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Ausgabe:

Oktober/2002

Spalte:

1031–1034

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kern, Udo, u. Klaus Hock [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Rostocker Theologische Studien. Bd. 1: Kern, Udo: Der andere Feuerbach. Sinnlichkeit, Konkretheit und Praxis als Qualität der "neuen Religion" Ludwig Feuerbachs. Bd. 2: [Schumann, Olaf:] Selbstverständnis und Fremdwahrnehmung. Religionsforschung im interreligiösen Kontext. Ausgewählte Beiträge von Olaf Schumann anlässlich seines 60. Geburtstages zusammengestellt u. hrsg. von K. Hock. Bd. 4: [Heidrich, Peter:] Weg wird Weg im Gehen. Beiträge zu Spiritualität, Religion und Märchendeutung. Zum 70. Geburtstag des Autors hrsg. von H. M. Niemann u. K. Schulz. 2., erw. Aufl. Bd. 6: d'Assonville, Victor E.: Der Begriff "doctrina" bei Johannes Calvin- eine theologische Analyse.

Verlag:

Münster-Hamburg: LIT 1998/ 1999/2000/2001. 219 S., 197 S., 170 S. m. 1 Porträt u. 2 Abb., 220 S. 8. ¬ 25,90; ¬ 20,90; ¬ 20,90; ¬ 20,90. ISBN 3-8258-3882-X; 3-8258-3950-8; 3-8258-4560-5; 3-8258-5108-7.

Rezensent:

Christian Danz

Theologische Reihen sind immer auch ein Spiegel des Selbstverständnisses von Theologie. Dies gilt auch von den hier zu besprechenden Rostocker Theologischen Studien. Herausgegeben wird die Reihe, deren erster Band 1998 erschien und von der inzwischen sechs Bände vorliegen, von dem an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock lehrenden Systematiker Udo Kern sowie dem ebenfalls in Rostock lehrenden Religionswissenschaftler Klaus Hock. Die bisher erschienenen Bände der Rostocker Theologischen Studien dokumentieren den Facettenreichtum der Arbeit an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock. So liegen Beiträge aus dem Gebiet der Religionsphilosophie, der Religionswissenschaft, der Theologiegeschichte bzw. der Systematischen Theologie sowie der Praktischen Theologie bzw. Religionspädagogik vor (Band 3: Anna-Katharina Szagun [Hrsg.], Erfahrungsräume. Theologische Beiträge zur kulturellen Erneuerung, Münster 1999). Die Reihe ist somit nicht auf ein Fachgebiet beschränkt, sondern zeigt die gesamte Breite der Theologie. Das spezifische Profil der Reihe zeichnet sich, soviel lassen die bisher publizierten Beiträge bereits erkennen, durch Heterogenität im besten Sinne des Wortes aus. Freilich ist das Programm nicht nur auf die Arbeit der Rostocker Theologischen Fakultät beschränkt. Die Reihe dokumentiert ebenfalls die Arbeit der von Udo Kern geleiteten Lutherakademie Sondershausen. So bietet der 5. Band der Rostocker Theologischen Studien, der dem Rez. leider nicht vorlag, die Beiträge einer Tagung der Lutherakademie Sondershausen, die sich dem Verständnis des Gesetzes im Judentum, Christentum und Islam widmete (Udo Kern [Hrsg.], Das Verständnis des Gesetzes bei Juden, Christen und im Islam, Münster 2000).

