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Ausgabe:

Oktober/2002

Spalte:

1068–1070

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Vogtherr, Thomas

Titel/Untertitel:

Die Reichsabteien der Benediktiner und das Königtum im hohen Mittelalter (900-1125).

Verlag:

Stuttgart: Thorbecke 2000. VIII, 361 S. gr.8 = Mittelalter-Forschungen, 5. Geb. ¬ 42,44. ISBN 3-7995-4255-8.

Rezensent:

Hanns-Christoph Picker

Die ottonisch-salische Reichskirche ist nicht umsonst ein klassisches Feld der Forschung. Die enge Verzahnung politischer Macht und religiöser Institutionen erreichte hier einen charakteristischen Höhepunkt. Der Historiker Thomas Vogtherr widmet sich in seiner überarbeiteten Kieler Habilitationsschrift der zweiten Säule der Reichskirche neben den Bischöfen: den Klöstern. In seiner Arbeit will er die Gesamtheit der benediktinischen Reichsabteien erfassen und ihr Verhältnis zu den ottonisch-salischen Herrschern nachzeichnen (1). Untersucht werden Männer- und Frauenklöster. Einbezogen werden- anders als es der Titel erwarten lässt - die Reichsfrauenstifte. Diese Entscheidung ließe sich mit der herausragenden Bedeutung der Frauenstifte Gandersheim, Quedlinburg und Kaufungen für die ottonischen Herrscher begründen. Warum aber bleiben dann die Reichsstifte der Männer unberücksichtigt? Die zeitliche Eingrenzung von 900 bis 1125 begründet der Vf. damit, dass das Rechtsverhältnis der Reichsabteien zu den Herrschern vom Beginn der ottonischen Zeit bis zum Wormser Konkordat "weitgehend konstant" geblieben sei (4). Bisweilen gerät die Stauferzeit in den Blick. Hier schimmert durch, dass in der ursprünglichen Habilitationsschrift diese Periode mitbehandelt wurde.

Für die Verhältnisbestimmung von Reichsabteien und Königen hält der Vf. eine "primär verfassungsgeschichtliche, also profangeschichtliche" Herangehensweise für angemessen (8). Die Geschichte der Klosterreformen wird nicht behandelt (1). Die politische Bedeutung der monastischen Reformbewegungen wird damit gering veranschlagt. Auch die religiöse Funktion der Reichsklöster und die religiösen Motive der Herrscher spielen nur eine untergeordnete Rolle. Im Mittelpunkt steht die Frage nach klar belegbaren Rechten und Pflichten (7). Einleitend bestimmt der Vf. den Status der Reichsabteien als "Konglomerat verschiedener, einander überlagernder und zu unterschiedlicher Zeit unterschiedlich zu gewichtender" Rechte und Pflichten gegenüber dem Reich. Am bedeutendsten erscheinen ihm militärische und wirtschaftliche Dienstpflichten (24).

Zunächst werden die "Einwirkungen der Herrscher auf das Innere der Klöster" untersucht. Dabei geht es vor allem um die Einflussnahme auf Abtswahlen und Abtsenthebungen (75-116). Entgegen der Benediktsregel und trotz expliziter Wahlprivilegien sei das prinzipielle Recht der Herrscher, auf Abtsernennungen Einfluss zu nehmen, bis zum Investiturstreit unstrittig gewesen (113). Weitere Bereiche der Einwirkung betreffen äußere Existenzbedingungen der Klöster: die Ausstattung mit Reichsgut (117-141) sowie Markt-, Münz- und Zollrechte (142-151).

