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Ausgabe:

Oktober/2002

Spalte:

1042–1045

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Otto, Susanne

Titel/Untertitel:

Jehu, Elia und Elisa. Die Erzählung von der Jehu-Revolution und die Komposition der Elia-Elisa-Erzählungen.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2001. 290 S. gr.8 = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 152. Kart. ¬ 36,30. ISBN 3-17-016764-2.

Rezensent:

Hermann-Josef Stipp

Die bei Rainer Albertz erarbeitete und im Sommersemester 2000 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster angenommene Dissertation hat sich das Ziel gesetzt, "die Überlieferungs- und Redaktionsgeschichte der Elia- und Elisa-Erzählungen zu rekonstruieren" (27). Nach einem Forschungsüberblick wird auf ca. 90 S. die Erzählung von der Jehu-Revolution analysiert. Es folgen ca. 30 S. über die Elia-Erzählungen in 1Kön (hinfort: I) 21 und 2Kön (hinfort: II) 1 sowie nochmals ca. 90 S. über "die nachdeuteronomistischen Erweiterungen der DtrG-Grundschrift", worin der Rest des Elia-Zyklus und der gesamte Elisa-Zyklus (außer II 9) abgehandelt werden. Das Schlusskapitel stellt in einer ausführlichen Synthese die Ergebnisse dar, die auf Grund ihrer Komplexität nur stark verkürzt wiedergegeben werden können.

Die ältesten Traditionen und kurzen Erzählstücke reichen noch in die Lebzeiten Elias und Elisas im 9. Jh. zurück. Danach verlief das Wachstum der beiden Erzählkränze unterschiedlich. Der Elisa-Zyklus geht vor allem auf drei größere Vorläufer zurück. Wohl in der Spätphase der Jehu-Dynastie gegen Mitte des 8. Jh.s entstand am Hof in Samaria die Erzählung von der Jehu-Revolution als Propagandaschrift zur Legitimation des Herrscherhauses (II 9-10*). Wenig später wurden ältere Sammlungen "unpolitischer" (II 2,19-24*; 4.1-7.[8-37*].38-44*; 6,1- 7) und "politischer" (II 5,1-19*; 6,8-23*; 13,14-21) Wundergeschichten aus prophetischen Kreisen zur "Elisa-Biographie" verschmolzen (I 19,19-21; II 2,1-25a*; 4,1-6,23*; 13,14-21). Eine "israelitische Kriegserzählungensammlung" aus der Zeit der Aramäerkriege (I 20,1-34; II 6,24-7,16*) wurde in Juda zur "exilischen Kriegserzählungensammlung" ausgeweitet (I 20; 22,1-37*; II 3,4-27*; 6,24-7,16*).

Im Elia-Zyklus spielte sich die Agglomeration der Bestandteile später ab. Als die Deuteronomisten um 560 v. Chr. das DtrG schufen, übernahmen sie für die Epoche der Omriden und Jehuiden an narrativen Stoffen nur die Elia-Einheiten in I 21 und II 1* sowie die Jehu-Erzählung. Bis ins frühe 5. Jh. schwollen dann die Kap. I 16-II 13 in drei großen Schüben auf den heutigen Umfang an. Zuerst fand die Kriegserzählungensammlung Eingang. Im zweiten Schritt folgte die Elia-Komposition I 17-18*, die eigens zu diesem Zweck verfasst wurde. Dasselbe gilt für I 19,1-18, dessen Autor auch den Einbau der Elisa-Biographie vollzog. Weitere kleine Zusätze vollendeten den vorfindlichen Bestand.