Bei der Arbeit von Victor E. d'Assonville Der Begriff "doctrina" bei Johannes Calvin - eine theologische Analyse handelt es sich um eine von Wilhelm Neuser und Udo Kern betreute und im Sommersemester 2000 von der Theologischen Fakultät der Universität Rostock angenommene Dissertation, die für den Druck "geringfügig überarbeitet" (7) wurde. Zentrales Anlie- gen der begriffsgeschichtlich ausgerichteten Untersuchung von d'Assonville ist es, "Aufschlüsse über die Ausprägung des reformatorischen doctrina-Begriffs zu geben" (31). Mit der begriffsgeschichtlichen Orientierung knüpft der Vf. methodisch an die moderne Calvin-Forschung (15 ff.) an. Im ersten Teil seiner Studie gibt er einen knappen Überblick über die Geschichte des doctrina-Begriffs vom Neuen Testament bis zur Confessio Augustana (33-45), im zweiten Teil untersucht er die Verwendung des Begriffs beim frühen Calvin bis 1536 (46-131). In einem dritten und abschließenden Teil geht der Vf. dann der Verwendung des doctrina-Begriffs beim späten Calvin in dessen Auslegung der Pastoralbriefe von 1548 und 1550 nach (132- 200). Der theologiegeschichtliche Ertrag dieser minutiösen begriffsgeschichtlichen Studie liegt nicht nur in der Freilegung der differenzierten Verwendung von doctrina im Werk von Calvin, sondern auch darin, dass der Begriff gleichsam als Inbegriff des christlich-religiösen Selbstbewusstseins Calvins in den Blick kommt. Die theologische Lehre Calvins erscheint in der Untersuchung selbst schon als der Vollzug des christlich-religiösen Bewusstseins (vgl. 202). Freilich erhebt sich hier die Frage, ob mit dieser auf Vermittlung von Differentem zielenden Fassung des doctrina-Begriffs durch Calvin nicht kategoriale Differenzen nivelliert werden.

Spiritualität, Religion und Märchendeutung, diese Stichworte durchziehen die anlässlich seines 70. Geburtstags unter dem Titel Weg wird Weg im Gehen neu herausgegebenen Beiträge von Peter Heidrich wie ein roter Faden. Die Texte Heidrichs artikulieren die Differenz zwischen der Diskursivität des begrifflichen Denkens und der Sprache von Religion und Märchen. Ein Schlüsselbegriff Heidrichs ist der Begriff Prägnanz (vgl. 121.132ff.). Mit diesem Begriff deutet Heidrich eine Theorie der Unbegrifflichkeit an, welche er in den in diesem Band abgedruckten Meditationen (3-88) und Märchendeutungen (103-127) sowie einem Beitrag zur prägnanten Rede Meister Eckarts (Meister Eckarts "gefährliche" Rede von Gott, 89-99) eindrucksvoll entfaltet. Die Wirkung des weitgespannten Werks von Heidrich würdigen die dem Band beigegebenen Beiträge von Michael von Brück (147- 153), Manfred Schnelle (155-157), Karl Schultz (159-164), Enoch Lemcke (165 f.) und Herwig Guratzsch (167 f.).

Dem Dialog zwischen dem Christentum und dem Islam sind die Beiträge des Hamburger Religions- und Missionswissenschaftlers Olaf Schumann gewidmet, die anlässlich von dessen 60. Geburtstag unter dem Titel Selbstverständnis und Fremdwahrnehmung von Klaus Hock neu herausgegeben wurden. Die Texte Schumanns bieten einen Querschnitt durch seine Arbeit der letzten 30 Jahre und thematisieren den Islam in seiner politischen und gesellschaftlichen Dimension (vgl. 100-130). Aufschlussreich sind Schumanns Erläuterungen des Verständnisses der Menschenrechte im Islam (59-74) sowie der sharî'a auf dem Hintergrund des islamischen Gemeinschaftsverständnisses (131-148). Die sich schon in diesen Themen artikulierende Intention Schumanns, die Wahrnehmung des Eigenen aus der Perspektive des Fremden, wird eigens erörtert in den Aufsätzen Das Christentum im Lichte der heutigen arabisch-islamischen Li-teratur (1-22) und Self-Perception and Hetero-Perception in the West (161-188). Die Festschrift beschließt ein Schriftenverzeichnis von Olaf Schumann (189-196).

Die Religionsphilosophie Ludwig Feuerbachs sowie deren theologische Relevanz ist das Thema der bereits 1974 an der Universität Halle eingereichten und angenommenen, aber erst 1998 in überarbeiteter Form publizierten Dissertation von Udo Kern Der andere Feuerbach. Im Gegensatz zur geläufigen Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Feuerbachs, die in ihm vorwiegend den Begründer des neuzeitlichen Atheismus sieht, plädiert Kern für eine andere Lesart. Anliegen der Arbeit Kerns ist es, nachzuweisen, dass es Feuerbach nicht um "Vernichtung, sondern um Interpretation der Religion geht" (2). Die Einlösung dieser Grundthese geschieht durch eine Einbeziehung des gesamten Werks von Feuerbach. Hierin unterscheidet sich die Feuerbach-Interpretation Kerns von der bisherigen Forschungsgeschichte des 19. und 20. Jh.s, die sich primär auf Das Wesen des Christentums sowie das Wesen der Religion bezogen hat (4-21).

