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Ausgabe:

Oktober/2002

Spalte:

1029–1031

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Krüger, Friedhelm:]

Titel/Untertitel:

Humanismus und Reformation. Historische, theologische und pädagogische Beiträge zu deren Wechselwirkung. Festschrift zu Ehren des 65. Geburtstages von F. Krüger. Hrsg. von R. Mokrosch u. H. Merkel.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2001. 271 S. gr.8 = Arbeiten zur Historischen und Systematischen Theologie, 3. Kart. ¬ 25,90. ISBN 3-8258-4640-7.

Rezensent:

Hellmut Zschoch

Der Band ist als Festschrift zum 65. Geburtstag des Osnabrücker Kirchenhistorikers Friedhelm Krüger erschienen. Der Titel bezeichnet treffend das Zentrum von Krügers wissenschaftlichem Werk (leider enthält der Band keine Bibliographie des Geehrten), zugleich verbindet sich mit ihm der Anspruch der Herausgeber, die Zusammenstellung der einzelnen Beiträge ergäbe ein "Gesamtbild" zum Thema (Vorwort, 8). Im Sinne eines solchen Bildes gliedert sich der Band in vier Abteilungen: I. Wurzeln im Spätmittelalter, II. Brennpunkte der Begegnung zwischen Humanismus und Reformation, III. Kirchengeschichte und ihre Bedeutung für Theologie und religiöse Bildung, IV. Wirkungen von Humanismus und Reformation. Trotz dieser bemühten Systematisierung handelt es sich erkennbar um eine Festschrift mit den für dieses Genus üblichen Problemen: Die Beiträge entstammen sehr unterschiedlichen Kontexten, zum Teil handelt es sich um hier nun der Veröffentlichung zugeführte Vortragstexte, streng wissenschaftliche und für ein weiteres Publikum berechnete Aussageformen stehen nebeneinander. Aus alldem setzt sich ein bunter Strauß zusammen, der den Respekt und die Sympathie für den so Geehrten zum Ausdruck bringt, in den aber nur einige tatsächlich die Wechselwirkung von Humanismus und Reformation thematisierende oder umspielende Beiträge eingebunden sind. Sie seien im Folgenden hervorgehoben.

Ins 16. Jh., die eigentliche Zeit direkter Begegnung und Wechselwirkung von Humanismus und Reformation führt zunächst der Vortrag "Melanchthon als Pädagoge - Leitbild für evangelische Bildung heute?" von Reinhold Mokrosch (29-46). Der Überblick über Melanchthons Werdegang, seine pädagogischen Grundgedanken und sein Engagement für die humanistisch-reformatorische Bildung mündet in Thesen zur Gegenwartsbedeutung des Praeceptor Germaniae. Unter anderem hebt Mokrosch Melanchthons "unermüdliches Eintreten für eine Erziehung zur Sprachfähigkeit" als "wichtiges Erbe protestantischer Pädagogik" hervor (45). Andererseits zählt er - vielleicht doch etwas zu kleinmütig - den Gedanken des "unlösbaren Zusammenhangs zwischen Bildung und Glaube" zu den untergegangenen Idealen (44). Leider sind keine Linien in die aktuellen bildungspolitischen Kontroversen ausgezogen, was sich von Melanchthons Verbindung von Bildung, Politik und Religion aus nahelegen würde. Zwei kleine historische Korrekturen: Johannes Reuchlin war nicht Melanchthons "Onkel" (so 30 u. ö.). Melanchthon hat auch nicht auf Wunsch Reuchlins zu den Dunkelmännerbriefen (mit denen dieser selbst gar nichts zu tun hatte) ein Vorwort verfasst (so 32), sondern zur 1514 unter dem Titel "Clarorum virorum epistulae" erschienenen Sammlung von an Reuchlin gerichteten Briefen. - Hans Peterse beleuchtet in seinem Beitrag "Die Dominikaner und die Causa Reuchlini (1510-1520)" (55-65) die Auseinandersetzung um Konsequenzen des Humanismus im Vorfeld und bis in die ersten Jahre der Reformation. - Beate Ego zeigt in ihrer gemeinsam mit Dorothea Betz verfassten Studie über "Konrad Pellican und die Anfänge der wissenschaftlichen christlichen Hebraistik", wie schon einige Jahre vor der Reformation das humanistisch motivierte, mühsam autodidaktisch erworbene Verstehen des hebräischen Textes Gestalt annimmt. - Rudolf Keller nimmt mit der Erinnerung an "Das Schriftverständnis bei Georg Major" (123-135) das hermeneutische Zentralthema, das Humanismus und Reformation verbindet, auf. Er zeigt an Majors 1544 und 1550 veröffentlichten Schriften, wie die frühorthodoxe Lehrbildung zur Schriftautorität schon vor Luthers Tod einsetzt und im Interesse der konfessionellen Konsolidierung später ausgebaut wird. Beachtung verdient Kellers Hinweis auf die Widmung der Schrift von 1550 an Thomas Cranmer und die sich darin andeutenden theologischen Beziehungen zwischen deutscher und englischer Reformation. - Andreas Lindemann ("Decretum horribile. Die Lehre von Gottes Gnadenwahl bei Johannes Calvin und im Römerbrief des Apostels Paulus", 136-153) demonstriert die Begegnung von Humanismus und Reformation, indem er Calvins Benutzung des Römerbriefs zur Untermauerung seiner Prädestinationslehre mit der eigenen modernen Exegese der betreffenden Passagen konfrontiert. Bei aller veränderten Fragestellung sieht er Paulus und Calvin einig in ihrem Interesse an der Betonung des göttlichen Handelns in nicht-spekulativer Rede.

