Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2002

Spalte:

992–994

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

1) Leinhäupl-Wilke, Andreas, u. Magnus Striet [Hrsg.] 2) Rotermann, Stefanie

Titel/Untertitel:

1) Katholische Theologie studieren: Themenfelder und Disziplinen.

2) Wozu (noch) Theologie an Universitäten?

Verlag:

1) Münster-Hamburg-London: LIT 2000. XIV, 418 S. gr.8 = Münsteraner Einführungen: Theologie, 1. Kart. ¬ 25,90. ISBN 3-8258-4381-5.

2) Münster: LIT 2001. VIII, 155 S. 8 = Theologie und Praxis, Abteilung B, 9. Kart. ¬ 12,90. ISBN 3-8258-5386-1.

Rezensent:

Joachim Zehner

Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde die Öffnung der katholischen Theologie auf die anderen Wissenschaften hin definitiv vollzogen. Heute drängt sich immer mehr die Frage nach der Einheit der Theologie in den Vordergrund: "Was verbürgt das Theologische der einzelnen Disziplinen der Theologie?" Das ist die Leitfrage, die die Autorinnen und Autoren vor allem aus dem Bereich des wissenschaftlichen Nachwuchses gemeinsam mit Professoren der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster an ihr Fach herantragen. "Orientierungen für Studium und Beruf" will der Band dieser Reihe für Studierende bieten. Vier biblisch-hermeneutische Beiträge eröffnen den Band: Erich Zenger, Die grund-legende Bedeutung des Ersten Testaments. Christlich-jüdische Bibelhermeneutik nach Auschwitz; Thomas Meurer, "Die Lust am Text und seiner Sache" (Roland Barthes) - Exegetische Methoden als Verfahren zur Aneignung alttestamentlicher Texte; Andreas Leinhäupl-Wilke, Texte und Kontexte. Die neutestamentlichen Schriften als Dokumente zeit- und religionsgeschichtlicher Prozesse; Martin Schmidl, Exegese - " [...] die Seele der heiligen Theologie". Schriftauslegung im historischen Kontext. Die Kirchengeschichte wird vorgestellt von: Christian Uhrig, Alte Kirchengeschichte und Patrologie - auf der Spur von Gott-Suchern aus längst vergangener Zeit; Andreas Holzem, Die Geschichte des "geglaubten Gottes". Kirchengeschichte zwischen "Memoria" und "Historie".

Ein Schwerpunkt liegt auf den systematisch-theologischen Beiträgen:

Tiemo Rainer Peters, Was ist Theologie?; Saskia Wendel, Philosophie: Grenzgängerin zwischen Glaube und Vernunft. Oder: Warum es nicht reicht, Gott dadurch zu beweisen, dass er in der Bibel geredet habe (I. Kant); Jürgen Werbick, Fundamentaltheologie: Orientierung im "Konflikt der Interpretationen"; Georg Essen, "... zu gut fürs Ungefähr". Überlegungen zu Selbstverständnis und Aufgabenstellung dogmatischer Theologie; Magnus Striet, "Um Himmels willen - Dogmengeschichte?". Dogmatisch-hermeneutische Bemerkungen zur Funktion dogmengeschichtlicher Forschung; Claudia Gärtner, Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Warum Theologen und Theologinnen nicht nur Bücher lesen sollten; Stephan Goertz, Sie konnten zueinander nicht finden? Moraltheologische Überlegenheit. Zum Verhältnis zwischen Glaube und Moral; Andreas Lienkamp/Judith Wolf, Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Aufgaben, Methoden und Perspektiven christlicher Sozialethik; Stefanie Rieger, Einforderung von Geschlechtergleichheit: Theologische Frauenforschung; Thomas Bremer, Ostkirchenkunde als theologisches Fach und ihr Bezug zur kirchlichen Friedens- und Konfliktforschung; Dagmar Stoltmann, Let's Go East and West: Ein Streifzug durch die Ökumenische Theologie; Michael Bongardt, Fordernde Begegnung. Aktuelle Aufgaben und Wege einer christlichen Religionstheologie; Jochen Mertens, Die Religionswissenschaft und die Notwendigkeit der Wahrnehmung des Anderen in der Weltgesellschaft.

Praktisch-theologische Beiträge runden den Band ab:

Stefan Gärtner, Pastoraltheologie? Praktische Theologie! Die theologische Disziplin an den (Um-)Brüchen; Franz Gulde, Im Spannungsfeld religiöser und kultureller Prozesse: Religionspädagogik; Klaus Müller, Homiletik oder die Kunst der Verkündigung; Dietmar Thönnes, Was ist "Liturgiewissenschaft"? Oder: Die Feier des Glaubens unter die Lupe genommen ...; Frank Sanders, Theologie + Rechtswissenschaft = Kirchenrecht?; Arnd Bünker, Theologie an den Grenzen: Missionswissenschaft.