Obwohl Otto ihren Entwurf als Alternative (auch) zu meinem eigenen Lösungsversuch1 versteht, wobei sie zentrale Positionen von H.-C. Schmitt2 erneuert, bietet dieses Buch für mich auf weite Strecken eine ermutigende Lektüre. Denn bei allen Unterschieden haben zahlreiche meiner Argumente und Detailthesen die Prüfung bestanden. Dies betrifft vor allem die Ebene der literarkritischen Analyse von Einzeltexten, wo die Differenzen erfreulich gering ausfallen, sowie zentrale Säulen der globalen Sicht (selbst wenn Otto dies nicht gerade überbetont): Bei den Vorstellungen zum DtrG* im fraglichen Raum besteht Einmütigkeit, ebenso wie bei den Annahmen zum nach-dtr Wachstum des Elia-Zyklus: Die Kompositionen I 17-18* und 19* entstanden sukzessiv bei ihrem Einbau ins DtrG; I 18,45f.* leitete ehemals zu I 21 über, was der umgekehrten Abfolge der Kap. I 20 und 21 in LXX den Vorrang zuspricht. Anklänge an dtr Topik in I 17-19 stehen einem nach-dtr Ursprung nicht entgegen, da sie zur gegebenen Zeit ohnehin zu erwarten sind. Geprägte Terminologie im Elia-Elisa-Komplex spiegelt keinen typischen Sprachgebrauch nordisraelitischer Prophetengruppen, sondern jenen der (oft erheblich jüngeren) Autoren, die auch gerne Anleihen am Kontext vornahmen. Wiederholt führt O. meine Ansätze konstruktiv weiter. Ferner bekräftigt sie die ältere These, der zufolge Ahabs Strafaufschub in I 21,29 und sein friedlicher Tod in 22,40 zeigen, dass I 22* nebst damit vernetzter Einheiten erst sekundär ins DtrG eingepasst wurde.

Gleichwohl bleiben die Meinungsverschiedenheiten, die namentlich die "mittlere" Ebene aufseiten des Elisa-Zyklus betreffen. Da ich im Gegensatz zu H.-C. Schmitt keine größeren vor-dtr Sammlungen von Elisa-Geschichten erkennen konnte, ergab sich ein Bild, gemäß dem mehrere Kleinsammlungen und Einzeltexte nach und nach ins DtrG eindrangen, wobei gewisse Einzelheiten mangels Kriterien offen bleiben mussten. O. möchte dieses Szenario vereinfachen, indem sie mit Schmitt die Fusion der Elisa-Erzählungen wieder in außer-dtr Großkomplexen ansiedelt. Ihre "Kriegserzählungensammlung" ist eine revidierte Neuauflage des gleichnamigen Postulats bei Schmitt, und die "Elisa-Biographie" ähnelt einer Kollektion, die laut Schmitt vom Autor einer "Gottesmannbearbeitung" eingefügt wurde. Diese Differenzen sind näher zu betrachten.

1. Der erste Unterschied ist bloß scheinbarer Natur. Es kann keine Rede davon sein, dass ich eine "rein literarische Entstehungsgeschichte des Elisa-Zyklus" (247) vertreten hätte. Wenn ich zu Beginn meiner Studie den Aufschub der traditionsgeschichtlichen Fragestellung begründe und sie nur punktuell behandle, dann natürlich nicht deswegen, weil ich sie für gegenstandslos erachte. Dass ich meine Analysen mittlerweile programmgemäß auf die traditionsgeschichtliche Sphäre ausgedehnt habe,3 scheint O. nicht zu wissen, obwohl sie Literatur bis 1999 verwertet.

Wenn sie jetzt Bereichen wie Überlieferung, Sitz im Leben und Herkunftsmilieu das wünschenswerte Augenmerk widmen kann, dann maßgeblich deshalb, weil sie die Lösungen vieler literargeschichtlicher Probleme aus Vorarbeiten übernimmt. Und das ist auch gut so, soll die Exegese ein progredientes Gemeinschaftsunternehmen sein, wo nicht die ewig gleichen Texte mit immer neuen, einander ausschließenden Thesen überhäuft werden, sondern jüngere Arbeiten auf bewährten Fundamenten aufbauen. Die möglichen Schwerpunktbildungen hängen dann jeweils von den wissenschaftsgeschichtlichen Rahmenbedingungen und der Fristenstruktur des Qualifikationswesens ab. Während ich etwa in aufwändigen Kontrollprozeduren die damals grassierenden Auswüchse der Neo-Literarkritik abwehren musste, entwirft O. nur für die Jehu-Erzählung eine eigenständige Vorstufenrekonstruktion. Für den gesamten Rest verfährt sie zunehmend summarisch, wie die obigen Seitenangaben illustrieren, um schließlich bloß noch Schiedssprüche über Vorläufer zu fällen. Außerdem lässt auch O. Formkritiken vermissen, die diesen Namen verdienen, weswegen ihre Auslegungen mitunter schief und die darauf gegründeten Schlüsse fragwürdig sind.

