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Ausgabe:

September/2002

Spalte:

977 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Ulrich-Eschemann, Karin

Titel/Untertitel:

Vom Geborenwerden des Menschen. Theologische und philosophische Erkundungen.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2000. 263 S. gr.8 = Studien zur systematischen Theologie und Ethik, 27. Kart. ¬ 20,90. ISBN 3-8258-5098-6.

Rezensent:

Ulrich Eibach

Die Autorin möchte das "Geborenwerden von einer Mutter" in seiner Bedeutung für die Anthropologie, die Theologie und die Ethik erschließen, gegen die vorherrschende Tendenz in Philosophie und Theologie, das Menschsein vom Tode her in seiner "Ichstruktur", seinem Selbstsein zu erschließen. "Die eigene Geburtsgeschichte bleibt immer verbunden mit der Muttergeschichte" (17). Von der Geburt her gesehen ist Menschsein immer eine Geschichte zwischen Menschen, immer gekennzeichnet vom Angewiesensein aufeinander. Dem entspricht, dass die Autorin die Bedeutung der Geburtlichkeit in biblischen Texten und in Aussagen der Kirchenväter (vor allem M. Luthers) nachzeichnet, sowohl hinsichtlich der Geschöpflichkeit wie auch der geistlichen Dimension des Menschseins, der "neuen" Geburt. Beide Dimensionen entsprechen sich gegenseitig (217). "Die von Gott geschaffene Wirklichkeit des "Von-Neuem-Geborenwerdens" verändert die Wahrnehmung des Geborenwerdens von Menschen. Von dieser neuen Wirklichkeit her kann die andere Wirklichkeit des Geborenwerdens als Neuanfang verstanden werden" (214).

Entsprechend der Einsicht, dass die Geburt ein Neuanfang einer Menschengeschichte ist (74 ff.), bedient die Vfn. sich - als Religionspädagogin - weitgehend einer phänomenologischen und einer narrativen Form der Darstellung. Dabei grenzt sie sich gegen eine zyklischem Denken verhaftete Remythisierung des Gebärens in Teilen der feministischen Theologie (94 ff. 175ff.) und bei Peter Sloterdijk (215 ff.) ab. Das Geborenwerden macht deutlich, dass Leben verdanktes, "ein gewährtes werdendes Dasein ist" (82), wobei die "Geschichte des Geborenwerdens" eines Neuankömmlings als Geschöpf Gottes mit der "Geschichte des Mutterwerdens" unlöslich verknüpft ist (220). Der Anfang des Menschseins vollzieht sich als "Insein" in der Mutter, als von Gott gesetztes Geheimnis (78.82) in Kooperation mit der Mutter. Das Geborenwerden ist das "In-Erscheinung-Treten" dessen, was sich im Verborgenen als Werden ereignet (79 ff.). Von daher kommt die Autorin zu einer kritischen Haltung gegenüber allen definitorischen Festlegungen des Beginns des Lebens und dem Zeitpunkt der "Zuerkennung" der Menschenwürde. Wenn dem ganzen menschlichen Leben Würde zukommt, dann kommt auch dem ganzen Geschehen des Werdens Würde zu.

Das eigentliche Problem der "künstlichen Befruchtung" (IFV) liegt demnach darin, dass der Embryo aus dem natürlichen Geschehen seines Entstehens und Wachsens im Mutterleib herausgelöst wird. Menschen setzen damit durch ihre Definitionsmacht den zeitlichen Anfang des Lebens und behandeln den Embryo als Objekt. Dadurch erst wird die "Kontinuität" zwischen dem Entstehen des Embryos und der Geburt zerstört (74ff.). Mit dieser Verfügung über das Leben verblasst der Glaube, dass der Anfang des Lebens "bei Gott ist" und dass es bei jedem Kind um ein neues Schöpfungsgeschehen in Kooperation mit der Mutter geht (78). Die schöpferische Beziehung Gottes zum Menschen spielt sich unter Mitwirkung der Mutter ab, denn Gott selbst hat in seiner Menschwerdung diesen Weg des Geborenwerdens in Maria, der "Gottesgebärerin", gewählt (175 ff.). Nur unter der Voraussetzung, dass dem gesamten Geschehen des Werdens im Mutterleib Würde zukommt, kann man mit der - hierin jüdischer Tradition folgenden - Autorin sagen, dass "Mensch ist, wer von Menschen geboren ist", nicht aber mit der Absicht, dem ungeborenen Leben und dem durch IVF erzeugten Embryo seine Menschenwürde abzusprechen (76). Da aber die Erzeugung von Embryonen durch IVF und die mit ihr verbundenen Folgen (wie z. B. überzählige Embryonen) unwiderruflich sind, kann - entgegen den richtigen Einsichten der Autorin - die Frage nach dem Beginn menschlichen Lebens und seiner Würde und Schutzwürdigkeit nicht umgangen werden. In ihrer Intention liegt es, diese Schutzwürdigkeit vom Augenblick des Entstehens des Embryos anzuerkennen.