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Ausgabe:

September/2002

Spalte:

951–953

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Greiner, Michael

Titel/Untertitel:

Drama der Freiheiten. Eine Denkformanalyse zu Hans Urs von Balthasars trinitarischer Soteriologie.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2000. V, 204 S. 8 = Pontes, 8. ¬ 20,90. ISBN 3-8258-5194-X.

Rezensent:

Melanie Beiner

Die Arbeit zeichnet in kritischer Rekonstruktion das Programm der "Theodramatik" von Hans Urs von Balthasar nach. Den Grundgedanken der Theodramatik bildet das Verständnis Gottes als "grundlos freier Liebe", die sich in der Wahrung menschlicher Freiheit äußert und damit die Geschichte Gottes mit den Menschen nicht als ein in Gott selbst entschiedenes, abgeschlossenes Geschehen, sondern als "Drama der Freiheiten" begreift. Im Zentrum der Untersuchung steht die Frage, wie die "Trinität als Freiheitsgeschehen grundloser Liebe" (21) so gedacht werden kann, dass einerseits der "Eigenstand endlicher Freiheit" (ebd.) und die daraus folgende von Balthasar intendierte Offenheit der Geschichte nicht aufgegeben werden muss, andererseits aber die Möglichkeit eines Scheiterns dieser Geschichte, die mit dem Gedanken der "trinitarischen Unterfassung" aller Geschichte durch die Liebe Gottes von Balthasar ebenfalls abgewiesen wird, ausgeschlossen werden kann. G.s These ist es, dass der Gedanke der trinitarischen Unterfassung auf einer "Denkform" basiert, die Balthasar in der Durchführung seines Programms immer wieder dazu führt, die Unbedingtheit menschlicher Freiheit zugunsten der je größeren Möglichkeit der Liebe Gottes zurückzunehmen. Als diese Denkform bezeichnet G. die "philosophischen Grundentscheidungen" (12), die Balthasar getroffen hat. Erst im Vollzug der Arbeit stellt sich heraus, dass G. damit die Balthasarsche Rezeption der thomanischen Ontologie meint (70). Im Rahmen einer systematisierenden Darstellung der Theodramatik verdeutlicht G. die zentralen und weiterführenden Gedanken Balthasars und macht zugleich auf die jeweiligen problematischen Punkte aufmerksam.

Im ersten Teil "Welt immer schon als Gott" wird zunächst die Beziehung Gottes zum Menschen als "Differenzgeschehen zwischen Freiheiten" expliziert, die auf der "grundlosen Freiheit" und "Unüberbietbarkeit der göttlichen Liebe" (28) basiert und "damit als Möglichkeitsbedingung von Liebe" (25) zu verstehen ist, weil nur in der radikalen Freiheit vorbehaltlose Liebe möglich ist. Endliche Freiheit ist polar verfasst, weil sie einerseits eine "formale Unbedingtheit" aufweist, andererseits auf einen nicht kontingenten Grund bezogen ist, dem sie sich verdankt. (45) Damit ist die schöpfungstheologische Basis der Freiheitsgeschichte beschrieben, von der aus der Gedanke einer grundlos freien Anerkennung Gottes ebenso wie dessen Ablehnung möglich wird und die das "Risiko Gottes" (49) in ihr plausibel macht. Die Unüberbietbarkeit der Liebe Gottes zeigt sich darin, "die sich verschließende Freiheit auch noch am unmöglichen Ort aufsuchen zu können, am Ort der schlechthin abgebrochenen Beziehung" (50). Problematisch wird dieser Denkansatz Balthasars nach G. da, wo diese Möglichkeit, die sich im Kreuz Christi realisiert hat, selbst schon als ewige Möglichkeit in den trinitarischen Gedanken aufgenommen wird, weil damit die Offenheit der Geschichte und die Betreffbarkeit Gottes nicht mehr aufrechterhalten wird und zu einem "tragizistischen Seinsverständnis" (81, als Zitat von M. Schulz) führt. Nach G. gründet diese Ontologisierung der Passion in der thomanischen Metaphysik, die das "Sich-Aufgeben und "Zu-Grunde-Gehen" zugunsten des anderen" (72) zum Strukturprinzip des Seins macht.