2. Angesichts der nur schwer überschaubaren Fülle von Wachstumsschritten, Fusionen und redaktionellen Eingriffen klingt ihr Anspruch, ein weniger kompliziertes Modell vorzulegen, überzogen. Tatsächlich bestätigt sie, dass die redliche Erklärung der Befunde komplexe Annahmen unumgänglich macht. Was bei O. Vereinfachung heißt, ist faktisch die Verlagerung einiger diachroner Prozesse aus dem DtrG heraus. Wenn ich recht sehe, kommt dies einem verbreiteten Geschmack entgegen. Mit welchem Recht, ist in den folgenden Punkten zu erörtern.

3. Die Achillesferse ihrer "Kriegserzählungensammlung" erwähnt O. nie, obwohl sie ihr unmöglich entgangen sein kann (vgl. ihr Referat meiner These S. 22 oben). Die Aramäerkriegserzählungen I 20,1-34* und II 6,24-7,17* sind durch I 20,35-43 + 22,1-2a mit den Josafat-Geschichten I 22* + II 3* verknüpft. Wie 20,35 f. erweist, ist das Bindeglied von I 13 abhängig. Weil I 13 auf den Bericht von der josianischen Reform vorausblickt, muss der Autor am DtrG gearbeitet haben. Folglich ist der Konnex I 20 + 22 erst im DtrG entstanden. Ob man hier auf O.s geheimes Einverständnis zählen darf? Wenn Forscher altbekannte Tatsachen gar nicht erst wegzuerklären suchen, sondern gleich ganz verschweigen, hegen sie über die Haltbarkeit ihrer Theorien meist keine Illusionen. Indem O. die Brücke zu I 13 ignoriert, erspart sie sich zudem sämtliche Komplikationen, die aus den Querverbindungen dieses Kapitels in den Königsbüchern er-wachsen. Es ist sogar schon zweifelhaft, ob I 20,1-34* und II 6,24-7,17* vor-dtr zusammengehörten. O. notiert zwar die Pa-rallelität der Bußakte in I 21,27 und II 6,30 (205 mit Anm. 246), die jedoch rein zufällig sein soll. Vergleicht man, welch dürftige Anklänge sonst zum Postulat der Abhängigkeit ausreichen (z. B. 190.222 f.), erstaunt diese These umso mehr.

4. Schon der mutmaßliche Kristallisationskern der "Elisa-Biographie" II 5,1-19*; 6,8-23*; 13,14-19 hat gewichtige Argumente gegen sich: Der Idiolekt der Sequenz II 5 + 6,8-23 (Propheten-Titel für Elisa u. a.4) fehlt in 13,14-19; dafür trägt der israelitische König dort einen Namen. 6,23 schließt mit dem Satz: "Die Streifscharen der Aramäer kamen nicht mehr ins Land Israel" und bildet so einen Rahmen mit 5,2, während 13,17 dem bangen König Joas einen Sieg über Aram verheißt. Sieht so eine glaubwürdige Einheit aus?

