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Ausgabe:

September/2002

Spalte:

989–991

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

König, Winfried [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Erbe und Auftrag der schlesischen Kirche. 1000 Jahre Bistum Breslau. Dziedzictwo i poslannictwo slaskiego Kosciola. 1000 lat diecezji wroclawskiej. Redaktion: M. Hirschfeld, M. Trautmann. Übersetzung: H. Miglo.

Verlag:

Dülmen: Laumann 2001. 445 S. m. zahlr. Abb. 4. Geb. ¬ 20,50. ISBN 3-87466-296-9.

Rezensent:

Kurt-Friedrich von Scheliha

Das Fürst-Bistum (seit 1930 Erzbistum) Breslau, das vermutlich im Jahre 1000 n. Chr. zusammen mit dem Erzbistum Gnesen als sein Suffragan gegründet worden ist, war flächenmäßig wohl das größte und zuletzt mit das bedeutendste Bistum in Deutschland. Es hat indessen mitunter den Anschein, als ob es weithin aus den Gedächtnissen entschwunden ist, denn im Zusammenhang mit den Milleniumsfeiern für das Erzbistum Gnesen wurde es in deutschen Medien kaum erwähnt. Umso mehr ist zu begrüßen, dass kürzlich ein Werk erschienen ist, das umfassend über das frühere Bistum Breslau informiert. Besonders hervorzuheben ist, dass es sich um eine deutsch-polnische Gemeinschaftsarbeit handelt. Das bezieht sich nicht nur auf die Verfasser der Beiträge sondern auch auf die Form ihrer Darstellung; sie werden synoptisch in deutscher und polnischer Sprache angeboten und sind daher den Interessierten beider Länder in gleicher Weise zugänglich.

Das reich bebilderte und somit anschauliche Werk enthält in drei Teilen 25 einzelne Beiträge, deren Verfasser profunde Sachkenner aus Deutschland und aus Polen sind. Im 1. Teil wird die Entwicklung der Diözese Breslau von den Anfängen bis zum Ende des 2. Weltkrieges geschildert. Schwerpunkte der Beiträge, die aus Raumgründen leider nicht einzeln angeführt geschweige denn dargestellt werden können, sind die Geschichte des Bistums Breslau in Bezug zum politischen Geschehen. An der Entwicklung Schlesiens unter polnischer, piastischer, böhmischer, habsburgischer und schließlich preußischer Herrschaft wird besonders deutlich, dass Kirchengeschichte ohne politische Geschichte nicht verständlich ist. Zum Bistum gehörten einige Gebiete Polens und als bischöflicher Eigenbesitz eine in Böhmen gelegene Region. Daher wird in mehreren Beiträgen die historische Funktion des Bistums als deutsch-polnisches und deutsch-böhmisches Beziehungsfeld entfaltet mit der Folge, dass viele Geistliche Utraquisten waren, also die deutsche und die polnische und/oder die tschechische Sprache beherrschten. Weitere Beiträge behandeln das geistliche Leben in seinen Erscheinungsformen, die geistlichen Gemeinschaften (Klöster), die Pflege der Musik sowie leider nur sehr rudimentär die kirchliche Baukunst. Die kirchen- und allgemeinpolitische Bedeutung des früheren Bistums mag daran verdeutlicht werden, dass es wegen seiner Besitzungen im früheren Österreichisch-Schlesien, der späteren Tschechoslowakei, das letzte echte Fürstbistum in Deutschland gewesen ist. Denn die durch Preußen in Schlesien erst 1810 auf Grund eigenen Rechts erfolgte Säkularisation der den katholischen kirchlichen Institutionen gehörenden großen und wertvollen Besitzungen konnte das im "Ausland" gelegene Eigentum nicht berühren. Auf Grund des Preußenkonkordates von 1929 wurde Breslau 1930 zum Erzbistum erhoben. Der vorletzte und der letzte deutsche Fürst- und (Erz-)Bischof wurden zu Kardinälen berufen und dieser, Kardinal Bertram, war, was nicht erwähnt wird, von 1919 bis zum Ende des 2. Weltkrieges Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz. Er starb am 6. Juli 1945 auf seinem in Böhmen liegenden Sommersitz Schloss Jauernig.

Im 2. Teil wird das Fortwirken der früheren Diözese Breslau nach dem 2. Weltkrieg behandelt. In fünf Beiträgen, darunter ein polnischer Verfasser, wird die Lage der deutschen Katholiken in West- und Ostdeutschland, dem inzwischen unter polnischer Verwaltung stehenden Schlesien sowie in der böhmischen Bistumsregion dargestellt. Auch die kirchenrechtliche Entwicklung, die Einsetzung polnischer apostolischer Administraturen und die damit verbundene Teilung des Bistums wird beschrieben. Inzwischen dürfte geklärt sein, dass der damalige polnische Primas, Kardinal Hlond sich fälschlicherweise auf eine persönliche Entscheidung von Papst Pius XII. berufen hat, als er den deutschen Kapitularvikar, Prälat Dr. Piontek, zum Rücktritt zwang.

