einer Spezialauswertung im Blick auf die "Diskussion um die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften"; sein Ziel ist es, den sozialethischen Gleichheitsgrundsatz in einem erneuerten theologischen Verhältnis von Rechtfertigung und Recht zu verbinden (151-167). Simone Mantei, ebenfalls Promovendin im Fach Ethik, fasst die "Haltung der nordeuropäischen evangelischen Kirchen zur Partnerschaftsgesetzgebung" zusammen. Auf Grund des wesentlich fortgeschritteneren Diskussionsverlaufs in Skandinavien öffnet sie damit trotz unterschiedlicher staatskirchenrechtlicher Voraussetzungen interessante Perspektiven für die deutsche Situation (169-199). Siegfried Keil beschließt den Band mit dem aktualisierten Wiederabdruck eines Gutachtens, das der Vf. 1999 im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz über die "rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften aus der Perspektive evangelischer Theologie und Kirche in Europa" erstellte. Aus der qualitativen Auswertung von Texten und Stellungnahmen aus 40 Kirchen in 10 Ländern entwickelt der Vf. sozialethische Perspektiven für rechtliche und kirchliche Reformen in Deutschland, die auf gleiche Entwicklungsmöglichkeiten für Lesben und Schwule abzielen.

Der wichtigste Ertrag dieses Sammelbandes ist wohl, neben den Einblicken in internationale kirchlich-theologische Diskussionen, darin zu sehen, dass er in politisch entscheidungsreifer Situation interdisziplinär Position bezieht, sich darin von den mannigfach vorgeführten Widerständen nicht lähmen lässt und die Tür weit zum nächsten, in Bälde zu erwartenden Diskussionsschritt aufstößt: Wie können aus theologisch-ethischer Sicht homosexuelle Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung unterstützt werden? Freilich weist der Band auch deutlich darauf hin, dass den evangelischen Kirchen im Umgang mit ihren homosexuellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Nagelprobe ihrer gesellschaftsbezogenen Positionierungen vielfach noch bevorsteht.