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Ausgabe:

November/2002

Spalte:

1163–1165

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

1) Henze, Matthias 2) Eggler, Jürg 3) Keel, Othmar, u. Urs Staub

Titel/Untertitel:

1) The Madness of King Nebuchadnezzar. The Ancient Near Eastern Origins and Early History of Interpreation of Daniel 4.

2) Influences and Traditions Underlying the Vision of Daniel 7:2-14. The Research History from the End of the 19th Century to the Present.

3) Hellenismus und Judentum. Vier Studien zu Daniel 7 und zur Religionsnot unter Antiochus IV.

Verlag:

1) Leiden-Boston-Köln: Brill 1999. X, 295 S. gr.8 = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 61. Lw. ¬ 82,00. ISBN 90-04-11421-1.

2) Fribourg: University Press; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. VIII, 143 S. gr.8 = Orbis Biblicus et Orientalis, 177. Geb. ¬ 39,00. ISBN 3-7278-1320-2 u. 3-525-53991-6.

3) Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. XII, 164 S. m. Abb. gr.8 = Orbis Biblicus et Orientalis, 178. Geb. ¬ 39,00. ISBN 3-7278-1328-0 u. 3-525-53992-4.

Rezensent:

Ernst Haag

Das Ziel der Harvard-Dissertation von M. Henze ist die Aufhellung der mit der Text-, Traditions- und Interpretationsgeschichte von Dan 4 verbundenen Problematik.

Kap. I untersucht die Literargeschichte von Dan 4 mit dem Ergebnis, dass die divergierende Textüberlieferung in M und LXX nicht daher rührt, dass hier die eine Version der jeweils anderen als Vorlage gedient hätte, sondern dass beide Versionen selbständige Bearbeitungen ein und derselben Thematik sind, deren "Protoform" nicht mehr festzustellen ist: ein Befund, der auch für die in Qumran gefundenen außerbiblischen Bearbeitungen dieser Thematik gilt. Kap. II behandelt die babylonische Vorgeschichte von Dan 4: die Tradition von dem Aufenthalt Nabonids in Tema und die Rezeption mesopotamischer Anschauungen und Denkmuster bei der Darstellung Nebukadnezzars als Weltenbaum, bei der Fesselung des Wurzelstocks von diesem Baum mit ehernen Bändern und bei der Schilderung des Wahnsinns Nebukadnezzars in Anlehnung an die Vorstellung vom wilden Mann, der einen der Zivilisation und Kultur entgegenstehenden Zustand repräsentiert. Kap. III und IV sind der Interpretationsgeschichte von Dan 4 gewidmet. Während die frühe rabbinische Exegese entsprechend der negativen Einschätzung Nebukadnezzars in der biblischen Tradition ihr Augenmerk auf den Wahnsinn des Königs als Strafe Gottes richtet, betrachtet die christliche Interpretation der frühen syrischen Väter und auch Hippolyts und Tertullians im Westen den Wahnsinn Nebukadnezzars als ein Gottesgericht, dessen Aufhebung dem König als Lohn für seine Umkehr zuteil wird. Drei Anhänge beschließen das Werk: ein Beitrag über die Danielliteratur in Qumran, eine englische Synopse der M- und LXX-Version von Dan 4 und eine Homilie des Jakob von Sarug über Dan 4.

Die reich dokumentierte, religions- und interpretationsgeschichtlich gute Einsichten bietende Untersuchung befriedigt literar- und traditionsgeschichtlich nicht. Kann man angesichts der Tatsache, dass M und LXX in Dan 4 trotz aller Divergenzen kompositorisch den gleichen Aufbau und den gleichen Wechsel von der 1. zur 3. Person aufweisen, literarisch jeweils noch von einer unabhängigen Bearbeitung ein und derselben Thematik sprechen? Und ist nicht im Fall der Entstehung des Erzählungsstoffes von Dan 4 in der Diaspora des Ostens zu bedenken, dass zwischen der ohne Zweifel mesopotamischen Einfluss verratenden Motivik der Darstellung und der sie prägenden Tradition des Jahweglaubens unbedingt ein Unterschied zu machen ist und dass die Interpretation der Letzteren nicht ohne Berücksichtigung der Auseinandersetzung des Judentums mit dem Hellenismus sachgemäß zu erklären ist?

Der Überblick über die Forschungsgeschichte zu Dan 7,2-14 von J. Eggler ist das erste Kapitel seiner 1998 von der Universität Stellenbosch (Südafrika) angenommenen Dissertation mit dem Thema "Iconographic Motivs from Palestine/Israel and Daniel 7,2-14". Die Arbeit informiert gut, gestützt durch ausführliche Zitate aus den Originalpublikationen, über den Stand der Forschung und regt gleichzeitig an zu einer Reflexion über die Methode der Traditions- und Motivgeschichte.

