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Ausgabe:

Oktober/2002

Spalte:

1076 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Feil, Ernst

Titel/Untertitel:

Religio. 3: Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs im 17. und frühen 18. Jahrhundert.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001. 542 S. gr. 8 = Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 79. Lw. ¬ 79,00. ISBN 3-525-55187-8.

Rezensent:

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

In diesmal rascher Folge (1: 1986, 2: 1997, vgl. die Rez. in ThLZ 126, 2001, 85 f.) erschien Bd. 3 der akribischen semantischen Untersuchung zum Begriff religio, wobei der Autor, der Münchner Lehrstuhlinhaber für Religionslehre und -pädagogik, im Vorwort sogar das baldige Erscheinen des 4. und letzten Bandes ankündigt. Erst in diesem letzten Band scheint es zur spezifisch neuzeitlichen, d. h. bis heute fast ausschließlich geltenden Bedeutung von religio zu kommen, für die Feil Schleiermacher und Goethe als Gewährsmänner ankündigt: religio als gemeinschaftlichen ("vernünftigen") Oberbegriff für alle Religionen, als gefühlsbesetzte innerliche Überzeugung und als Lieferantin ethischer Konzepte. Umgekehrt bedeutet dieser Vorblick auf das moderne Verständnis, dass der jetzt vorliegende voluminöse Bd. 3 trotz aller die Neuzeit bereits tief fundierenden Theorien keine solche Innovation für das bis dahin geltende Verständnis von Religion entwickelt, wie es seit der Antike vorlag und wie es, durch das Christentum kaum transformiert (da es den Begriff fides für sich reserviert), eben bis zum Anfang des 18. Jh.s offensichtlich stabil bleibt. Dieser "klassische" Religionsbegriff umfasst erstrangig, wie F. wiederholt betont, den öffentlichen Kultus, also die verschiedenen modi der Verehrung (Gottes oder der Götter), nicht aber die theoretische Behauptung von Gottes Existenz oder anderen davon abzuleitenden Wahrheiten als gemeinsamen Ausgangspunkt der verschiedenen Überzeugungen. Dieser herkömmliche, politisch-öffentliche Grundansatz von Religion wird im 16. und 17. Jh. variiert, aber letztlich nicht aufgebrochen, wie gezeigt wird an maßgeblichen Vertretern von (katholischer und altprotestantischer) Theologie, Jus (darunter Pufendorf, Thomasius und mit Dokumenten zum Westfälischen Frieden) und Philosophie (im Rationalismus zwischen Francis Bacon bis Descartes), sowie in "Reformatorischen Alternativen" (Sozinianismus und frühem Pietismus) und "Regionalen Entwicklungen" (in Frankreich von Pascal bis Fénélon und in England, darunter Tillotson, Stillingfleet und Toland). Möglicherweise lässt sich jedoch der frühe Pietismus mit seiner - wenn auch noch durchaus nüchternen - Betonung von "Gemüth" und Erfahrung als ein erster, noch mittelbarer Vorläufer für das künftige neuzeitliche Programm religiöser Innerlichkeit verstehen. F. schließt die Überlegung an, ob der frühe Pietismus nicht zugleich die Weiterentwicklung der Semantik von pietas zu einem dem heutigen Religionsbegriff äquivalenten Oberbegriff verhindert habe - durch die einseitige Besetzung von pietas, aber auch durch eher heterodoxe, radikalpietistische Entwicklungen (Pierre Poiret, Gottfried Arnold).

Aufschlussreich sind auch Einzelbeobachtungen, etwa jene von der juristischen Ausarbeitung einer pax religiosa: Auf Grund des öffentlichen Vollzugs religiöser Handlungen war letztlich juristisch gesehen nur eine Religion in einem Staatswesen sinnvoll, doch wurde zur Lösung ein ius migrandi vorgeschlagen (153).

Auch zu Beginn der Aufklärung, namhaft gemacht an Philosophen wie Spinoza, Geulincx, Locke, Malebranche, Bayle und Leibniz, und bereits im Umfeld von Atheismus und Religionskritik wird dennoch die Semantik von Religion nur "zögerlich" innoviert - so das Fazit des Bandes. Es bleibt wesentlich bei dem Verständnis von "Sorgfalt für manifeste Vollzüge" (475) ohne jenen theorielastigen Hintergrund, den wir heute mit "Religionsphilosophie" besetzen. - U. a. auf Grund dieses Fazits darf man gespannt sein auf den abschließenden Band, der "endlich", etwa ab 1750, den heute üblichen universalistischen Gebrauch von Religion belegen wird.