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Ausgabe:

September/2002

Spalte:

985 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Lämmermann, Godwin

Titel/Untertitel:

Einleitung in die Praktische Theologie. Handlungstheorien und Handlungsfelder.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2001. 287 S. 8. Kart. ¬ 20,40. ISBN 3-17-015275-0.

Rezensent:

Birgit Weyel

Eine Einleitung in die Praktische Theologie hat Godwin Lämmermann, Professor für Evangelische Theologie/Religionspädagogik an der Universität Augsburg, mit diesem Buch vorgelegt. Während etwa für die exegetischen Fächer der Begriff der Einleitung eine klar geprägte Gattung wissenschaftlicher Literatur ist, gibt es auf dem praktisch-theologischen Buchmarkt bislang keine Vorgänger. L. erfindet daher das Genre der Einleitung für die Praktische Theologie neu und setzt darum mit Überlegungen ein, was eine Einleitung in die Praktische Theologie leisten soll.

Anders als eine Gesamtdarstellung Praktischer Theologie soll die Einleitung nicht "aus der speziellen konzeptionellen Perspektive eines/einer AutorIn" (7) verfasst sein. Das Programmatische soll zurücktreten. Anders als ein Kompendium soll aber auch erst gar nicht der Versuch gemacht werden, einen "neutralen" Überblick über die Zentralthemen der Praktischen Theologie zu geben, weil es einen solchen - so L. - nicht geben kann. L. verortet seine Einleitung demnach gewissermaßen in der Mitte zwischen Programm und (vorgeblicher) Neutralität. Von einer "systematischen Mitte" ausgehend, will er einen "elementaren Überblick" geben, um auf diese Weise "Fragmentarisches und Programmatisches, Exemplarisches und Fundamentales" in einer "elementarisierenden Schilderung" miteinander zu verketten. (7)

In einem ersten Kapitel (Handlungsfelder der Praktischen Theologie - ihre Funktionen, Handlungsträger und Strukturen: 11-73) werden grundlegende Themen und Fragestellungen der Praktischen Theologie behandelt: zum Verhältnis von Theorie und Empirie, zur Entstehung und Geschichte der Praktischen Theologie, zu den sozio-kulturellen Bedingungen praktisch-theologischen Handelns u. a. m. Praktische Theologie wird von L. als kritisch-empirische Handlungswissenschaft bestimmt. Ihre Aufgabe ist es, "die Wirklichkeit als selbstständige Größe in den theologischen Diskurs einzubringen" (36). Darin liegt ihr Empirie-Bezug, der innerhalb des Faches kaum strittig sein dürfte. Für L.s Verständnis von Praktischer Theologie liegt großes Gewicht auf deren kritischer Funktion: "als kritische wissenschaftliche Reflexion von Praxis dient sie der theologischen Theoriebildung insgesamt, als theologische Reflexion über prinzipielle Möglichkeiten kirchlich-religiösen Lebens wirkt sie innovierend auf das praktische Handeln" (ebd.). Indem L. die Kritik betont, grenzt er sich dezidiert von hermeneutisch, phänomenologisch und ästhetisch orientierter Praktischer Theologie ab, weil diesen Konzepten allesamt "die kritische Instanz zur Normenkontrolle der historisch rekonstruierten und hermeneutisch erneuerten Normen oder der phänomenologisch beschriebenen Wirklichkeit" fehle (40). Gegen profilierte praktisch-theologische Entwürfe (D. Rössler, W. Steck, V. Drehsen, aber auch A. Grözinger und M. Meyer-Blanck) betont L. Praktische Theologie als kritische Wissenschaft. Kritik ist dabei gleichbedeutend mit Ideologiekritik, die für L. "so etwas wie das methodische Zentrum und die methodische Umsetzung für eine bildungstheologisch verantwortete Praktische Theologie" ist (41). Damit ist dann auch klar, worin L. die "systematische Mitte" seiner Einleitung verortet. "Kritische Praktische Theologie gleicht so dem Spiegel, in dem Menschen und Institutionen sich selbst erkennen und verändern können. In diesem Sinne wäre die Praktische Theologie als kritische Handlungswissenschaft bildungstheologisch fundiert, weil sie das Werden von Menschen in personalen und institutionellen Bezügen unterstützt."

Der Entfaltung dieser bildungstheologischen Grundlegung der Praktischen Theologie ist das 2. Kapitel (Bildung - eine praktisch-theologische Grundfunktion: 74-126) gewidmet. Die Fülle der Aspekte findet sich in 24 Prinzipien (107-113) konzentriert wieder. Bildung wird von L. vor allem im Sinne der Subjektwerdung verstanden; darin steht er H. Luther nahe. Die theologische Dimension gewinnt er aus der Rechtfertigungslehre, "die dem Einzelnen den Weg zu seiner wahren Bestimmung in Kontrast und Überwindung seiner natürlichen, biografischen und sozialen Bestimmtheit weist und ihm volle Subjekthaftigkeit verheißt." (111 f.)

Mit dem 2. Kapitel ist die Grundlegung im Wesentlichen abgeschlossen. L. hat sein Verständnis von Praktischer Theologie gewonnen, das er schließlich auch für die Predigt (3. Kommunikation in praktisch-theologischen Handlungsfeldern: 127- 166), die Kybernetik (4. Die Funktion Leitung/Organisation in der Volkskirche: 167-209) und die Diakonik/Poimenik (5. Die Grundfunktionen Hilfe und Beratung in Seelsorge und Diakonie: 210-256) fruchtbar zu machen versteht.

Insgesamt erweist sich die Einleitung als konzeptionell-programmatischer, als die Definition der Gattung durch L. vermuten ließ. In der konsequenten Profilierung seines Verständnisses von Praktischer Theologie und seiner konsequenten Durchführung aber liegt eine wesentliche Stärke dieses Buches. Gerade daher würde sich die Leserin eine dialogischere und detailliertere Auseinandersetzung mit anderen Positionen wünschen, wie dies im Rahmen einer Einleitung, die ohne Fußnoten und nur mit knappen Verweisen im Text auskommen muss, allerdings kaum möglich ist. Manche Abgrenzungen, so etwa die gegen "die falsche kulturprotestantische Vorstellung von der unmittelbaren Kompatibilität von Christentum, Bildung und Kultur" (100), bleiben daher thetisch. Manche Empfehlungen L.s, so etwa die Verlagerung in der kirchlichen Kommunikation von der Wahrheits- zur Wahrhaftigkeitsfrage (146-148), regen zur Diskussion an. Auch darin erweist sich das Buch als eine gelungene Einleitung, die zum Studium der Praktischen Theologie anzuregen und in ihre Grundfragen und Themen einzuführen vermag.