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Ausgabe:

Oktober/1998

Spalte:

1029–1031

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Knoch, Wendelin

Titel/Untertitel:

Gott sucht den Menschen. Offenbarung, Schrift, Tradition.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 1997. 317 S. gr. 8 = Amateca. Lehrbücher zur katholischen Theologie, 4. Geb. DM 68,-. ISBN 3-87088-911-X.

Rezensent:

Reinhard Slenczka

In fünf verschiedenen Sprachen, vorgesehen sind Übersetzungen in weitere fünf Sprachen, erscheint dieses Lehrbuch im Rahmen einer auf 22 Bände geplanten Reihe, an der eine internationale Gruppe von römisch-katholischen Theologen zusammenarbeitet. So wird die Glaubenslehre in einem weitem Horizont entfaltet, der weder kulturgeschichtlich auf einen bestimmten Bereich wie bei uns den mitteleuropäischen, noch religionsgeschichtlich auf das Christentum begrenzt ist. Das Hauptthema dieses Bandes, "Gott sucht den Menschen", ist zugleich die Überschrift für die zweite Abteilung des Projekts, in der Fragen der Prinzipienlehre behandelt werden. Die erste Abteilung behandelt die Fundamentaltheologie unter dem Oberthema "Die Suche des Menschen nach Gott"; darunter werden kulturelle Anthropologie, Philosophie und Weltreligionen erörtert. In den weiteren Teilen finden sich in der üblichen Abfolge dann Trinitätslehre und Christologie, Sakramente und Kirche, theologische Anthropologie und Eschatologie. So wird die christliche Theologie von vornherein und durchgehend in dem Seinszusammenhang von Gott, Welt und Mensch entfaltet, nicht also in dem sonst vorherrschenden Verhältnis von Kirche und Gesellschaft. Nicht die christliche Subjektivität, sondern der dreieinige Gott als Subjekt ist hier bestimmend. Ausgerichtet ist dieses Konzept ausdrücklich an dem theologischen Werk von Henri de Lubac und Hans Urs von Balthasar, die je auf ihre Weise eindrucksvoll gezeigt haben, was christliches Denken vom Grund des Seins in Gott sein und leisten kann. Das wirkt aufklärend gegenüber jedem theologischen Provinzialismus.

Die Prinzipienlehre wird in der herkömmlichen Thematik mit der Reihenfolge von A. Offenbarung, B. Heilige Schrift, C. Tradition entfaltet. Die auch in evangelischer Theologie zu findende mögliche Voranstellung der Offenbarung setzt als Subjekt der Offenbarung den dreieinigen Gott voraus. Denn, so heißt es völlig zutreffend: "Wer nämlich als Glaubender von sich selbst Auskunft fordert über das, was er im Glauben bekennt, wird nicht zuerst bei einer ,Sache’ beginnen, über Gründe diskutierend, warum es angemessen sei, ein Ja des Glaubens zu sprechen. Der Glaubende schaut vielmehr zunächst von sich weg auf Gott. Dessen Wirkmacht weiß er nämlich das eigene Leben verdankt, da sich Gott nicht in namenloser Entzogenheit, sondern in persönlicher Zuwendung als wirkmächtig-heilschaffend selbst kundgetan hat ..." (27).

Offenbarung ist also nicht zuerst Text in der Zeit, sondern Handeln Gottes an der Welt, damit auch in der Zeit und am Menschen. Jede Erkenntnis Gottes aber setzt die Offenbarung Gottes voraus. Dazu gehört ausdrücklich auch, daß "in Jesus Christus die göttliche Offenbarung als Selbstoffenbarung ihren Höhe- und Endpunkt erreicht hat" (52; 58).

