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Ausgabe:

Oktober/1998

Spalte:

1018 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Llano Sánchez, Rafael

Titel/Untertitel:

Max Webers Kulturphilosophie der Moderne. Eine Untersuchung des Berufsmenschentums. Aus dem Span. übertr. von H. Scherer.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 1997. 538 S. gr.8 = Soziologische Schriften, 65. Kart. DM 168,-. ISBN 3-428-08970-7.

Rezensent:

Winfried Gebhardt

Überblickt man die stetig weiter anwachsende Weber-Literatur, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als ob irgendwo in den Gefilden der institutionalisierten Soziologie eine geheime Kongregation am Werke ist, die durch die Förderung von Heiligenlegenden planmäßig die Seligsprechung Max Webers betreibt. Schon Karl Jaspers präsentierte uns Weber als Lichtgestalt, als Held der entzauberten Moderne, der die partikularisierte Wirklichkeit der modernen Kultur in seiner universalhistorischen Soziologie zu einer letzten Synthese zusammenzwingt. Und mit Annäherung an das nächste Jahrtausend nehmen die Versuche wieder zu, an die Jaspersche Traditionslinie der Weber-Interpretation anzuknüpfen und uns Max Weber als den alle anderen überragenden Philosophen des 20. Jh.s zu verkaufen. Nicht nur Wilhelm Hennis steht für diesen Trend.

Das hier zu rezensierende Buch des spanischen Philosophen Rafael Llano Sanchez scheint sich auf den ersten Blick in diese Traditionslinie einzureihen. Schon der Titel "Max Webers Kulturphilosophie der Moderne. Eine Untersuchung des Berufsmenschentums" verspricht, uns Max Weber als einen Philosophen vorzustellen, dem es in einer letzten großen Anstrengung noch einmal gelingt, das Ganze der Welt in den Blick zu nehmen. Dieser Anspruch wird dann in der Einleitung auch direkt formuliert. Aber nicht nur, daß uns Max Weber als der Hegel des 20. Jh.s präsentiert wird, kennzeichnet diese Studie. Der Autor beansprucht darüber hinaus auch, daß er in der Idee des "Berufsmenschentums" jenen "Ariadnefaden" gefunden habe, der es ihm erlaubt, sich das "Werk als ganzes zu eigen zu machen" (16). Und schließlich soll uns Max Weber noch als der Philosoph der Demokratie verkauft werden, der uns in Fortführung der antiken Tradition als "neuer Platon" und "neuer Aristoteles" (bezeichnenderweise kann sich der Autor nicht entscheiden) lehrt, Wissenschaft "im Dienste des Gewissens, der Freiheit und des friedlichen Zusammenlebens" (19) zu betreiben.

Diesem Anspruch wird das Buch nicht gerecht. Der Hauptteil des Buches besteht aus einer Nacherzählung der Hauptschriften Max Webers (Wirtschaft und Gesellschaft, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Teile der Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie). Diese Nacherzählung kann als durchaus gelungen gelten. Man kann dem Autor nicht absprechen, Weber nicht sorgfältig studiertzu haben. Die Frage freilich bleibt: Wozu braucht man eine solche Nacherzählung? Als Lehrbuch ist die vorliegende Studie ungeeignet, weil sie erstes zu lang, zweitens zu detailverliebt und drittens zu wenig analytisch gegliedert ist. Als Studie, die dazu anleiten könnte, sich intensiver mit einzelnen, von Weber begründeten Forschungsgebieten der Soziologie auseinanderzusetzen, ist sie ebenfalls ungeeignet, weil sie sich bewußt auf die Wiedergabe des "authentischen Webers" beschränkt und deshalb auch darauf verzichtet, die umfangreiche Sekundärlitertur, die sich bemüht, die Weberschen Ansätze produktiv weiterzuentwickeln, zu benutzen.

Nur in einem letzten, "Fazit" genannten Abschnitt (437-511) wird versucht, den in der Einleitung formulierten Anspruch zu untermauern. Doch auch hier gelingt es dem Autor kaum, seine Behauptungen plausibel zu machen. Am ehesten kann man dem Autor noch zustimmen, wenn er sagt, die verstehende Soziologie sei der "Versuch eines empirischen Wissens" von der Gesamtheit der sozialen Erscheinungen und daß angesichts der "unendlichen Vielfalt der Wirklichkeit die empirische Wissenschaft notwendigerweise unvollkommen" sei (438), auch wenn unklar bleibt, warum diese Webersche Idee der Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft eine moderne Fortführung des Hegelschen Systemdenkens sein soll. Den Anspruch, in der Idee des "Berufsmenschentums" jenen "Ariadnefaden" entdeckt zu haben, der das vielgestaltige und oftmals widersprüchliche Werk Max Webers zusammenbindet, kann der Autor allerdings auch hier nicht einlösen. Ebenso wie bei dem Versuch, uns Max Weber als "Friedens- und Toleranztheoretiker" zu verkaufen, gelingt ihm dies nur dadurch, daß er bestimmte Bestandteile (insbesondere der Weberschen Herrschaftssoziologie) bewußt ausblendet. So behandelt er in dem Kapitel über das "Politische Handeln" (152-154) nur das verantwortungsethisch orientierte politische Handeln, ohne auch nur darauf hinzuweisen, daß Weber auch einen diesem entgegengesetzten Typus, das gesinnungsethisch orientierte Handeln, konstruiert hat. Und in dem Abschnitt über die Herrschaftsbeziehungen (280-310) werden die nichtlegitimen Formen der Herrschaft nicht einmal am Rande erwähnt. Max Weber schließlich zum Friedensfürsten hochzustilisieren, vermag der Autor nur, indem er ihn "verbessert", seinem Denken einen Friedens- und Menschenrechtsbegriff hinzufügt, der der Weberschen Soziologie vollkommen wesensfremd ist (494 f.). In allen diesen Fällen zeigt sich das deutliche Bestreben, in Max Weber eine Ikone für die eigene politische Überzeugung zu finden.

Das Buch wurde aus dem Spanischen übertragen. Es mag sein - der Rez. kann dies nicht beurteilen -, daß eine solche Nacherzählung der Hauptgedanken Max Webers für den spanischen Kulturraum durchaus von Nutzen sein kann. Warum diese Studie allerdings ins Deutsche übersetzt werden mußte, bleibt wohl ein Geheimnis des - wie es in der oftmals nicht unproblematischen Übersetzung heißt - "Vogels der Minerva" (438).