Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2002

Spalte:

1159–1161

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Childs, Brevard S.

Titel/Untertitel:

Isaiah. A Commentary.

Verlag:

Louisville-London-Leiden: Westminster John Knox Press 2001. XX, 555 S. gr.8 = The Old Testament Library. Lw. US$ 59,95. ISBN 0-664-22143-2.

Rezensent:

Peter Höffken

Childs hat mit diesem 1998 abgeschlossenen, 2001 veröffentlichten Kommentar eine willkommene Bewährung seines "kanonischen" Ansatzes geschrieben. Hinzu kommt, dass er als erster der Protagonisten neuerer Theorien zur Einheit des Buches Jesaja einen Kommentar zum Gesamtbuch geschrieben hat, was dem Kommentar zusätzliche Bedeutung verleiht.

C. orientiert sich grundlegend an der Aufteilung des Buches nach B. Duhm in die drei Buchteile 1-39; 40-55 und 56-66, in Abhebung etwa von dem etwas anderen Gliederungsvorschlag von M. A. Sweeney (Isaiah 1-39, 1996 in der Reihe FOTL, C. 7 f.). Das schließt trotz des Interesses an der finalen Form des Buches, also an der kanonischen Gestalt, ein, dass er sich auch für Fragen der Diachronie offen zeigt, also zu neueren Versuchen vor allem im englischsprachigen Raum kritisch Distanz hält, die rein auf die synchrone Erfassung der Endgestalt setzen, wie immer die dann angegangen werden soll. Kennzeichnend ist ferner eine kritische Zurückhaltung gegenüber wirkungsgeschichtlichen Arbeiten, bei denen nicht nur C. manchmal kritische Scheidungsfähigkeit zwischen usus und abusus vermisst.

Die Orientierung an den drei Buchteilen führt dazu, dass C. jeweils vorweg längere oder kürzere Einleitungen platziert, die die knappen Einleitungsbemerkungen zum Buchganzen (1-5) zu präzisieren imstande sind. Dazu kommen dann noch weitere Einleitungen zu den Unterabschnitten im ersten Buchteil, also bei 1-12; 13-23; 24-27; 28-35; 36-39, was dem Leser notwendige Vororientierung bietet. Bei der Kommentierung von Einzelabschnitten folgt C. unterschiedlichen Kriterien, orientiert sich aber an größeren Abschnitten. Die Abschnitte entsprechen in Kap. 21-34 der Kapiteleinteilung, während in 40-55 teilweise größere Abschnitte zu Grunde liegen (z. B. 41,1- 42,13; 42,14-43,21; ähnlich auch bei 2,1-4,6); sonst ist die Behandlung in den Kapiteln 1-12 an kleineren Sinneinheiten orientiert. So kommt C. bei Deuterojesaja auf 14, bei Tritojesaja auf 11 Abschnitte, bei 1-12 sind es, von 1,1 abgesehen, 11 und bei Kap.13-23 deren sieben.

Bei der Einzelauslegung der Abschnitte hält sich C. mit Recht nicht an ein starres Schema, sondern geht je spezifisch auf etwaige Problemlagen ein. Ein ausführliches Eingehen auf die kanonische Dimension ist nicht unbedingt die Regel, findet sich aber bei 40,1-11 (302 f.), natürlich bei 53 (420-423), bei 61 (587 f.) und dann bei 65-66 (543-545). Unverkennbar treten historisch-kritische Frageinteressen in den Hintergrund. C. insistiert darauf, dass die Bildner des Jesajabuches eine Schrift erstellten, die in Orientierung an der Person des Propheten als Sprecher Gottes ein Buch herstellten, das die Wege Gottes mit seinem Volk (in Kirche und Israel) für alle Generationen vorgibt. Das schließt ein, dass das Verhältnis zum NT differenziert gesehen wird - es geht um weit mehr als um Verheißung und Erfüllung. Vielmehr besteht die eigentliche Leistung des Buches Jesaja darin, gleichsam eine Art Hohlform des neutestamentlichen Grundzeugnisses zu liefern, in das dieses dann hineinpasst. C. spricht mehrfach von einem morphological fit (303). Kennzeichnend ist die Formulierung zu Jes 53: "The morphological fit between Isaiah 53 and the passion of Jesus continues to bear testimony to the common subject matter within the one divine economy" (423).

Eine gewisse Deutungspräzisierung im Umgang mit dem Kommentar ergibt sich, wenn man ihn auf dem Hintergrund der groben Skizzen zum Jesajabuch in der "Introduction to the Old Testament as Scripture" (London 1979, v. a. 311-338) liest. Der Fortschritt zeigt sich auf verschiedenen Gebieten deutlich. Ich nenne zwei: C. konnte damals mit Jes 56-66 eigentlich nichts anfangen (und zweifelte daher am Sinn der Trennung von 40-66); das Verhältnis der zwei "Knechte" zu einander in 40-55 blieb offen. Für die Weiterentwicklung auf diesen Gebieten sind vor allem Arbeiten von W. A. M. Beuken und C. R. Seitz von zentraler Bedeutung, wie C. selber deutlich herausstellt.

