Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2002

Spalte:

1077–1079

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Graap, Nicola

Titel/Untertitel:

Fénelon: Dialogues des morts composés pour l'éducation d'un prince. Studien zu Fénelons Totengesprächen im Traditionszusammenhang.

Verlag:

Münster-Hamburg: LIT 2001. 316 S. gr.8 = Ars Rhetorica, 10. Kart. ¬ 25,90. ISBN 3-8258-5176-1.

Rezensent:

Klaus Fitschen

François Fénelon hat sich als typischer und doch wieder untypischer Bischof des Ancien Régime einen Namen gemacht: Er brachte es 1689 zum Prinzenerzieher und 1695 zum Erzbischof von Cambrai, als Förderer der Mystikerin Jeanne-Marie de Guyon aber wagte er die Auseinandersetzung mit dem mächtigen Bischof Bossuet und musste sich schließlich vom Hof zurückziehen. Die hier zu besprechende und von dem Kieler Romanisten Volker Kapp betreute Dissertation widmet sich aus literaturwissenschaftlicher Sicht den Totengesprächen (Dialo gues des morts) Fénelons, doch soll hier besonders auf den kirchengeschichtlichen Ertrag geachtet werden.

Der historische Hintergrund wird im vorletzten und IX. Kapitel entfaltet ("Die Dialogues des morts als Fürstenspiegel"). Die Totengespräche sind also zu lesen als Kritik an Ludwig XIV. und Kardinal Richelieu, die in der Gestalt des skrupellosen Alkibiades auftreten, und als Aufforderung an ihren ersten Adressaten (den Herzog von Burgund, der als Thronfolger vorgesehen war) grundlegend anders zu handeln (257-260). "Fénelon [...] verweigert sich der Praxis Bossuets, den Staat [...] zu sakralisieren und den König mit einer religiösen Aura zu umgeben, damit dieser als Person in seiner zweifelhaften moralischen Qualität nicht sichtbar wird" (262). Der Bruch zwischen Fénelon und Bossuet lässt sich also auch mit unterschiedlichen politischen Zielvorstellungen begründen (265), denn Fénelon - so die Vfn. in Aufnahme ihres Befundes zur Augustin-Rezeption Fénelons (s. u.) - wollte "durch sein Erziehungswerk den absolutistischen Staat Frankreich in einen augustinischen Gottesstaat" verwandeln (267).

In ihrer Einleitung (I.) formuliert die Vfn. die "zentrale These", "daß die Schriften vordergründig weltlichen Inhalts, also auch die Dialogues des morts, nicht unabhängig von den geistlichen Texten Fénelons gelesen werden dürfen (7). So soll "das geistige Bezugssystem Fénelons herausgearbeitet werden" (16).

In den ersten Kapiteln der Arbeit analysiert die Vfn. die Geschichte der schon antiken Gattung Totengespräche (II.: "Grundzüge der Lukian-Rezeption im Zeitalter des Humanismus und der Renaissance"; III.: "Das Totengespräch im 15. und 16. Jahrhundert: Beispiele") und geht dann (IV.) auf "Entwicklung und Stand der Forschung" zu Fénelons Totengesprächen ein. Hier wird besonders auf die "Fragwürdigkeit einer Einordnung der Totengespräche Fénelons in die Tradition der Lukian-Bewunderung" hingewiesen (60), da diese "weder den geistigen Kern noch die rhetorische Gestaltung der Fénelonschen Dialoge" erfasst (61), sondern vielmehr "auf die möglichst präzise Bestimmung zentraler Termini im Kontext mit den theologischen Schriften Fénelons" zu achten ist (63). "Zu prüfen ist deshalb, ob die Dialogues des morts nicht doch als spezifisch christliche Unterweisung für einen christlichen Herrscher gelesen werden können" (67).

Die Vfn. begründet ihre Skepsis gegenüber einer humanistischen Lesart Fénelons einleuchtend mit dessen eigenen Aussagen über Lukian (V.), in denen dieser mit Augustin als Maßstab kritisiert wird: Lukian ist somit "Vertreter eines Atheismus, der im 17. Jahrhundert als libertinistische Freigeisterei nach Fénelons Befürchtung die Religion zunehmend bedroht" (74). Die Vfn. erkennt klar die große Bedeutung Augustins (bzw. der als augustinisch verstandenen Theologie) in den Kontroversen dieser Zeit, sei es in der Auseinandersetzung mit dem "augustinischen" Jansenismus, sei es im Streit um die Mystik zwischen Bossuet und Fénelon. Sie kommt so zu ihrer weiterführenden These, dass die "Begriffe, die in Fénelons geistlichem Schrifttum durch seine Auseinandersetzung mit Augustinus geprägt sind, auch bei der Analyse der Totengespräche nach ihrer spezifisch augustinischen Bedeutung zu befragen sind" (81). Diese These wird im VI. Kap. exemplarisch überprüft: So lassen sich in Fénelons Totengesprächen u. a. Reflexe auf die augustinische Gnaden- und Erwählungslehre (88 f.), die Platonismus-Rezeption (119) und die Auffassung von Kirche und Staat (175) nachweisen.

Kap. VII beleuchtet "Rhetorik-Aspekte" in Fénelons Werk. Bedeutsam ist hier der Befund: "Die Totengespräche Fénelons enthalten vielfach Gesprächspassagen, die an die geistliche Gewissenserforschung erinnern" (213), ferner sind auch Elemente der Predigtrhetorik in sie eingegangen (225.229). Vor allem ist das Totenreich hier nicht die "Spielwiese" eines Lukian, sondern der Ort, an dem die Menschen "ihre Kleinheit angesichts des Todes erkennen" müssen (241). In Kap. VIII ("Vom Sinn des Wortes und der Geschichte") geht die Vfn. auf Fénelons exegetischen (allegorischen) Umgang mit der Bibel ein, aus dem sich eine Ablehnung volkssprachlicher Übersetzungen ergibt (246), sie weist nochmals auf das von Augustinus geprägte Geschichtsverständnis Fénelons hin und sieht auf Grund typologischer Züge der Totengespräche eine Nähe zur zeitgenössischen Emblematik (253). - In Kap. X werden die Ergebnisse zusammengefasst: Die Totengespräche Fénelons unterscheiden sich von den humanistischen dadurch, dass sie geistliche Dialoge sind, in denen das memento mori-Motiv eine große Rolle spielt (273), und dass sie den künftigen Herrscher zur christlichen Demut anleiten wollen (277).

Das Buch sollte nicht nur in der literaturwissenschaftlichen Fénelon-Forschung Beachtung finden, sondern auch zur besseren historischen Verortung der Gestalt Fénelons - im Übrigen auch in der Geschichte der christlichen Pädagogik - herangezogen werden. Eine kurze historische Einführung hätte auch Nicht-Spezialisierte eher zur Lektüre einladen können.

Man muss Gesagtes nicht wiederholen (vgl. M. Vinzent, ThLZ 126, 2001, 1053), doch sind auch bei dieser Arbeit die typographischen Mängel anzumerken, die bei der Lektüre des inhaltlich dichten und mit Zitaten gesättigten Textes stören. Der Verlag hat sie offenbar durchgehen lassen, ohne auf die einfachen Möglichkeiten ihrer Behebung hinzuweisen: Der Zeilenabstand ist nicht definiert und vergrößert sich durch Fußnotenziffern; die Silbentrennung ist nicht aktiviert, was zu unschönen Wortabständen führt; Anführungszeichen und Apostroph variieren zwischen geraden und typographischen.