Entstanden ist ein spannend zu lesendes Buch, das die Lebendigkeit einer Fakultät widerspiegelt. Für den Kenner der Theologie werden prägnant Fragestellungen, Inhalte, Methoden, Aufgabenstellungen und Perspektiven der Themenfelder und Disziplinen der katholischen Theologie - wie man sie von Münster aus sieht - wiedergegeben. Im Blick auf die Studierenden - für sie ist ja dieser Band vor allem entstanden - wünscht man sich mehr Mut zur "didaktischen Reduktion". Auch wird auf alles verzichtet, was diesen Band für Anfänger leichter rezipierbar macht: Graphiken über den Aufbau der Fächer u. a. m., Begriffs- und Personalregister, ein Verzeichnis einführender Literatur für alle Bereiche. Auch die Apostolische Konstitution "Sapientia Christiana" wäre nicht ohne Interesse.

Die Existenz theologischer Fakultäten an Universitäten ist bereits seit den letzten zwei Jahrhunderten nicht mehr selbstverständlich. Sie muss immer wieder begründet werden. Dieser Diskussionsgang hat nun neue Brisanz erhalten: Auch in den eigenen Reihen - konkret: auf katholisch-lehramtlicher Seite - wird grundsätzliche Kritik am Status quo laut. Stefanie Rotermann setzt sich aus katholischer Perspektive mit der Kritik innerhalb der Kirchen (zu liberal, zu kirchenkritisch) und außerhalb der Kirchen (unwissenschaftlich, im Widerspruch zur grundgesetzlich verankerten staatlichen Bekenntnisneutralität und zum Postulat der Wissenschaftsfreiheit) auseinander und plädiert leidenschaftlich für universitäre Theologie.

Die ersten beiden Teile der Arbeit sind eine Standortbestimmung. Teil A: "Zur Entwicklung der Katholischen Theologie und ihrer Präsenz an den Universitäten" widmet sich besonders dem Verhältnis von Theologie und Glaube. Anhand von Boethius, Anselm und Thomas wird gezeigt, wie Theologie als Wissenschaft entstanden ist. Dem folgt ein Abriss über die geschichtliche Entwicklung und die gegenwärtige Lage der Katholisch-Theologischen Fakultäten.

Teil B: "Zwischen Anpassung und Kritik: Theologie im Spannungsfeld von Kirche, Wissenschaften und Gesellschaft" kennzeichnet mit den drei genannten Größen die derzeitige Konfliktsituation. Die innerkirchliche Kritik lautet: Theologie habe sich "zu sehr dem säkularen Wissenschaftsbetrieb unterworfen, so dass der wahre Glauben an die Offenbarung Gottes abhanden gekommen" sei; der innerkatholische Vorwurf ist: "Theologische Fakultäten demonstrieren eine antikirchliche und antipäpstliche Haltung, die zum Glaubwürdigkeitsverlust der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit sowie zu Unsicherheiten innerhalb der Glaubensgemeinschaft" führen (47). Das Misstrauen Roms gegen die deutsche (!) universitäre Theologie kulminiert 1997 in der Ablehnung der Neugründung einer Katholisch-theologischen Fakultät an der Universität Erfurt. Sparzwänge an den Universitäten verstärken weiterhin die Kritik anderer Wissenschaften: Theologie sei durch ihre Kirchlichkeit und Konfessionalität wissenschaftsfremden Interessen unterworfen, die der Autonomie von Forschung und Lehre widersprechen.

Im gesellschaftlichen Kontext stelle sich die Frage, wie bei fortschreitender Entkirchlichung, zunehmender Irrelevanz von Theologie in öffentlichen Diskursen in einem pluralistischen, religiösen Umfeld einseitig gefärbte Antworten zu rechtfertigen seien. Der ausführlichen Problembeschreibung in Teil B folgt ein Exkurs über die Universität als Treuhänderin und Schöpferin kognitiver Werte, in dem das Selbstverständnis heutiger Universitäten erörtert und die Frage erwogen wird, ob die Theologie Teil dieser Institution sein kann, sein will bzw. sein darf. Teil C benennt die Gründe, weswegen die Theologie ihren Standort an der Universität nicht aufgeben darf: "Wieviel Öffentlichkeit verträgt die Theologie? Wieviel Theologie verträgt die Öffentlichkeit?" Theologie hat eine genuine Verbindung zur Öffentlichkeit und muss deshalb für ihren Erhalt an einem öffentlichen Ort plädieren. Diesem theologischen Argument folgen Gründe, weswegen auch die gesellschaftliche und die wissenschaftliche Öffentlichkeit Theologie "braucht". Ein Schlussplädoyer fasst den Ertrag zusammen.

Stefanie Rotermann hat ein kluges, weit ausholendes und trotzdem knapp gehaltenes Buch geschrieben; eine unverzichtbare Argumentationshilfe im kirchlichen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs um die Zukunft theologischer Fakultäten.