Das Interesse am Gesamtbuch führt zu Zuordnungen, die zunächst einmal 1-39 im Verhältnis zu 40-55 betreffen: Innerhalb dieses Zusammenhangs repräsentiert 1-39 das "Frühere", d. h. die Gerichtsbotschaft des 1. Buchteils (vgl. hierzu die Ausführungen zu 40,6-8, bes. 300), während dann 40 ff. das "Neue" repräsentiert, das seinerseits in die tritojesajanische Erwartung des "neuen Himmels und der neuen Erde" aufgenommen (aufgehoben?) wird. Entsprechendes gilt für Aspekte in 40-66, die über das hinausführen, was durch 1-39 vorgegeben ist: Die Rede von dem "Knecht" Israel führt zunehmend zu einer Ausweitung auf zwei Knechte, wovon der zweite auch den Israelnamen auf sich bezogen sein lassen darf (49,3 wird meines Erachtens neu [und wohl nicht unproblematisch] übersetzt mit: "You are my servant, you are Israel, in whom I will be glorified"; zur Begründung vgl. 383 f.), jener Knecht, der zunehmend (48,16b; 49,1 ff.; 50,4 ff.) auf seine Rolle als stellvertretend Leidender zugeht (Jes 52,13-53,12; zum Verhältnis beider Knechte vgl. 385). Dieser findet dann über 54,17 vor allem in Kap. 65f. in Gestalt "meiner Knechte" seine Nachkommen, die der Gruppierung der Gegner innerhalb des Volkes entgegenstehen. Zur bedeutenden Stellung von Kap. 56-66 gehört nicht zuletzt, dass hier auch eine Aufnahme der "messianischen" Thematik aus Kap. 7 f.; 9; 11 vollzogen wird, was über den Mainstream in 40-55 hinweg geschieht. So wird das messianische Thema in den endzeitlichen Bereich integriert (dazu 538 f.545 f.). Ich habe hier allerdings Zweifel, ob 65,25 die Beweislast angesichts von V. 24 tragen kann. Auch scheint mir eine messianische Konnotation in 55,3 f. eher hinein- als daraus herausgelesen zu sein.

Zu den Befunden gehört, dass 40-55 als eine prophetic narrative (376.382 u. ö.) verstanden wird, eine Begrifflichkeit, die versucht, dem Charakter einer zukunftsorientierten "Geschichte" (narrative movement, 395; continuing narrative depiction, 431) in diesen Abschnitten Rechnung zu tragen. Tritojesaja wird nun hoch bewertet einerseits als Fortführung von Deuterojesaja und anderseits als Neuinterpretation von Protojesaja, was beide Buchteile stärker aufeinander bezieht (vgl. 443 f.446 f.).

Das "holistische" Interesse des Buches führt natürlich dazu, dass manche Vielstimmigkeit in einen höheren Einheitston aufgehoben wird. Aber das kommt der Anlage eines Kommentars entgegen, dessen Intention es ist, diese vielen Stimmen auf die eine Stimme des Buchganzen zu beziehen, oder mit Worten von C. anlässlich seiner Auslegung zu Jes 7: "Rather, my concern is to analyze how the coercion of the text from the hearing of the earliest levels of tradition evoked further interpretive activity from its editorial tradents who sought to register the continual effect of the whole on each single text" (63). Aus diesem Satz geht das Wollen C.s sehr deutlich hervor, ebenso, was wir uns unter einem "canonical process" zu denken haben, der sich als Textbildung vollzieht.

Ich nenne noch einige Einzelheiten, die für C.s Kommentar charakteristisch sind: die Denkschrifthypothese zu Kap. 6,1-9,6 wird verabschiedet (vgl. 42-44). Er zeichnet den Abschnitt vielmehr in die Sinnbewegung von Kap. 5-12 ein. Diese besteht nicht zuletzt in einer Vorzeichnung der dann wieder in Tritojesaja aufgenommenen Scheidung der Glaubenden oder des "Restes" (Jesaja selbst in Kap. 6 als Prototyp, die Kinder usw.) und der Nichtglaubenden (Ahas usw.). Zu Kap. 6 wird versucht, die Differenz von "Berufung" und "Beauftragung" zu entschärfen (v. a. 53). - Gegenüber der Kontrastierung Ahas und Hiskija (Jes 7; 36-39) ist er skeptisch (64.266). In Jes 36 f. rechnet er nun eher mit zwei redaktionellen Schichten (B1 und B2) als mit selbständigen Quellenschriften (263).

Im Konzert der Stimmen zum Jesajabuch will C. einen ganz bewusst "theologischen" Part übernehmen. Diese Stimme zu hören, ist in meinen Augen auch dann eine gute und wichtige Angelegenheit, wenn mir manche Tendenzen des Buches doch zu stark in Richtung auf eine Abschottung des Buches Jesaja von aller Realität und damit auch Relativität (sowohl historisch, als auch psychologisch oder soziologisch) gehen.