Den Rechten der Reichsabteien stellt der Vf. ihre Pflichten gegenüber. Direkte wirtschaftliche Leistungen zu Gunsten der Herrscher (155-166) sind nur sporadisch bezeugt und hatten nach Einschätzung des Vf.s eine vergleichsweise geringe Bedeutung (165). Mit festen Kontingent-Standards seien die Reichsabteien zur Heeresfolge verpflichtet gewesen (167-188). Faktisch hatten sie nur eine "verschwindend geringe Bedeutung" (179), die kontinuierlich abnahm (183 f.). Begrenzt sei auch die Rolle der Reichsäbte auf Reichssynoden (194) und Hoftagen (204 f.) gewesen. In salischer Zeit spielten die Äbte nach Ansicht des Vf.s in der Reichspolitik kaum noch eine Rolle (205). Als Itinerarstationen (206-219) seien die Reichsabteien nur am Rande von Bedeutung gewesen (219). Gebetsverpflichtungen und Seelenheilstiftungen wurden zwar in zahlreichen Urkunden ausdrücklich festgeschrieben (220-229), insgesamt aber verschieben sich nach Einschätzung des Vf.s die Schwerpunkte mehr und mehr von den Klöstern zu den Bischofskirchen (229). Als Bischöfe machen Mönche und Äbte nur eine kleine Gruppe aus (230-263). Dass ihre Wahl nach Otto I. mehr und mehr zum Ausnahmefall wurde (231), führt der Vf. auf zwei Faktoren zurück: Die Festigung der Hofkapelle und der Domstifte als Ausbildungsstätten (260) sowie das Auseinanderdriften monastischer Lebensformen und bischöflicher Tätigkeit (262). Auf Einzelfälle beschränkt sei der Einsatz von Reichsmönchen als Gesandten (264-269).

Abschließend bietet der Vf. einen chronologischen Überblick, der die Eigenarten der einzelnen Herrscher im Umgang mit den Reichsklöstern herausarbeitet. Ihre Blütezeit erlebten die Reichsabteien unter Otto I.: Herrschernähe, Priviligierungen, Festigung der Rechtsstellung gegenüber Dritten, steigende Zahl der Reichsklöster, aber auch wirtschaftliche und militärische Inanspruchnahme kennzeichnen diese Periode (278 f.). Eine "bewußte Klosterpolitik" im Sinne einer zielgerichteten und konzeptorientierten Herrschaftspraxis billigt der Vf. allein Heinrich II. zu (287). Stichworte sind Eingriffe in die Klosterbesitzungen und in Wahlrechte, steigende Reichsgut- und Reichsrechtsvergaben, Besitzarrondierungen sowie Inanspruchnahme der Reichsabteien für das Itinerar. Eine "letzte Blütezeit des Reichsmönchtums" markiert die Herrschaft Heinrichs III. (290), bevor die Reichsklöster seit der Mitte des 11. Jh.s "vollends im Schatten der Reichspolitik zu stehen begannen" (291).

Den Anhang bilden Zusammenstellungen der benediktinischen Reichsabteien, der Reichsabteien und -stifte der Frauen sowie der Itinerar-Aufenthalte der Herrscher in Reichsabteien (301-320). Wertvolle Forschungsinstrumente sind auch Listen über die Vergabe von Reichsklöstern an Dritte (49 ff.), eine Aufstellung über die Wahlprivilegien (81), sowie eine Zusammenstellung der Münzprivilegien und der Münztätigkeit von Reichsabteien (150).

Auf der Basis einer breiten Analyse von Einzelquellen bietet der Vf. detailreiche Einblicke in die Rechtsstellung der Reichsabteien in ottonisch-salischer Zeit und in ihre Bedeutung für die Herrschaftspraxis. Der Grundtendenz nach relativiert er ihre reichspolitische Funktion. Die These überzeugt. Sie basiert allerdings nicht auf einem durchgängigen Vergleich mit anderen relevanten Institutionen: den Bischöfen und den weltlichen Fürsten. Zudem kommen wichtige Themenkomplexe höchstens am Rand in den Blick: Grafschaftsverleihungen, Eingriffe der Herrscher in Auseinandersetzungen der Reichsabteien mit Bischöfen und vor allem die Bedeutung der Klöster für Bildungsaufgaben, Geistesleben, Buchproduktion, Christianisierung und Mission. Ergänzungsbedürftig ist die pointiert profangeschichtliche Herangehensweise und der weitgehend fehlende Blick auf die Geschichte der monastischen Reformen. Deren verschiedene Strömungen hatten eminent politische Implikationen und die Blütezeiten der Reichsabteien decken sich auffällig mit gesteigertem Interesse der Herrscher an Reformbestrebungen. Auch sonst dürften spirituelle Motive sowohl das Verhältnis der Reichsabteien zum Herrscher als auch deren Herrschaftspraxis gegenüber den Klöstern maßgeblich bestimmt haben. Für das Verhältnis von Reichsabteien und Königtum ist zu bedenken, was Arnold Angenendt für das "Reichskirchensystem" als ganzes behauptet hat: Es ist weniger staatspolitisch als religionsgeschichtlich zu deuten.