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Ausgabe:

Oktober/2002

Spalte:

1058–1060

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wiarda, Timothy

Titel/Untertitel:

Peter in the Gospels. Pattern, Personality and Relationship.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. XIV, 276 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 127. Kart. ¬ 49,00. ISBN 3-16-147422-8.

Rezensent:

Lutz Doering

Mit dem hier anzuzeigenden Buch legt Wiarda die leicht überarbeitete Fassung seiner Londoner Dissertation (Brunel University/London Bible College) von 1999 vor. Die Untersuchung beschäftigt sich mit der narrativen Charakterisierung des Petrus in den Evangelien. W.s These ist, dass in allen vier Evangelien ein wahrnehmbares Muster verarbeitet ist, bei dem auf eine positive Intention des Petrus Tadel, Berichtigung oder Versagen folgt ("positive intention-reversal pattern", so 39 u. ö.). Die Beobachtung einer Folge von (vor-)schneller Initiative und Rückschlag ist jedem vertraut, der sich näher mit Petrus beschäftigt; sie wird hier jedoch erstmals in monographischer Breite erfasst und ausgearbeitet.

Kap. 1 (1-8) besteht aus knappen methodologischen Überlegungen. W. verbindet Elemente des (modisch "wholistic" [sic] genannten [1 u. ö.]) narrative criticism mit solchen des rhetoric criticism sowie traditionsgeschichtlichen und historischen Fragen. Das durchaus nicht spannungsfreie Verhältnis dieser (schwerpunktartig auf die verschiedenen Kapitel des Buchs verteilten) Methoden mildert W. dadurch etwas, dass er entgegen der vorherrschenden Tendenz unter den narrative critics die Autor-Intention mit berücksichtigt (3 f.) und mit seiner Analyse bei den Einzelperikopen ansetzt (6 f.). Die redaktionsgeschichtliche Methode wird kaum zureichend gewürdigt (5.8, Anm. 15.142). Kap. 2 (9-33) bietet einen Forschungsüberblick zur narrativen Charakterisierung des Petrus (nicht mehr berücksichtigt ist D. Rhoads/K. Syreeni [Hrsg.], Characterization in the Gospels, JSNT.S 184, 1999).

In Kap. 3 (34-45) stellt W. das "intention-reversal pattern" vor. In zwölf Petrus-Episoden sei es deutlich vorhanden: Mk 8, 31 ff.par.; 9,5 ff.parr.; 14,29 f.parr; 14,54. 66-72parr.; Mt 14, 28-31; Lk 5,8-11; Joh 13,6 f.; 13,8; 13,9 f.; 18,10 f.; 21,15b- 16a; 21,16b-17a. In vier weiteren Fällen sei das Muster schwächer präsent: Mk 1,35-38; Mt 17,24-27; 18,21 f.; Joh 13,36. In nochmals zwei Fällen werde es nur erkennbar, wenn der Kontext mit einbezogen wird: Mk 14,31-38parr.; Joh 21,7.15a. Kap. 4 (46-64) widmet sich der Frage, inwieweit dieses Muster mit Petrus im Besonderen in Verbindung steht und stellt diesbezüglich "a distinctive but not exclusive connection" (64) fest.

Die folgenden drei Kapitel stellen das Herzstück der Arbeit dar. Kap. 5 (65-119) befragt evangelienweise die "pattern"-Texte (samt Kontext) sowie einige weitere Stücke nach einer individuellen Charakterisierung des Petrus. Diese wird anhand von zwei Faktoren beschrieben: dem Grad der Individualisierung und dem Grad der narrativen Leser-Distanz. Während Letzterer wesentlich durch den Standpunkt des Erzählers bestimmt wird, erhebt W. Ersteren auf fünf Ebenen (generische äußerliche Information [z. B. "Fischer"]; stereotype Züge/Gefühle; distinktive äußerliche Information [z. B. Name]; distinktive Züge/Gefühle; distinktive Komplexität der Gestalt). Im Ganzen kommt er auf 18 distinktive Züge oder Eigenschaften, unter denen die häufigsten schnelle Initiative, Wunsch nach Loyalität gegenüber Jesus, Unverblümtheit und ungezügelte Handlung/Gefühlsäußerung sind (117 f.). In Kap. 6 (120- 141) geht W. noch einmal viele der genannten Texte auf die in ihnen dargestellte Beziehung zwischen Jesus und Petrus durch und sieht diese in unterschiedlicher Weise mit dem "intention-reversal pattern" verbunden. In Kap. 7 (142-182) geschieht dasselbe mit Blick auf die Funktionen des Musters und der Charakterisierung, unter denen W. zwischen narratologischen ("story related") und pragmatischen ("life related") unterscheidet (145 ff.). W. stellt fest, dass es neben christologischen und exemplarisch-paradigmatischen Funktionen auch ein spezielles Interesse an Petrus selbst mit Ansätzen zu einer "Peter story" (181) gibt.

