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Ausgabe:

Oktober/2002

Spalte:

1111–1113

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Henning, Christian

Titel/Untertitel:

Die evangelische Lehre vom Heiligen Geist und seiner Person. Studien zur Architektur protestantischer Pneumatologie im 20. Jahrhundert.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2000. 450 S. gr.8. Kart. ¬ 39,95. ISBN 3-579-02639-9.

Rezensent:

Werner Brändle

Nachdem in den letzten Jahrzehnten das Thema Pneumatologie endlich fundamentaltheologischen Rang erreicht hat, lag es nahe, die Geschichte der Lehre vom Heiligen Geist innerhalb des deutschsprachigen Protestantismus nachzuzeichnen. Dass es dabei nicht nur um eine Rekonstruktion und Ausdifferenzierung einzelner dogmatischer Positionen bzw. theologischer Entwürfe gehen kann, hängt eben mit der fundamentaltheologischen Funktion der Pneumatologie zusammen. Chr. Henning hat deshalb mit seiner Habilitationsschrift [Erlangen] versucht, nicht nur eine historisch-genetische Abhandlung unter der Leitfrage wie die grundlegenden Veränderungen des Lehrgegenstandes Pneumatologie zustande gekommen sind und worin sie bestehen, zu schreiben; er hat auch mit seinem zweiten Teil seiner Abhandlung die Problematik der Personalität des Heiligen Geistes aufgegriffen, nicht um einen Neuentwurf der Pneumatologie vorzulegen, sondern mit dem Ziel: "die Rede von der Personalität des Heiligen Geistes durch Rekurs auf eine Theorie der Geisterfahrung zu begründen" (304) bzw. um die Frage zu beantworten "ob die als Heiliger Geist bezeichnete Instanz auch personal aufgefaßt werden könne und darum eine erfahrungstheologische begründete dogmatische Rede vom Heiligen Geist als Person möglich sei" (431).

Wenngleich der 2. Teil Überlegungen zur Personalität des Heiligen Geistes nur ein Drittel der Abhandlung umfasst, so bestimmt doch dessen Fragestellung die der ganzen. Denn das Ergebnis heißt: Das psychische Phänomen des testimonium spiritus sancti internum könne mit Hilfe identitätstheoretischer Theoreme als symmetrischer Dialog zwischen der Person des Heiligen Geistes und der des Gläubigen verstanden bzw. theologisch plausibel gemacht werden. Die Bedingung für diese Plausibilität wird mit dem Rekurs auf die "trinitarisch erfolgende Selbstauslegung des Heiligen Geistes" (429), wonach der Heilige Geist sich "der menschlichen Sprache in einer besonderen Form, nämlich der zur Heiligen Schrift gewordenen Sprache, die als der zu seiner Identität gehörende und sie bestätigende Ausdruck seiner Selbstauslegung" (ebd.) verstanden werden soll. Und dieser Rekurs wird unter der Prämisse vollzogen, dass erstens das kommunikationstheoretische Modell von Personalität im Anschluss an G. H. Mead und J. Habermas strukturanalog auf das immanent-trinitarische Personverständnis angewandt werden könne und außerdem dieses Personverständnis mit demjenigen konvergiere, "das sich aus dem ökonomisch-trinitarischen Wirken des Heiligen Geistes erschließen lässt" (342); und zweitens wird - in Anlehnung an K. Rahner - die Identität von ökonomischer und immanenter Trinität behauptet, weil nur so die Einheit von Selbst- und Fremdbeziehung für die menschliche und göttliche Person deutlich werde.

Von diesen zwei Prämissen aus legt es sich dann auch nahe, den theologischen Personbegriff analog einem anthropologischen "als Identitätsmodell" (343) auszuarbeiten. Die Argumentationskette H.s scheint demnach schlüssig zu sein: Er geht von der Erfahrung aus, dass der Heilige Geist sich innerpsychisch als Dialogpartner des Gläubigen meldet - getreu dem biblischen Offenbarungszeugnis, dass dieses Melden als ein Liebeshandeln Gottes verstanden werden darf -, symmetrisch angelegt ist und von daher Rückschlüsse auf die innertrinitarische Perichorese der göttlichen Personen gezogen werden können; folglich sei die Rede vom Heiligen Geist als Person sowohl theologisch als auch anthropologisch plausibel.

Mit dieser Explikation der Intention und Argumentationsstruktur der Untersuchung von H. ist - trotz der quantitativen anderen Gewichtung - deutlich, wo seine Interessen liegen und wie seine Begründungszusammenhänge vollzogen werden. Verständlich auch, warum das Ergebnis des ersten Teils Die evangelische Lehre vom Heiligen Geist und seiner Person in der deutschsprachigen Theologie des 20. Jahrhunderts (20-302) wenig austrägt für die Begründungsproblematik des zweiten Teils. So stellt H. in seiner Zusammenfassung des ersten Teils auch etwas resigniert fest, dass alle namhaften Theologen einer "dogmatischen Funktionalisierung der Pneumatologie" (304) erlegen seien; oder um dieses Ergebnis additiv auszuschmücken:

"Wie vielseitig wird der Heilige Geist bestimmt: als Kraft der Evidenz (Timm), als das Offenbarsein des Herrn (Barth), als Lebensmacht, als göttliche Lebensbewegung im ganzen und als drittes Moment derselben (Tillich), als Energiefeld und Kraft, als Ursprung allen Lebens und ewige Gabe (Pannenberg), als Kraft der Leidbewältigung und Neuschöpfung (Moltmann), als Kraft der Vernunft (Dantine), als Kraft der Krisenbewältigung (Welker, Müller-Fahrenholz), als Wesensbezeichnung Gottes (Barth, Tillich, Pannenberg, Moltmann)." (296)

Dieses Summarium, das nach H. zugleich die "Verfallsgeschichte" der Lehre vom Heiligen Geist darstellt, zeigt auch, welche theologischen Werke mehr oder weniger ausführlich von H. besprochen werden. Getreu seinem phänomenologischen Erkenntnisinteresse beginnt er mit der Darstellung der Position H.Timms und zeigt daran, warum "die theologische Arbeit an der Pneumatologie im Zwanzigsten Jahrhundert entwicklungslogisch zu betrachten und dabei vom Verdacht einer Verfallsgeschichte auszugehen" (288) ist.