Die eigentliche "Elisa-Biographie" sei vom Autor der "Nachfolgeerzählungen" erstellt worden, der durch I 19,19-21 (ursprünglicher Beginn weggebrochen) + II 2,1-15 einen eigenen Auftakt schuf. Dieser Mann muss nach recht unsteten Arbeitsprinzipien verfahren sein. In II 2,1-24 begann er, sein Material nach einem palindromischen Itinerar Elisas vom Gilgal (bei Bet-El) zum Ostufer des Jordan und zurück zu ordnen, um dann bei der Heimkehr in 25a (+ 4,1-37) einen unvorbereiteten Abstecher zum Karmel einzuflechten. Wenn er Symmetrie anstrebte, was hinderte ihn dann, bereits auf dem Hinweg dort Station einzulegen? Nach Vollendung des Kreislaufs in 4,38a vergaß er seine Vorliebe für Wandernotizen und ließ Elisa übergangslos zwischen dem Gilgal, Samaria (5), einem Ort in Jordannähe (6,1-7), Dotan (6,8 ff.) usw. springen. In Wahrheit hat die in II 2 angebahnte Spiegelbildlichkeit nur Sinn, wenn die derart strukturierte Einheit mit 2,24 + 4,38a schloss. Die letzte "unpolitische Wundergeschichte" 6,1-7 habe jener Autor zwischen die ersten beiden "politischen" eingeschoben, um die beiden Vorlagen besser zu verzahnen. Ob das wohl eine Sorge antiker Redaktoren gewesen ist? Die Elisa-Biographie lässt sich daher nur bei sehr bescheidenen Erwartungen an die Logik redaktionellen Handelns behaupten.

5. Fraglich ist auch O.s These, die Elisa-Biographie sei durch den Verfasser von I 19,1-18 ins DtrG eingefügt worden. Dieser Ergänzer habe das Verhältnis der beiden frühen Nordreichpropheten so bestimmt, dass Elia die Wortverkündigung repräsentierte und Elisa nach deren Scheitern als Gerichtswerkzeug eintrat. Trotz der Erklärungsversuche O.s (239.262) müsste der Redaktor ein kapitales Eigentor geschossen haben, wollte er seine Anliegen mit einem Erzählkranz veranschaulichen, wo Elisa väterlich mit Joram kooperiert (II 5) und ihm einen definitiven Triumph über die Aramäer ermöglicht (6,8-23). Ohnehin muss II 2 schon früher ins DtrG eingegangen sein, da I 18,12 auf die Vv. 16-18 anspielt (trotz 241 Anm. 395).

Während O. also aufseiten des Elia-Zyklus die Gegenindizien akzeptiert hat, versucht sie beim Elisa-Zyklus die Überzeugung hochzuhalten, dass seine literarische Akkumulation im Wesentlichen außerhalb des DtrG vonstatten ging. Ihre Arbeit zeigt, welche Implausibilitäten dafür in Kauf genommen werden müssen. Sollte der Elisa-Komplex tatsächlich auf größere außer-dtr Sammlungen zurückgehen, sind sie bislang jedenfalls noch nicht wieder aufgefunden worden. Trotzdem ist erfreulich, dass der Werdegang der Einzelüberlieferungen von Elia und Elisa mit wachsendem Einvernehmen beurteilt wird.

Fussnoten:

1) H.-J. Stipp, Elischa - Propheten - Gottesmänner. Die Kompositionsgeschichte des Elischazyklus und verwandter Texte, rekonstruiert auf der Basis von Text- und Literarkritik zu 1Kön 20.22 und 2Kön 2-7 (Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament 24), St. Ottilien 1987.

2) H.-C. Schmitt, Elisa. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur vorklassischen nordisraelitischen Prophetie, Gütersloh 1972.

3) Traditionsgeschichtliche Beobachtungen zu den Kriegserzählungen der Königsbücher, Revue Biblique 104, 1997, 481-511. Vgl. auch: Vier Gestalten einer Totenerweckungserzählung (1Kön 17,17-24; 2Kön 4,8- 37; Apg 9,36-42; Apg 20,7-12), Biblica 80, 1999, 43-77.

4) Stipp, Kriegserzählungen (Anm. 3), 492 f.; vgl. Otto 231 f. mit Anm. 352.