Kap. 8 (183-205) fragt nach vergleichbaren Mustern in antiken griechischen und hebräischen Erzähltexten - mit dem Ergebnis, dass es zwar Ähnlichkeiten, aber keine genauen Parallelen zur Charakterisierung des Petrus in den Evangelien gibt. Die Analyse bleibt hier recht oberflächlich. Die Auswahl der verglichenen Texte ist nicht zwingend; ihre Vergleichbarkeit (etwa bei der Neuen Komödie) ist z. T. fraglich. Teilweise stützt sich W. auf Material aus zweiter Hand (zu den Rabbinen).

In Kap. 9 (206-228) geht es zunächst um die Frage, ob die Evangelisten hinsichtlich der Petrus-Darstellungen eher Sammler von Tradition oder Kompositoren sind. W. tendiert zu ersterer Sicht, wobei er v. a. die bereits zuvor (119.182) festgestellte Mehrfachbezeugung des "pattern" und einer spezifischen Petrus-Darstellung in den Zweigen der Evangelienüberlieferung ins Feld führt (213). Voraussetzung für die Anwendung dieses Kriteriums ist freilich die Unabhängigkeit der Quellen. Nach einer dem Problem kaum gerecht werdenden, allzu knappen Diskussion (213-217) sieht er diese im Wesentlichen gegeben. Bei der anschließenden Frage nach der historischen Grundlegung des "pattern" (218-226) macht W. vom Kriterium der Mehrfachbezeugung noch einmal Gebrauch. Nicht nur mit diesem, sondern auch mit den - ebenfalls ursprünglich für die Rückfrage nach Jesus entwickelten - Kriterien des "embarassment" und der Unähnlichkeit ergebe sich: "the narratives involving Peter reflect a sense of the person he was" (228, vgl. 226). Die Problematik der Anwendung des Differenzkriteriums auf eine Gestalt des frühen Christentums wird zwar gesehen, aber kaum befriedigend gelöst.

Kap. 10 (229-233) bietet knappe literarische und - recht aufgesetzt - (pastoral-)theologische Reflexionen und Folgerungen. In literarischer Hinsicht wendet sich W. gegen eine vorschnelle symbolische Deutung von Petrus-Episoden (229 f.); auch passe das aus positiven und negativen Elementen zusammengesetzte "pattern" weder zu einem anti- noch zu einem propetrinischen Verständnis der Episoden (227.231 f.). Ein Appendix (zur Häufigkeit der "reversals", 235 f.), eine Bibliographie (237-258) sowie Register (259-276) schließen den Band ab.

Über die bereits angemerkte Kritik hinaus ergibt sich eine Reihe von Fragen an das Buch, zunächst im Blick auf die Identifizierung und Abgrenzung der "pattern"-Texte: So erfährt Petrus nach Mk 9,5-7 sein "reversal" nicht- wie zumeist sonst - durch Jesus, sondern durch die "Stimme aus der Wolke", doch der Bezug dieser Stelle zu Mk 1,11 wird nicht diskutiert. Ob Jesus durch den Ruf zur Furchtlosigkeit und das Menschenfischer-Wort nach Lk 5,8-11 Petrus in einer Weise korrigiert (so 37), die mit den anderen Texten vergleichbar ist, kann man fragen. Gelegentlich liegt die Zuordnung zu "pattern"-Belegen quer zur Textstruktur: Die Aufteilung von Joh 21,15-17 in drei Belege ist angesichts der kunstvollen Komposition des Stücks fragwürdig; in Mk 14 sieht W. das Muster in 14,31-38, obwohl 14,31 klar mit 14,27-30 zusammengehört (so auch 80). Die diachronen Überlegungen stehen, wie W. selbst andeutet (2: "only in a limited way" will er sie verfolgen), auf schwachen Beinen. Was bedeutet es für die historische Frage, wenn auch andere Gestalten mit dem Muster verbunden sind und dabei als "weak exemplars of the motif" (61) lediglich graduell von Petrus abgesetzt werden? Was hier literarische Charakterisierung und was historische Haftpunkte sind, wäre noch einmal neu aufzurollen. Fragen werfen auch W.s Darstellungsweise und Stil auf: An den erzielten Ergebnissen gemessen, wirkt der argumentative Aufwand öfter zu hoch; mehrfach finden sich Wiederholungen; manches (v. a. in den Kap. 5-7) hätte gestrafft werden können.

Diese kritischen Bemerkungen sollen aber nicht darüber hinwegsehen lassen, dass W. einen durchaus bereichernden Beitrag zur Charakterisierung des Petrus in den Evangelien geleistet hat. Insbesondere hat er mit guten Gründen - und unter Hinweis auf andere Arbeiten zur Charakterisierung in biblischen und klassischen Texten (31 f.70 f.) - auf ein Interesse der Evangelien an der individuell gezeichneten Gestalt des Petrus aufmerksam gemacht. Damit hat er ein Fragezeichen hinter Deutungen gesetzt, die diese Gestalt in erster Linie als Typus, als Symbol oder als Gegenstand frühchristlicher Kontroversen verstehen. Man wird in Zukunft noch genauer auf die Verbindung von Individuellem, Symbolischem und Typischem in der Petrus-Darstellung der Evangelien achten müssen. Dazu wird man m.E. aber redaktionsgeschichtliche Fragestellungen doch stärker zu gewichten haben, als W. dies tut.