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Ausgabe:

Oktober/2002

Spalte:

1027–1029

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Kaiser, Otto:]

Titel/Untertitel:

Gerechtigkeit und Leben im hellenistischen Zeitalter. Symposium anlässlich des 75. Geburtstags von Otto Kaiser. Hrsg. von J. Jeremias.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2001. IX, 116 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 296. Lw. ¬ 48,95. ISBN 3-11-016823-5.

Rezensent:

Georg Sauer

Die in diesem Band im Druck vereinigten Vorträge wurden aus gebührendem Anlass am 3. und 4. Dezember 1999 in Marburg gehalten. Die Wahl des Themas "lag nahe", wie der Herausgeber und Nachfolger auf dem Lehrstuhl des Geehrten bemerkt (V). Er nennt drei Gründe: einmal das große Interesse des Jubilars für die Spätzeit des Alten Testaments, "in der die alttestamentlichen Texte ihre volle theologische Reife erlangt haben"; sodann die besondere "Aufmerksamkeit und Leidenschaft" Otto Kaisers für die Texte der Weisheit; und schließlich dessen besonderer Schwerpunkt in der Hinwendung zu den Schriften der griechischen Antike.

Es ist eine ungemein beeindruckende Breite der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem gewählten Thema zustande gekommen; man ist dankbar, dass die Vorträge nun in gedruckter Form vorliegen und damit weitere Gespräche fördern.

Am Beginn steht die Behandlung des Themas "Die Gerechtigkeit des Zeus in den Dramen des Euripides" durch den Theologen und Altphilologen Christian Wildberg, Director of Graduate Studies am Department of Classics, Princeton University (1-20). Er nähert sich sehr behutsam in subtilen exegetischen Einzelbeobachtungen zum griechischen Text dem Thema und greift konträre Texte aus dem Werk des Euripides heraus: den (von Euripides noch häufiger verwendeten) Schlußchor aus dem Drama "Medaia" (3-15) und die Aussagen des Dramas "Herakles" (15-19). Für die "Medaia" kommt der Vf. nach vielen Einzelerwägungen über die verwendeten griechischen Begriffe (z. B. "tamias" = "Verwalter", 4) zu der Frage: "Was ist Frömmigkeit?" (10) und beantwortet sie mit Sokrates in Platons Euthyphron, 13 e, mit der Vokabel "Hyperesie" = "Dienst". Er sieht also ein Zusammenspiel zwischen göttlichem Tun und Bestimmen und menschlichem Dienst. Anderes wird im Drama "Herakles" deutlich; hier muss erkannt werden, "daß dieser Welt schwer durchschaubare Zusammenhänge von Tun und Ergehen zugrunde liegen" (19). Es ist unmöglich, so der Vf., eine eindeutige Antwort zu geben; es "bleibt der Rest eines Rätsels" (20). Als Resultat muss also hingenommen werden, dass eine stimmige Systematik bei Euripides nicht erreicht werden kann.

Es folgen zwei Beiträge aus der wissenschaftlichen Arbeit der römisch-katholischen Exegese. Johannes Marböck, seit Jahrzehnten ausgewiesen als Kenner der Probleme um Jesus Sirach/ Ben Sira, behandelt das Thema "Gerechtigkeit Gottes und Leben nach dem Sirachbuch. Ein Antwortversuch in seinem Kontext" (21-52), und zwar in drei Teilen: A: charakteristische Ansätze und Antwortversuche (22-35), B: Beziehungen zur hellenistischen Umwelt (35-43) und C: Weiterentwicklungen der Gedanken (44-48). Auf S. 48-52 folgen Angaben zur Literatur. Im Teil A steht die Beobachtung am Anfang, dass die Wurzel sdq mit Sicherheit nur ein einziges Mal für Gottes Handeln verwendet wird, 35 (32), 21d (22a). Es folgt die Behandlung von Einzelthemen: "Transzendenz" im Diesseits, 24-26, Gerechtigkeit am "Ende", 26-28. Intensiv wendet sich der Vf. dann der Perikope Sir 39,12-35 zu (28-35). Er kann immer wieder darauf hinweisen, dass hier kein gelehrter theologischer Traktat, sondern ein einziger Lobpreis der Größe Gottes vorliegt. Diese Beobachtung bildet die Grundlage für die folgende Frage nach den Beziehungen von Ben Sira zu hellenistischen Gedanken, die zwar für eine Reihe von Gegebenheiten ohne Zweifel anzunehmen sind (Reisen, Bankettsitten, Stellung zum Arzt, Darstellung großer Gestalten, Bekanntgabe des Namens des Autors, das Genus des Selbstlobs der Weisheit, 35 f.), aber hinsichtlich des Einflusses der Stoa in Grenzen gesehen werden muss: "direkte, unmittelbare literarische Abhängigkeit der Aussage über die guten Werke Gottes in ihrer Gesamtheit (Sir 39, 16a.33a) von stoischem Gedankengut ist m. E. nicht eindeutig zu erweisen" (43). Ben Sira "kehrt nach mehreren argumentativen Ansätzen nachdrücklich zur Eigenlogik des Religiösen zurück, zum Gebet" (ebd.). Im dritten Gedankengang behandelt der Vf. die Weiterentwicklungen, wie sie aus der redaktionellen Arbeit am Text des Ben Sira und aus den Übersetzungen zu ersehen sind: Überschreitung der Todesgrenze und Wende zur Eschatologie. Hinter diesen Ergebnissen steht eine ausgedehnte literarkritische Arbeit am Text des Ben Sira, die im Ganzen der Ben Sira-Forschung noch stark im Fluss ist.

