Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2002

Spalte:

994 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Quinn, John R.

Titel/Untertitel:

Die Reform des Papsttums. Aus dem Amerikan. übers. v. B. Schellenberger.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien 2001, 168 S. 8 = Quaestiones disputatae, 188. Kart. ¬ 24,50. ISBN 3-451-02188-9.

Rezensent:

Jan-Heiner Tück

Seit Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Ut unum sint (1995; Art. 95 f.) Bischöfe und Theologen eingeladen hat, mit ihm in einen Dialog über eine zeitgemäße und ökumenisch akzeptable Gestalt des Petrusdienstes einzutreten, reißen die Stellungnahmen zu diesem Thema nicht ab.1 Ein wichtiger Beitrag stammt von John R. Quinn, dem Erzbischof von San Franzisco, und trägt den programmatischen Titel Die Reform des Papsttums. In seinem Vorwort bekundet er, dass er als Bischof, der den Primat des Papstes als Nachfolger Petri ausdrücklich anerkennt, der Einladung von Ut unum sint nachkommt und daher nicht als akademischer Theologe schreibt. Dies erklärt die erfahrungsbezogene Art der Darstellung, die indes von einer intimen Kenntnis der internen Verhältnisse der katholischen Kirche zeugt. Das Buch hat sechs Teile. Im ersten wird Ut unum sint als "Revolution" (12.30 u. ö.) bezeichnet; noch nie habe ein Papst die Reform des päpstlichen Amtes selbst als Desiderat angesprochen, um ökumenische Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Folgerichtig konstatiert Q. den mit einer Selbstreform der katholischen Kirche einhergehenden Abschied vom Konzept der Rückkehr-Ökumene. Nicht nur die anderen christlichen Kirchen, sondern gerade auch die katholische Kirche werde um der Einheit der Christen willen bedeutende strukturelle, pastorale und kirchenrechtliche Änderungen vornehmen müssen. Am Leitbild der Communio-Ekklesiologie des 1. Jahrtausends, welche die Kirche als eine Gemeinschaft bischöflich verfasster Ortskirchen verstanden habe, entwickelt Q. seine Reformvorschläge, die - ohne den Primat infrage zu stellen - einen Abbau an Uniformität und Zentralismus mit mehr legitimer Verschiedenartigkeit in der Einheit verbinden wollen.

Zunächst werden Reform und Kritik in der katholischen Kirche im Kontext der heutigen Informationsgesellschaft thematisiert. Eine größere Transparenz kurialer Entscheidungsprozesse wird ebenso eingefordert wie ein unverkrampfter, wenngleich nicht unkritischer Umgang mit den Medien. Innerkirchliche Kritik stehe immer in Gefahr, medial zu antiklerikalen Zwecken instrumentalisiert zu werden, sie solle aber nicht gleich unter Illoyalitätsverdacht gestellt werden. Vor diesem Hintergrund appelliert Q. an die katholischen Bischöfe, gegenüber problematischen päpstlichen Entscheidungen angstfrei Stellung zu beziehen - gemäß der Devise: Ohne Verbesserung des Kommunikationsklimas keine Selbstkritik, ohne Selbstkritik keine Reform. Im dritten Kapitel widmet sich Q. dem viel diskutierten Verhältnis zwischen Primat und Kollegialität der Bischöfe. Gegenüber einer maximalistischen Interpretation des I. Vatikanischen Konzils, welche den päpstlichen Primat im Sinne absoluter Monarchie begreift und den Episkopat zum passiven Empfänger päpstlicher Dekrete zu degradieren droht, wird hier- unter Rückgriff auf die kirchliche Praxis des ersten Jahrtausends - die Kollegialität der Bischöfe stark gemacht. Das II. Vatikanum habe in Lumen Gentium eine komplementäre Ergänzung zum I. Vatikanum vorgenommen, ohne den Primat in Frage zu stellen. Allerdings widerspreche die gegenwärtige Praxis der Primatsausübung weithin dem Kollegialitätsprinzip, wenn der faktische Handlungsspielraum der Bischofskonferenzen und das Mitspracherecht der Bischofssynoden an päpstlichen Entscheidungen stark eingeschränkt werde. Gleiches gelte für die Bischofsernennungen, die oft ohne entsprechende Konsultationsprozesse von Rom am ortskirchlichen Episkopat vorbei durchgesetzt werden und teils skandalöse Entwicklungen provozieren. Q. mahnt hier entschiedene Selbstkorrekturen an. Ein zentralistischer Regierungsstil sei auch und gerade für die Ökumene ein Hindernis. Ein weiteres Kapitel spricht die Reform des Kardinalskollegiums an: Q. sieht hier das Problem einer Zwei-Klassen-Gesellschaft angelegt, als gebe es ein privilegiertes Kollegium im Kollegium der Bischöfe. Auch werden bedenkenswerte Vorschläge zur Reform der Papstwahl unterbreitet. Das letzte Kapitel wendet sich schließlich der Reform der römischen Kurie zu, die sich auch nach dem II. Vatikanum weitgehend dagegen sperre, die Prinzipien der Kollegialität, Subsidiarität und der legitimen Verschiedenheit anzuerkennen. Ein Blick auf die Geschichte der Kurie zeigt überdies, dass dieses Organ zunehmend Funktionen des Bischofskollegiums übernommen und dadurch der Zentralisierung Vorschub geleistet hat. Um hier gegenzusteuern, optiert Q. für eine stärkere Beteiligung von Laien, für begrenzte Amtszeiten sowie für eine umsichtige Auswahl des Kurienpersonals und die Einsetzung einer Kommission für die Kurienreform.

Q.s Buch ist keine Studie, die sich mit der ökumenischen Diskussion um den Primat im einzelnen auseinandersetzt. Es ist vielmehr ein Plädoyer für eine strukturelle Selbstrevision der katholischen Kirche, das sich von der (nicht unumstrittenen) Communio-Ekklesiologie des II. Vatikanums leiten lässt und für eine konsequente Umsetzung des Kollegialitätsgedankens eintritt. Durch seine langjährige Tätigkeit als Vorsitzender der Amerikanischen Bischofskonferenz bringt Q. ein geschärftes Sensorium für angestaute Probleme mit, die er durch gezielte realistische Vorschläge zu beheben sucht. Seine Einschätzung, Ut unum sint komme einer "Revolution" gleich, mag man allerdings mit Fragezeichen versehen, impliziert eine Revolution doch immer einen radikalen Bruch mit der bisherigen Verfassung. Q. hält selbst an anderer Stelle fest, dass es Wesenselemente des Primats gibt, die nach römisch-katholischem Verständnis nicht zur Disposition gestellt werden dürfen. Seinen Reformvorschlägen hingegen, welche die konkrete Art der Ausübung des Amtes im Sinne einer Stärkung der bischöflichen Kollegialität betreffen, wird man gerade auch um des ökumenischen Fortschritts willen nachhaltig zustimmen können.

Fussnoten:

1) Vgl. dazu den instruktiven Forschungsbericht von P. Lüning/W. Thönissen, Der Dienst des Bischofs von Rom an der Einheit der Christen. Reaktionen auf die Einladung des Papstes zum Dialog über die Form der Primatsausübung nach Ut unum sint, in: Cath(M) 55 (2001) 269-309.