Alle Studien des Buches von O. Keel/U. Staub sind um den Nachweis bemüht, dass der Einfluss des Hellenismus auf das Judentum und die Auswirkungen der dadurch angestoßenen Auseinandersetzung auf die biblischen Schriften größer gewesen sind, als die Forschung bisher angenommen hat. So stellt O. Keel in der ersten Studie "Die Tiere und der Mensch in Daniel 7" die Behauptung auf: "Die scharfe Unterscheidung zwischen Tier und Mensch, wobei den Menschen der aufrechte Gang und die Fähigkeit, die göttliche Herrschaft zu erkennen, vor den Tieren auszeichnet, ist nicht altorientalisch, altägyptisch oder alttestamentlich, sondern griechisch (Xenophon), besonders aristotelisch und stoisch. Die Kapitel Dan 2-7 sind also in einem zentralen Konzept von der hellenistischen Philosophie abhängig. Der Einfluss der altorientalischen Ikonographie auf einzelne Motive in Dan 7 scheint nur indirekt und hauptsächlich über Ezechiel gelaufen zu sein" (28). In der schon 1978 erschienenen Studie "Das Tier mit den Hörnern. Ein Beitrag zu Dan 7,7 f." geht U. Staub von der Beobachtung aus, dass "eine konkret erfahrbare, alltägliche Größe für den altorientalischen Menschen zum Symbol einer grundlegenden Einsicht werden konnte: eben zu einer mythischen Kategorie in ihrer konkreten Gestalt" (46), und legt dann dar, dass für das vierte Tier in Dan 7 die seleukidischen Kriegselefanten das Vorbild abgegeben haben. In der Studie "Die kultischen Maßnahmen Antiochus' IV. Religionsverfolgung und/oder Reformversuch? Eine Skizze" vertritt O. Keel die Auffassung, dass die Unternehmungen des Seleukidenherrschers gegen das rebellische Jerusalem teils als Strafe, aber teils auch als Reformversuch gedacht waren, die das Volk von den für jeden aufgeklärten Judaismus als Depravation des mosaischen Glaubens geltenden Sonderbräuchen (Speisegesetze, Sabbat und Beschneidung) befreien sollten. "Der Greuel, der Entsetzen hervorruft", meint nach O. Keel, "jenen Altaraufbau und die Schweineopfer, die man zehn Tage nach seiner Errichtung und nachher wiederholt und darauf dargebracht hat und die nach dem Danielbuch im Gegensatz zu den regulären Opfern standen" (112). In der letzten Studie "1Makk 2 - Rechtfertigung, Programm und Denkmal für die Erhebung der Hasmonäer" legt O. Keel dar, dass die in 1Makk 2,15-28 überlieferte Episode nicht historisch ist: "Sie ist hauptsächlich mit Hilfe biblischer Texte und Reminiszenzen konstruiert und dient dazu, einen problematischen Aspekt der hasmonäischen Herrschaft zu rechtfertigen, nämlich die Übernahme des Hohenpriesteramtes" (126).

So sehr man grundsätzlich das Unternehmen O. Keels begrüßen kann, die Auseinandersetzung des Judentums mit dem Hellenismus als mitgestaltenden Faktor bei der Konzeption des Danielbuches und der beiden Makkabäerbücher aufzuwerten, so fragwürdig erscheint doch im Einzelfall seine Exegese. Abgesehen davon, dass er den "Gegensatz Tier-Mensch" (23) für die Anlage des aramäischen Danielbuches viel zu hoch einschätzt, hält er offenbar zu wenig von der Kreativität des Jahweglaubens bei der Entwicklung eschatologischer Kategorien und Schemata. Für die Deutung des "Gegensatzes Tier-Mensch" brauchte das Alte Testament nicht die griechische Philosophie; die von O. Keel an anderer Stelle (Jahwes Entgegnung an Ijob, Göttingen 1978, 86-125) ikonographisch beschriebene, im Alten Testament von der Priesterschrift (Gen 1,26-28) theologisch rezipierte Vorstellung vom "Herrn der Tiere" gilt auch für die angeblichen Reformmaßnahmen Antiochus' IV. im Tempelkult. So richtig es ist, die theologische Einschätzung des Seleukidenherrschers nicht in allen Einzelheiten historisch zu interpretieren, so unzureichend bleibt doch der Versuch, den im Danielbuch und den beiden Makkabäerbüchern mit dem Stigma des Antijahwe gebrandmarkten König lediglich für die Erzwingung von Schweineopfern im Tempelkult verantwortlich zu machen. Auch zielt in 1Makk 2,15-28 die Eifertat des Mattathias nicht auf die Übernahme des Hohenpriesteramtes durch die Hasmonäer, sondern auf die Glaubenshaltung der gegen das Seleukidenregime gerichteten Opposition der Frommen, die innenpolitisch keineswegs prohasmonäisch orientiert war (vgl. E. Haag: Die Theokratie und der Antijahwe nach 1Makkabäer 1-2, TThZ 2000, 24-37).