K. Barths pneumatologische Aussagen werden umfassend von dessen Unterricht in der christlichen Religion (1924) bis zur KD IV und seinen Bemerkungen im Nachwort zu einer Schleiermacherauswahl (1968) nachgezeichnet mit dem Ergebnis: Barth habe mit seiner trinitätstheologischen Interpretation des Gottesgedankens am Leitfaden der Herrschaft Gottes zwangsläufig eine Unterbestimmung, ja Ausscheidung des Persongedankens aus der Trinitätslehre betrieben bzw. betreiben müssen. Tillichs theologischer Ansatz ist für die Geschichte der Pneumatologie von großer Bedeutung, da seine religionsphilosophische Grundlegung und kulturtheologische Ausführung in eine spezielle Geisttheologie münden. Doch kann Tillich den Erwartungen H.s deshalb nicht genügen, weil er "aufgrund fehlender trinitätstheologischer Ausarbeitung dem Gedanken der Personalität des Heiligen Geistes nicht gerecht" (291) werde. Auch die pneumatologischen Entwürfe von Pannenberg und Moltmann, die sich selbst als kritische Revision derjenigen von Barth und Tillich verstehen, können die Frage nach einer begründeten Rede der Personalität des Heiligen Geistes nicht hinreichend beantworten. "Auch Pannenberg formuliert seine Lehre vom Heiligen Geist am Leitfaden eines zentralen Gedankens. Anders als bei Barth und Tillich hat man es sogar bei ihm mit zwei Leitvorstellungen zu tun: mit der Idee einer Theologie der Vernunft und dem Gedanken der Herrschaft Gottes." (200) Und zu den Ausführungen Moltmanns bemerkt H., sie seien in ihrer Begründungsstruktur zirkulär und "in seinen Ausführungen scheinen sich ein substantialistisches und ein relationales Personverständnis zu vermengen. Der Grund dürfte darin liegen, dass Moltmann mit dem Begriff Person etwas Singuläres, keinem Oberbegriff Subsumierbares ausgedrückt wissen will. Problematisch an dieser Begriffsauffassung ist nicht nur die Äquivokation, sondern auch, dass dadurch der Begriff Person auf die Bezeichnung einer species infima verengt und so um seinen signifikatorischen Gehalt gebracht wird." (259) Die Hinweise H.s zu den monographischen Pneumatologien ohne Kontext eines theologischen Gesamtsystems (262 ff.) [W.Dantine, M. Welker, G. Müller-Fahrenholz] bestätigen für H. nur nochmals seine Hypothese der Verfallsgeschichte, d. h. der Geistbegriff wird im Sinne einer Leitidee funktionalisiert, ohne auf die Problematik des Personbegriffs näher einzugehen.

Hervorzuheben an der Abhandlung von H. ist, dass er dem Leser die Lektüre verhältnismäßig leicht macht. D. h., bei aller Komplexizität der Thematik gelingt dem Vf. eine klare und gut strukturierte Darlegung der Geschichte der Pneumatologie. Gerade der erste Teil ist durchsetzt mit hilfreichen methodischen Rückblicken und Zwischenbemerkungen, die dem Leser den Stand der Sachzusammenhänge zeigen und den roten Faden des Erkenntnisinteresses des Vf.s in Erinnerung rufen. Die Explikationen zu den einzelnen theologischen Positionen sind stringent, über einzelne Urteile ließe sich sicherlich streiten. Gleichwohl: Wer sich über die Geschichte der protestantischen Pneumatologie im 20. Jh. orientieren will und sachliche Argumente für weitere Auseinandersetzungen sucht, liest diese Abhandlung von H. mit Gewinn. Da eine Diskussion im Einzelnen hier nicht am Platze ist, möchte ich in kritischer und weiterführender Absicht doch noch folgende Fragen stellen: Kann von einem symmetrischen Kommunikationsgeschehen zwischen der Person des Heiligen Geistes und der des Gläubigen gesprochen werden, wenn die Selbstauslegung des Heiligen Geistes behauptet wird? Zeigt nicht die von H. gescholtene Funktionalisierung der Pneumatologie als Folge einer soteriologischen Profilierung des Handelns des dreieinigen Gottes, dass auch sein eigenes Rückschlussverfahren von dem ökonomisch-trinitarischen Wirken des Heiligen Geistes auf ein immanent-trinitarisches Personverständnis auch nur eine Funktionalisierung in theologischer Absicht darstellt? Und schließlich: Müsste die Personproblematik des Heiligen Geistes nicht stärker aus sprachanalytischer Perspektive erörtert werden, gerade um auch die Prämisse von der Selbstauslegung des Heiligen Geistes als einer Funktion der Rede von der Wirklichkeit des dreieinigen Gottes verstehen zu können?