Im zweiten Teil "Die Einholung des Verirrten" wird der heilsökonomische Vollzug der trinitarischen Unterfassung auf seinestrukturelle Problematik hin untersucht. Die im Kreuzesgeschehen geleistete Stellvertretung wird als "intersubjektiver Vollzug" (89) und damit ebenfalls als ein Akt grundloser Freiheit verstanden. Die Unbedingtheit endlicher Freiheit wird dabei gewährleistet, weil sie als "Angebot" (99) verstanden wird, das dem Menschen zwar "auf jedem denkbaren Weg" begegnet, das aber von ihm dennoch ergriffen werden muss. Obwohl Balthasar nach G. hier zunächst die Offenheit der Geschichte und die Möglichkeit eines sündhaften Verweigerns göttlicher Liebe gewahrt hat, wird die Sünde nach G. auf der Basis der Analogielehre Balthasars noch einmal trinitarisch umfasst. Denn sie gründet nach G. in dem Gedanken der "Koextensivität von Sein und Liebe" (116), der fundamentale Bedeutung für das Freiheitsverständnis Balthasars hat. Dieser Gedanke basiert nach G. wesentlich auf der thomanischen Freiheitslehre und ihrem Grundprinzip, dass alles Streben immer auf das Formalobjekt des Guten bezogen sein muss, weil der geschaffene Wille wesentlich auf das summum bonum ausgerichtet ist und demzufolge nichts anderes als das Gute erstreben kann (139). Damit wird aber nach G. jedes Streben als eine "Bewegung des Willens durch Gott" (141) verstanden und kann die Unbedingtheit der Freiheit und eine Entscheidung gegen Gott nicht mehr gedacht werden (141). G. sieht in dieser Rezeption der thomanischen Freiheitslehre den zentralen Punkt, von dem aus sich die Probleme in Balthasars Durchführung einer Theodramatik ergeben (142). Demgegenüber hätte der scotistische Freiheitsbegriff, der eine "zielursächliche Begründung der Willensbewe- gung" (142) ablehnt, nach G. für Balthasars Konzeption eine "tragfähige Grundlage" (143) geboten. Um einer "Entdramatisierung des Theodramas" (162) zu entgehen, ohne dass dabei die Gottheit Gottes gefährdet wird, muss nach G. das Wesen Gottes fundamental als Liebe gedacht werden, wobei zwar nicht die "Universalität seiner Liebe als einer an jedem denkbaren Ort noch angebotener" (ebd.), wohl aber die "Universalität göttlicher Herrschaft" (163) "durch den Weltprozess hindurch erwiesen werden müsste" und so den Punkt der Offenheit des geschichtlichen Prozesses markiert.

Im dritten Teil "Der Raum der Einbergung" werden daran anschließend die Aussagen Balthasars zur immanenten Trinität erläutert. Die "Grundlosigkeit der trinitarischen Liebe" (180) lässt sich nach G. nur durch eine uranfängliche Intersubjektivität (ebd.) der Personen der Trinität, die den Gedanken der Unbedingtheit der Freiheit jeder der Personen ermöglicht, plausibel machen. Statt einer (von Balthasar so explizierten) Ursprungsrelation ist die Trinität nach G. deshalb eher als Beziehungsgeschehen "zwischen personalen Freiheiten" (188) zu denken. Damit wird die Liebe als grundlegende Kategorie auch der immanenten Trinität charakterisiert, insofern sie konsequent in ihrer Wechselseitigkeit und Relationalität gedacht wird.

G. ist mit dieser Studie eine differenzierte und eigenständige Analyse der Balthasarschen Konzeption gelungen. Die Orientierung der sachlichen Fragestellung an der Freiheitsthematik leuchtet ebenso ein wie der Nachweis, dass die Balthasarsche Theodramatik in der thomanischen Metaphysik verankert ist, aus der sich die sachlichen Schwierigkeiten in der Durchführung des Programms, Heilsgeschichte als Drama der Freiheiten konsequent zu denken, ergeben. Problematisch scheint mir jedoch, dass G. die Alternative in einem scotistisch-transzendentalphilosophischen Freiheitsbegriff sieht, nach dem "der ursprünglichen Rezeptivität ein unhintergehbares Moment aktiver Selbstbewegung transzendentallogisch vorzuordnen" (142) sei. Damit gerät der von G. selbst intendierte intersubjektivitätstheoretische Zugang zur Freiheitsthematik aus dem Blick, insofern nicht mehr zu erklären ist, wie die Liebe Gottes als Ermöglichungsgrund endlicher Freiheit zu verstehen ist. Und es wird, wenn endliche Freiheit in Analogie zur göttlichen Freiheit als grundlos gedacht wird, nicht mehr plausibel, wodurch auch nur die Hoffnung auf Versöhnung begründet werden kann bzw. worin eigentlich das "Je-mehr" der göttlichen Liebe besteht. Mir scheint demgegenüber ein auf dem Begriff der Liebe Gottes basierendes relationales Freiheitsverständnis das Wesen endlicher Freiheit nicht als Grundlosigkeit, sondern als nicht selbst geschaffene Selbstbestimmung, deren Inhalt sich jeweils im Modus der Gewissheit auf eine nicht wählbare Weise erschließt, explizieren zu müssen. Damit wäre einerseits der "Eigenstand" menschlicher Freiheit als je selbstbestimmtes Handeln gewahrt, könnte andererseits aber auch plausibel gemacht werden, dass der Glaube als Gewissheit des schöpferischen und heilschaffenden Handelns Gottes die Hoffnung auf Durchsetzung und Vollendung seiner Liebe auch angesichts der faktischen Sündhaftigkeit bewahrt.