Einige Beiträge führen in die Wirkungsgeschichte von Humanismus und Reformation im 17. Jh.: Franz Georg Untergaßmair (85-95) widmet sich der Vorgeschichte der kritischen Bibelauslegung bei dem Protestanten Louis Cappel und dem Katholiken Richard Simon, die sich von unterschiedlichen konfessionellen Voraussetzungen aus der Textkritik (nicht der "historisch-kritischen Bibelauslegung", so 86 u. ö.) zugewandt haben. Der Beitrag schließt mit einer schematischen Sicht der geschichtlichen Bewegung von Schrift und Auslegungstradition. Dabei erscheint die Bildung der Konfessionen in der Reformationszeit als Ergebnis von "Mißverständnissen", die mit der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999 ausgeräumt sind. Ob diese Vorgänge wirklich von "der Lebendigkeit der Schrift und einer sie tragenden [?!] und garantierenden [?!] Tradition" zeugen, die "unter der Führung des Geistes Gottes Verirrungen nicht dauerhaft unterworfen bleibt" (95), darf - jedenfalls von einem Protestanten - füglich bezweifelt werden. - Hingewiesen sei noch auf die Einzelstudien zu Speners Predigt zur Eröffnung der Universität Halle 1694 von Dietrich Blaufuß (154-169) und zum jesuitischen Erziehungsprogramm des nachmaligen Kölner Erzbischofs Max Heinrich von Bayern von Friedhelm Jürgensmeier (170-184).

Besonderes Interesse verdienen noch die Überlegungen zur theologischen Aufgabe der Kirchengeschichte, die Ulrich H. J. Körtner im Anschluss an Gerhard Ebeling mit Hilfe des Story-Konzepts von Dietrich Ritschl vorträgt (185-200), und die "Einladung" von Hans Küng an die Kirchenhistoriker, sich der Paradigmenanalyse zur Erreichung eines christentumsgeschichtlichen Gesamtbildes zu bedienen (201-213), was mehr oder minder dem eigenen Anspruch vieler der Eingeladenen entsprechen dürfte. Außerdem enthält der Band Beiträge von Helmut Feld, Karl-Hermann Kandler, Rolf Becker, Jutta Held, Michael Plathow, Gerhard Müller, Horst Georg Pöhlmann, Klaus Künkel, Manfred Spieker, Manfred Oeming und Helmut Merkel. Wer intensiver in die Wechselwirkungen von Humanismus und Reformation eindringen möchte, als die Festschrift es ermöglicht, lasse sich von ihr ermuntern und feiere den Geehrten mit dem Griff zu dessen eigenen Werken!