Der Aufbau der Untersuchung folgt konsequent dem Anliegen Kerns, die theologische Relevanz der Religionsphilosophie Feuerbachs auf dem Hintergrund von dessen Gesamtwerk zu rekonstruieren. In den sechs Abschnitten "Gott und Denken" (21-62), "Gott und Mensch" (63-91), "Gott und Natur" (92-108), "Gott und Sein" (109-133) und "Die ontologische Bewährung der Religion" (156-168) wird die Religionsphilosophie Feuerbachs in ihren philosophiegeschichtlichen Voraussetzungen, ihren erkenntnistheoretischen sowie ontologischen Implikationen in den Blick genommen. Ein umfassendes Literaturverzeichnis, welches neben den einschlägigen Schriften Feuerbachs die Feuerbachforschung bis 1998 erfasst, beschließt die Studie (169-219).

Kern vermag in seiner Studie überzeugend den Nachweis zu erbringen, dass Feuerbachs Projekt einer "neuen Philosophie" auf alles andere als auf eine Verabschiedung des Christentums hinausläuft. Vielmehr ist die neue Philosophie Feuerbachs selbst Religion, da sie "die Unmittelbarkeit der in der Religion anwesenden Praxis [...] zum Strukturelement ihrer selbst werden läßt" (158). Der Strukturbegriff einer konkreten Praxis wird somit zum Synonym für eine Religion, die ihren Ort in der gelebten Praxis hat. Durchgeführt ist die neue Philosophie Feuerbachs als konkrete Ontologie, die an den Leitbegriffen "Empfindung" (112), "Liebe" (113), "Sinnlichkeit" (134) und "Leiblichkeit" (140) orientiert ist. Mit dieser konkreten Ontologie, die nicht mit einem platten Materialismus zu verwechseln ist (134 ff.), ist eine Kritik an der theoretischen Entfremdung der Religion von sich selbst verbunden. Feuerbachs Entdeckung der Praxis sowie die hiermit verbundene Kritik an der theoretischen Entfremdung der Religion beruht nach Kern auf dessen Christologie (vgl. 157). Mit dem Gedanken der Menschwerdung Gottes, die Feuerbach nicht nur ins Zentrum seiner Christentumsdeutung rückt, sondern die er als einen Prozess der christologischen Versinnlichung (147) deutet, verfügt die christliche Religion über ein Korrekturmoment gegenüber ihrer theoretischen Entfremdung. Thema der Christologie ist der Übergang von dem theoretischen, unwirklichen Gott zu dem praktischen, wirklichen Gott (145), der gerade auf Grund seiner Sinnlichkeit dem Menschen extra nos ist (147).

Die durch die neue Philosophie über sich selbst aufgeklärte Religion wird zum Platzhalter für den "Konnex zum Wirklichen, zum Leben, zum Sein" (160). Das Wesen der Religion ist folglich nach Feuerbach als eine solche Form lebensweltlicher Praxisreflexion zu beschreiben, in der sich die endliche Freiheit des Menschen in ihrer konkreten relationalen Struktur deutet und durchsichtig wird (102). Diese religiöse Selbstreflexion des Menschen wurde in der Rezeptionsgeschichte Feuerbachs mit dem Begriff der Projektion zu fassen versucht, einem Begriff, der sich nicht nur nicht in den Schriften Feuerbachs findet, sondern der zudem völlig unangemessen sei, das Anliegen Feuerbachs adäquat zu würdigen (vgl. 90 f.).

Die Rostocker Theologischen Studien dokumentieren in anregender Weise, dass Theologie nur in der Vielfalt ihrer Disziplinen wahrgenommen werden kann. Man darf auf weitere Bände gespannt sein.