Aus dieser Perspektive können in einem wichtigen Exkurs "Abgrenzungen und Klärungen im Blick auf Islam und Judentum" vorgenommen werden (52 ff.), in der mögliche Übereinstimmung, aber auch bleibende Differenz z. B. in der Geltung des Koran bzw. in der messianischen Erwartung festgehalten werden. Es werden also nicht die Probleme der sozialen Koexistenz auf die Theologie übertragen, um sie durch Uminterpretationen zu bewältigen, sondern die vorfindliche Wirklichkeit wird aus theologischer Perspektive erhellt.

Gegen die Vorstellungen von einer "Uroffenbarung" oder eines "Urmonotheismus" grenzt sich der Vf. zwar ab, doch er fragt nach der Möglichkeit einer "Offenbarung im Ursprung" (59), die nun aber in das Zeugnis der Heiligen Schriften Alten und Neuen Testaments zwischen Schöpfung und Vollendung eingefügt ist. Spätestens hier zeigt sich, wie der systematisch vorangestellte Offenbarungsbegriff inhaltlich in der Offenbarung des dreieinigen Gottes im Wort Gottes der Heiligen Schriften seinen Grund hat.

Die Lehre von der Heiligen Schrift geht von dieser Voraussetzung her nun nicht von dem "Text der Antike" aus, der in die Gegenwart zu vermitteln wäre, sondern von der empirischen Tatsache ihrer weltweiten Verbreitung "in fast alle Sprachen der Menschheit" (128) und von dem Gebrauch im Gottesdienst der Gemeinde: "Als inspirierte, vom Wirken des Heiligen Geistes geprägte Schrift offenbart die Bibel die durch Gottes machtvolle Liebe gewirkte Einheit von Welt- und Heilsgeschichte ... Die Bibel ist somit von ihrem Anfang an weit mehr als eine gleichsam sachlich informierende Schrift; sie ist vielmehr persönliches Zeugnis der Erfahrung göttlicher Selbstoffenbarung" (129). Die Inspiration der Schrift ist daher auch die Erkenntnisgrundlage für die ganze weitere Schriftlehre, und dies wird im weiteren mit schönen Belegen entfaltet. Vor allem wird hervorgehoben, daß die Inspirationslehre aus der umfassenden Heilsökonomie Gottes folgt: "Die Inspiration ist selbst Teil des Offenbarungsgeschehens, das sowohl die Geschichte Israels wie auch die der Kirche umgreift, welche als Gemeinde der Glaubenden das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem fleischgewordenen Wort lebendig bewahrt." (141)

In diesem Zusammenhang wird die reformatorische Kontroverse um das "sola fide, sola gratia, sola scriptura" mit der Grundthese, "Die Bibel ist ,Gottes Wort’" aufgenommen, wenn auch leider nur sehr knapp (151). Der Vf. versucht, von einem Konsens in der Anerkennung der Inspiration der Schrift auszugehen, der jedoch in der Theologiegeschichte zu verschiedenen Akzentuierungen im Sinne einer Verbal-, Real- und Personalinspiration führt. Aus dem Artikel "Inspiration" von Wolfgang Philipp in RGG3/3 wird die Meinung aufgegriffen, es handele sich dabei um einen "Folge-Glaube der Inkarnation". Vor allem aber wird dann entwickelt, wie innerhalb der römisch-katholischen Kirche bis zur Gegenwart immer wieder das Problem auftaucht, wie die Zuordnung von Schrift, Lehramt und Exegese zu bestimmen sei. Dies zielt auf die mühseligen und schmerzlichen Kontroversen zwischen "Neuscholastik" und "nouvelle théologie" (sic), und hier stellt sich dann unmittelbar die Frage nach dem Verhältnis von Geist, Schrift und Kirche sowie nach der Funktion der Schrift als "norma normans non normata" (170ff.). Die sehr geraffte, doch sorgfältig belegte Darstellung der internen Auseinandersetzungen um die Schriftautorität laufen allerdings dann beim Vaticanum II in der dogmatischen Konstitution "Dei Verbum" auf die dogmatische Analogie von Inspiration und Inkarnation hinaus: "Das göttliche Wort kleidet sich in menschliche Zeichen und Buchstaben und bietet sich den Menschen an, wie einst das eingeborene Wort des Vaters das Fleisch der menschlichen Schwäche annahm und in allem uns ähnlich werden sollte, außer der Sünde und der Unwissenheit" (179). Bei dieser dogmatischen Analogie, die sich auch bei evangelischen Theologen, z. B. bei Hermann Sasse, findet, wäre allerdings zu bedenken, daß die Schrift zwar den Inkarnierten bezeugt, aber nicht eine Art neuer Inkarnation ist. In der Trinitätslehre muß diese These zu erheblichen dogmatischen Widersprüchen bzw. zu einem impliziten Modalismus führen.