Der 3. Teil, Erbe und Auftrag: "Geistliche Impulse für das 3.Jahrtausend", enthält acht relativ kurze in die Zukunft weisende Beiträge von deutschen und im früheren Schlesien residierenden polnischen Bischöfen, in denen auch das geistliche Leben polnischer und deutschsprachiger katholischer Christen geschildert wird. Karten im Umschlagdeckel erleichtern die Orientierung.

Das ungemein informative Buch ist, wie auch die Redaktion einleitend bemerkt, kein wissenschaftliches Werk im engeren Sinn. Mit den in mehrfacher Hinsicht unterschiedlichen Beiträgen sowie der Zweisprachigkeit wendet es sich vielmehr unter dem Motto: "Erinnerung und Aufbruch" an breite Kreise. Das mindert die fundierte Sachkunde, welche die Beiträge auszeichnen, in keiner Weise. Denn ein umfangreicher, ebenfalls zweisprachig-synoptischer Anmerkungsapparat verweist auf die Quellen. Dadurch ist das Buch für nicht unbedingt Sachkundige leicht lesbar und durch die wissenschaftlichen Anforderungen entsprechenden Anmerkungen zugleich als Einstieg in weiterführende Forschungen vorzüglich geeignet. Dafür werden in den Beiträgen Anregungen gegeben, wenn auf Defizite hingewiesen wird.

Das Werk kann nicht ohne Hinweis auf den politischen Hintergrund gewürdigt werden. Als deutsch-polnische Gemeinschaftsarbeit, die in den Verfassern und in der Zweisprachigkeit erkennbar wird, ist es für deutsche und für polnische Leser bestimmt. Daher ist besonders bemerkenswert, dass in mehreren auch von Polen verfassten Beiträgen deutlich Kritik an den harten Vertreibungsmaßnahmen geübt wird, denen die deutsche Bevölkerung in Schlesien und im böhmischen Teil der Diözese ausgesetzt gewesen ist. So etwas wäre vor wenigen Jahren noch nicht möglich gewesen, vor allem nicht in polnischer Sprache.

Der aus Schlesien stammende Rez. möchte drei Wünsche äußern. Auch wenn er berücksichtigt, dass bei einem solchen Werk bei den Themen Schwerpunkte gebildet werden müssen, entbehrt er einen Beitrag zum Schul- und Bildungswesen, auch in Bezug zur Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Breslau, der ein Sitz im Domkapitel zustand. Die Ausführungen zu den Zeugnissen kirchlicher Baukunst in Schlesien beschränken sich leider weitgehend auf weiterführende Hinweise, wenn auch nicht verkannt wird, dass bei den zahlreichen heute noch zu bewundernden bedeutenden Kirchenbauten allein in Breslau fast ein eigener Band notwendig wäre. Schließlich hätte ein eigener Beitrag über die periodisch stark belasteten Beziehungen, aber auch über vielfältige Formen der Zusammenarbeit in Vergangenheit und in Gegenwart zwischen katholischer und evangelischer Kirche und ihren Gemeinden in dieser früher konfessionell regional sehr gemischten Provinz das Gesamtbild weiter abgerundet.

Den hervorragenden Raum in dem Werk nimmt die deutsche Geschichte des nunmehr auch kirchenrechtlich nicht mehr bestehenden früheren Bistums Breslau ein. Es ist daher zu wünschen, dass sich deutsche und polnische Wissenschaftler dieser Thematik weiterhin annehmen.

Trotz der monatelangen Belagerung von Breslau, die schwere Schäden verursacht hat, scheint das katholische Diözesanarchiv weitgehend erhalten geblieben zu sein. Weiteres Archivgut, so etwa von säkularisierten Klöstern, ist jetzt im polnischen Staatsarchiv in Breslau zugänglich, in dem die noch vorhandenen deutschen Akten bis 1945 verwahrt werden. Sie sind in Gemeinschaftsarbeit von polnischen und von deutschen Archivaren geordnet und erschlossen worden. Das gilt auch für die anscheinend nahezu vollständig erhaltenen Akten der evangelischen Konsistorien von 1645-1945 sowie zahlreicher anderer evangelischer Institutionen mit einer Gesamtzahl von ca. 30.000 Akteneinheiten. Dieser wissenschaftliche Acker deutscher politischer und Kirchengeschichte sollte auch künftig nicht nur gepflegt sondern intensiv bearbeitet werden.