Armin Schmitt wendet sich, seinem Forschungsschwerpunkt entsprechend, der Sapientia Salomonis zu und untersucht exegetisch und inhaltlich gleich profund "Heilung und Leben nach Weish 16,5-14 vor dem Hintergrund der hellenistischen Zeit" (53-86). Einfluss aus der hellenistischen Welt sieht er in der Anwendung der Form der "Synkrisis", also in der Gegenüberstellung verschiedener Verhaltensweisen, wie sie bei attischen Rednern u. a. beobachtet werden kann (59), bei Sap aber in charakteristischer Form abgewandelt wird. Hier wird mit Betonung auf den einen "Gott Israels" hingewiesen: "Er allein vermag Krankheit zu lindern und zu heilen; nur bei ihm liegt die Macht über Leben und Tod" (86). Der Weg, der zu diesem Urteil führt, ist durch intensive Beschäftigung mit dem Kontext, mit den alttestamentlichen Quellen, mit Angaben zur Religionsgeschichte und zur Form gekennzeichnet und stellt ein Kabinettstück wissenschaftlicher Arbeit dar, die nachzuzeichnen nicht die Aufgabe eines Rez. sein kann. Darauf hinzuweisen ist aber geboten.

Schließlich kommt Otto Kaiser selbst zu Wort mit seinen Ausführungen zum Thema "Der Mythos als Grenzaussage" (87-116). Aus der breiten Fülle der Gedanken zu den Schriften der klassischen Antike (Pindar, besonders ausführlich Platons Phaidon) in Bezug auf den Mythos kommt der Vf. zu der Aussage: "Damit stellt sich uns die grundsätzliche Frage, ob und inwiefern der Mythos eine unverzichtbare Form religiöser Rede darstellt. Im Zusammenhang unseres Tagungsthemas ist sie von besonderem Belang, weil die Mythe vom Totengericht das bedeutendste, weil von den drei nachbiblischen Weltreligionen des Judentums, Christentums und des Islam rezipierte Vermächtnis der griechischen Welt an das hellenistische Judentum darstellt" (93). Die Geschichte dieses Themas wird auf dem gesamten Hintergrund alttestamentlicher Überlieferung dargestellt, besonders an Hand von Untersuchungen zu Ps 49 und 73 und zum 1. Henochbuch. Für den Vf. stehen drei Geschichtsmythen im Zentrum des Alten Testaments als eines Ganzen: "der von der Erwählung Israels in seinen Vätern, der von seiner Verpflichtung durch seinen Gott am Sinai/Horeb zum Gehorsam gegen seine Weisung und der von der schuldhaften Verantwortung Israels für den Verlust seiner Freiheit" (113). Bei dem Letzteren wird deutlich, "daß die Erkenntnis Gottes zugleich einen Akt des Gerichts darstellt, in dem der Mensch in seiner schuldhaften Uneigentlichkeit vor Gott zunichte wird" (ebd.). Damit kann "der phänomenologische Grund für die Mythe vom Totengericht" (114) an dieser Stelle verortet werden. Auf die aus den ägyptischen Traditionen kommenden Vorstellungen vom Totengericht wird ebenso, wenn auch kürzer, verwiesen (z. B. 94).