Auf das Thema des dritten Teils "Tradition" konzentrieren sich schließlich die internen und externen Probleme. Der Vf. sucht ihnen von vornherein durch die Differenzierung von "Tradition", "Traditionen" und "Traditionalismus" zu begegnen (220 f.; 279) Die entsprechende Unterscheidung von "TRADITION", "tradition" und "traditions" von der vierten Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung in Montreal 1963 wird nicht erwähnt. In diesem Teil aber wird nun sehr gut das spannungsvolle Verhältnis von Schriftautorität und Autorität des kirchlichen Lehramtes nachgezeichnet. Die reformatorische Kontroverse wird lediglich im Rückgriff auf CA 15, nicht aber CA 7 gestreift. Zudem wird die CA leider nur nach einer unwissenschaftlichen deutschen Ausgabe, die auch noch als "revidierter Text" bezeichnet wird, zitiert (282). Der seit 1963 behauptete zwischenkirchlichen Konsens in der Frage Schrift und Tradition wird in sehr verkürzter Form vorgeführt aus einem Artikel des "Ökumene-Lexikon", 1. Auflage, mit dem tatsächlich dann die These von den zwei Offenbarungsquellen als Konsens belegt werden kann. Die meist unreflektierte Auflösung des Schriftprinzips in das Traditionsprinzip ist freilich für weite Teile evangelischer Theologie in unserer Zeit nicht zu übersehen. Ob das allerdings ein tragfähiger Konsens ist, ist zu bestreiten.

Wiederum begegnet die Vorstellung von einer Fortsetzung der Inkarnation, diesmal im Anschluß an Hans Urs von Balthasar: "Deshalb muß die Bibel in der Kirche vernommen und angenommen werden. Der Weg der Inkarnation wird in Wort und Sakrament zu gegenwärtiger Erfahrung" (299). Der Name Schleiermacher taucht nirgends auf; deshalb bleibt auch verborgen, wie gerade an diesem Punkt römisch-katholische Theologie und Neuprotestantismus sich begegnen, und zwar gerade dort, wo das kritische Gegenüber von Wort Gottes nach der Heiligen Schrift und dem Menschenwort aufgehoben ist. Daß sich dann alles auf die unterschiedliche Bestimmung des kirchlichen Lehramtes konzentriert, bleibt unerwähnt, da dieses Thema ohnehin nur kurz gestreift wird (287).

Das Buch ist als Lehrbuch konzipiert, aber es ist in erster Linie, gerade auch mit seiner breiten Dokumentation, wohl ein Buch für Lehrer, die sich mit dieser Thematik von Offenbarung, Schrift und Tradition auseinanderzusetzen und im zwischenkirchlichen Gespräch darüber auch zu verhandeln haben. Daß die reformatorische Position nur sehr kurz behandelt wird, mag verständlich sein. Ein Thema jedoch, das ursprünglich zum ,consensus catholicus’ gehört, ist völlig übergangen: Geist und Buchstabe sowie Gesetz und Evangelium. Augustins "De Spiritu et Littera" kommt nirgends vor. Wort Gottes als Gnadenmittel und Heilsgeschehen bleibt außerhalb des Horizonts. Aber auch das mag typisch sein für unsere Theologie heute, doch hier liegen verborgene Möglichkeiten für eine Klärung und Verständigung.