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Ausgabe:

September/2002

Spalte:

934–936

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Dierker, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Himmlers Glaubenskrieger. Der Sicherheitsdienst der SS und seine Religionspolitik 1933-1941.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2002. 639 S. gr.8 = Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen, 92. Lw. ¬ 82,20. ISBN 3-506-79997-5.

Rezensent:

Martin Greschat

Das Wirken des Sicherheitsdienstes der SS (SD) wurde bislang oft überschätzt und deshalb oft geradezu dämonisiert. Der Grund dafür lag nicht selten in der verbreiteten Unkenntnis über die Eigenart, die Arbeitsweise sowie die Zielsetzungen dieser Organisation. Dem möchte die vorliegende Untersuchung abhelfen. In 13 ausführlichen Kapiteln entfaltet der Autor minutiös die Feindseligkeit und den Kampf des SD gegen das Christentum und die Kirchen, von den Anfängen im Sommer 1931 bis zur faktischen Verschmelzung mit der Gestapo im Frühjahr 1941.

Heydrich baute den SD schrittweise zum einzigen Nachrichtendienst der NSDAP aus. Nach seinem Selbstverständnis sollte die Organisation sämtliche Bereiche des Lebens im "Dritten Reich" kontrollieren. Dabei spielten die Kirchen, insbesondere die katholische Kirche, von Anfang an eine wichtige Rolle. Um die Darstellung dieses Bereiches geht es in der Studie.

Nach der sorgfältigen Erläuterung des Aufbaus und der Organisation des SD (31-59) wird der Leser anhand der verfügbaren Daten über die 34 hauptamtlichen Mitarbeiter in der Kirchenabteilung des Dienstes informiert (60-95) sowie über deren Leiter, den ehemaligen Priester Albert Hartl (96-118). Brüche in der Biographie, entschiedene Zustimmung zum Nationalsozialismus mitsamt der Ablehnung des Christentums sowie ein hierauf basierendes elitäres Selbstbewusstsein charakterisierten diese Männer.

Auf die Herausarbeitung der Voraussetzungen folgt in vier Kapiteln die Darlegung der Theorie und Praxis der Religions- und Kirchenpolitik des SD in den Jahren 1931 bis 1937 (119-242). Zunächst ist von den Einstellungen Hitlers, Himmlers, Heydrichs und seiner Mitarbeiter zu Christentum und Kirchen die Rede. Danach wird der Leser über die kirchenfeindlichen Aktivitäten des SD informiert. Im Mittelpunkt des Interesses stand, wie gesagt, die katholische Kirche. Gezielt hochgespielte Prozesse wegen Devisen- und Sittlichkeitsvergehen, Attacken gegen katholische Jugendgruppen, die Bekenntnisschulen sowie die Kirchenpresse veranschaulichen diese Entwicklung. Allerdings bleibt unklar, welchen Anteil der SD an diesem Vorgehen hatte. Sicherlich unterstützte er bewusstseinsmäßig und organisatorisch die Schritte der Gestapo. Aber war er dabei mehr als dessen Hilfstruppe?

Vom Selbstverständnis des SD angesichts dieser politischen Realität handelt das 7. Kapitel (210-242). Einerseits definierte die Organisation den weltanschaulichen Gegner zunehmend umfassend, andererseits konzentrierte sie sich auf publizistische Vorstöße und die ideologische Schulungsarbeit. Folgerichtig agitierte der SD offen und verdeckt gegen sämtliche Bemühungen Kerrls, eine Verständigung zwischen Christentum und Nationalsozialismus herbeizuführen. Letztlich war es dann immer wieder Hitler, der die Radikalität des SD abbremste.

In den zwei Kapiteln des Abschnitts "Methoden und Tätigkeitsbereiche" (243-334) überwiegen die Wiederholungen. Von den im Selbstbewusstsein des SD angelegten Spannungen zwischen seinem machtbewussten offenen Auftreten und der Verwendung geheimdienstlicher Praktiken war bereits ausführlich die Rede, ebenso vom komplizierten Verhältnis zur Gestapo. Der Autor beschreibt diese Beziehungen ausführlich, ohne sie allerdings wirklich erhellen zu können. Der Grund dafür liegt letztlich in Heydrichs Willen, beide Organisationen nebeneinander und ohne klare Abgrenzungen voneinander agieren zu lassen.

Die Zeit von 1937 bis 1941 behandeln die vier letzten Kapitel der Studie (335-534). Die Expansion des nationalsozialistischen Deutschlands bot den radikalen Kräften zunehmend die Möglichkeit, ihre ideologischen Zielsetzungen durchzusetzen. Dabei spielte neben dem SD die Parteikanzlei unter Bormann eine wesentliche Rolle. Österreich und dann vor allem der "Gau Wartheland" in Polen wurden zu Übungsfeldern einer Politik, die letztlich auf die Vernichtung des Christentums und der Kirchen zielte.

In der "Schlußbetrachtung" unternimmt der Autor den anregenden Versuch, das Vorgehen des SD als die Proklamation und Durchsetzung einer "politischen Religion" zu interpretieren (535-549). Sicherlich trugen die öffentliche Darstellung des Nationalsozialismus, das Selbstbewusstsein seiner Führer und die Gläubigkeit der Anhängerschaft religiöse Züge. Aber ob diese Kennzeichen hinreichen, um von einer politischen Religion zu sprechen? Im Verlauf der Arbeit wurde dieser Gesichtspunkt jedenfalls nicht herausgearbeitet, so dass es sich bei diesen Anmerkungen nur um die Formulierung einer offenen Frage handeln kann.

Insgesamt ist eine sehr gründliche und detaillierte Darstellungsweise für die Studie kennzeichnend. Der Autor folgt seinen Quellen bis in viele Einzelheiten, nicht selten allerdings allzu sehr an sie gebunden, so dass es zu vielen Wiederholungen kommt. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der Katholizismus. Von den Vorgängen im Protestantismus ist eher am Rande die Rede. Dabei hat die 1936 vorgelegte Denkschrift der Bekennenden Kirche an Hitler und vollends 1938 ihre Gebetsliturgie "anläßlich drohender Kriegsgefahr" den SD nachweislich beschäftigt. Die Arbeit von Heike Kreutzer über das Reichskirchenministerium, deren Ergebnisse manchen Aspekt der hier behandelten Thematik weiter hätten beleuchten können (Das Reichskirchenministerium im Gefüge der nationalsozialistischen Herrschaft, Düsseldorf 2000), wird im Literaturverzeichnis genannt, jedoch in der Darstellung nicht berücksichtigt.

Gewichtiger erscheint mir der Einwand, dass die Tätigkeit und Bedeutung des SD trotz der hier vorgelegten ausführlichen Untersuchung unscharf bleiben. Das gilt einerseits im Blick auf die Gestapo. Und es gilt andererseits hinsichtlich der "weltanschaulichen Distanzierungskräfte" (der Begriff wurde von Kurt Meier geprägt), wozu u. a., keineswegs allein, Martin Bormann und die Parteikanzlei der NSDAP gehörten.

Wie bedeutsam waren die Aktivitäten des Dienstes in diesem Kontext wirklich? Um auf diese Frage eine Antwort zu finden, benötigen wir noch viele Untersuchungen, die auf der Basis dieser gehaltvollen Studie den Gesamtkomplex des nationalsozialistischen Herrschaftsgefüges mit seinen vielfältigen Verbindungen und Interdependenzen weiter analysieren.