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Ausgabe:

Oktober/2002

Spalte:

1050 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hengel, Martin, u. Anna Maria Schwemer

Titel/Untertitel:

Der messianische Anspruch Jesu und die Anfänge der Christologie. Vier Studien.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2001. XVI, 267 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 138. Lw. ¬ 89,00. ISBN 3-16-147669-7.

Rezensent:

Jürgen Becker

Im Band sind vier Studien vereint. Hengel bietet eine neue Version seiner "Elisabeth James Lectures": "Jesus der Messias Israels" und einen Beitrag: "Jesus als messianischer Lehrer der Weisheit und die Anfänge der Christologie", dessen Kernbestand auf einen Vortrag in Straßburg zurückgeht. Schwemer stellt dazu ihre Probevorlesung (Umhabilitation nach Tübingen): "Die Passion des Messias nach Markus und der Vorwurf des Antijudaismus". Unveröffentlicht war bisher nur ihre erweiterte Antrittsvorlesung: "Jesus Christus als Prophet, König und Priester".

Beide Autoren stehen sich sachlich sehr nahe. Nur im Marginalen sind Nuancen zu erkennen. Sie widmen den Band H. Gese. Auf ihn, B. Janowski, P. Stuhlmacher und O. Betz wird laufend Bezug genommen. So erhält diese Tübinger Gemeinsamkeit ein weiteres Denkmal. Der gemeinsame Nenner der Autoren kommt so zu Wort (XIII, vgl. 33 f.): "Wir glauben, daß die Hypothese eines unmessianischen Jesus einen jener vielen fundamentalen Irrtümer der neutestamentlichen Exegese des 20. Jahrhunderts darstellt." Über die Vertreter des Irrtums gießt Hengel (nicht Schwemer) immer wieder grimmige Pauschalurteile (etwa: 62.96).

Zwar weiß H., dass wir zum Messiasproblem "über sehr subjektive Urteile nicht hinauskommen" (67). Er stellt fest, dass Jesu "Dienst im Blick auf die hereinbrechende Gottesherrschaft" zu bestimmen habe, wie Jesu Messianität zu interpretieren sei. Sie ist nicht einfach durch die frühjüdischen Konzeptionen vorgegeben (69). Auch ist ihm ein allgemeines Messiasverständnis Jesu (das er mit "eschatologisch" und "enthusiastisch" gleichsetzt, 72.74) wichtiger als die Hoheitstitel (XIII f.). Aber dann entfaltet er doch ein Superprogramm zur Messianität Jesu mit allen Titeln und intensiver Verbundenheit zum Judentum. Dabei wurzelt sein Messiasverständnis, durch J. Jeremias vermittelt, in der Leben-Jesu-Forschung des 19. Jh.s, insofern es am Biographischen und am Bewusstsein Jesu orientiert ist. Dies ist möglich, weil H. die Texte unmittelbar historisch befragt, ohne methodisch ihre literarische Seite und den diachronen Traditionsprozess zu bedenken. So beschreibt H., was er sich historisch vorstellen kann (und das ist sehr viel). Er bedenkt nicht, dass es literarische und traditionsgeschichtliche Bedingungen gibt, die solche Unmittelbarkeit nicht zulassen.

Hengel nimmt an (63-80), dass das mk Messiasgeheimnis ins Leben Jesu gehört: Jesus habe den Messiastitel in Galiläa noch nicht offen gebraucht, sondern sich als Geistgesalbter nach Jes 61,1 ff. bekundet. Doch in Jerusalem (vor allem beim Einzug und im Verhör des Hohen Rats) habe er die titulare Messiaswürde offen vertreten. Auch die drei Gruppen vom kommenden, gegenwärtigen und leidenden Menschensohn, der bereits vor Jesus im Judentum mit dem Messias identifiziert gewesen sein soll (11), gehen im Kern auf Jesus zurück. So chiffriert Jesus sich als Messias designatus. Zu Jesu Persongeheimnis gehört auch sein besonderes Sohnesbewusstsein, seine Identifikation mit der Weisheit und sein Selbstverständnis als Gottesknecht nach Jes 53. Sch. führt entsprechend das dreifache Amt Christi auf Jesus zurück (230): Anlässlich des Ausrichtens seiner Botschaft übernimmt er nach ihr die Verwerfung des Propheten, er weist sich in Jerusalem zeichenhaft als Messias aus und lässt sich als König der Juden hinrichten. Sein Tod ist für ihn priesterlicher Opfertod. Ostern bestätigt den dreifachen Dienst.

Ein Maximalprogramm! Lässt es sich aufrechterhalten? Wohl kaum. Hier die exemplarische Begründung: 1. St. Mason hat in ZNT 3, 2000, 13 ff. der neutestamentlichen Zunft vorgehalten, nur von ihrer Warte her auf Josephus zu Lasten seiner Eigenständigkeit zu sehen. Solche begrenzte Sicht begegnet bei beiden Autoren. So schafft man sich jüdische Vorbedingungen, die man für sein Jesusbild benötigt (z. B.: "Messias" und "Menschensohn" waren im Judentum vor Jesus identifiziert), oder man trägt nur zusammen, was man für das NT als "Fortsetzung" brauchen kann. So wird jüdische Komplexität eingeebnet und nicht beachtet, dass das innerjüdische Urchristentum am Rande des Judentums stand. 2. Es kann schwerlich überzeugen, wenn Jesu Messiasbekenntnis vor dem Hohen Rat (30) ausschließlich mit Postulaten und Suggestivfragen historisch ausgewertet wird. 3. Das "Sohnesbewußtsein" schreibt H. Jesus zu, indem er Mt 11,25 ff. vermutungsweise zu einem Bildwort verändert (97). Erst so traut er sich, die Überlieferung Jesus zuzuweisen. H. nennt das anderenorts eine phantastische Konjektur (78). 4. Natürlich ist bei Mt 5,3-5; 11,5 f. an Jes 61,1-3 zu denken. Doch es ist eines, ob Jesus damit die Zeit der Gottesherrschaft deutet oder ob er im Freudenboten eine mit ihm identische Endzeitgestalt sieht. Das Letztere steht nicht im Text. Die Beispiele sollen andeuten, dass das Buch reichlich Diskussionsstoff enthält.