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Ausgabe:

September/2002

Spalte:

925–929

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Koch, Ernst

Titel/Untertitel:

Das konfessionelle Zeitalter - Katholizismus, Luthertum, Calvinismus (1563-1675).

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2000. 356 S. gr.8 = Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen, II/8. Geb. ¬ 24,80. ISBN 3-374-01719-3.

Rezensent:

Wolfgang Sommer

Im Rahmen der bewährten und verdienstvollen Reihe "Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen" ist mit diesem Band von Ernst Koch über das konfessionelle Zeitalter ein Werk erschienen, das ganz besondere Beachtung verdient. Auf der Grundlage der neueren Erforschung der Epoche der Frühen Neuzeit, die unter dem Begriff der "Konfessionalisierung" zu vielen neuen Einsichten, freilich auch kritischen Anfragen geführt hat, hat der Vf. ein Gesamtbild über die europäische nachreformatorische Kirchen-, Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte detailliert und quellennah wie auch anschaulich gezeichnet, was durchaus ein schon lange erwartetes historiographisches Ereignis genannt werden kann.

In drei größeren Kapiteln kommen der römische Katholizismus, der Protestantismus in West-, Ost- und Südosteuropa sowie Skandinavien und die Kirchen der Reformation in Deutschland zur Darstellung. Zwei kleinere Kapitel am Ende des Werkes heben den Dreißigjährigen Krieg in ereignis- und theologiegeschichtlicher Perspektive sowie Fragen nach den Veränderungen in Philosophie und Religiosität, den Programmen für eine Reform der Welt und den Anzeichen und Wurzeln konfessioneller Indifferenz noch eigens heraus. Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis, das auch die Literatur zu den einzelnen Kapiteln und Unterkapiteln detailliert aufweist sowie eine Zeittafel und ein Personenregister geben zusammen mit dem reich gegliederten Inhaltsverzeichnis und den Querverweisen im Text eine gute Möglichkeit, das Werk mit seinem Informationsreichtum auch an ausgewählten Schwerpunktthemen und Sachfragen als Arbeits- und Studienbuch sinnvoll zu nutzen.

Von ca. 1560 bis in die Mitte des 17. Jh.s werden die Hauptereignisse und Entwicklungslinien in Politik, Kirche, Theologie und Frömmigkeit des konfessionellen Zeitalters aufgezeigt. Wenn diese beiden Eckdaten, die nur als ungefähre schwerpunktmäßige Zeiteinschnitte den Abschluss bisheriger und den Beginn neuer Entwicklungen anzeigen, den chronologischen Rahmen der Darstellung auch sinnvoll abstecken, so werden diese Grenzen doch bei der Darstellung der Geschichte der einzelnen Länder mehrfach verständlicherweise überschritten. Das gilt vor allem für das katholische Spanien, aber auch für die Schweiz und England. Wenn das erste Kapitel mit "Die Konfessionalisierung des römischen Katholizismus" überschrieben ist, so zeigt dies, dass K. mit der Erkenntnis aus der Forschungsdiskussion über die Konfessionalisierung Ernst macht, "daß sich der römische Katholizismus aus historischer Sicht nach 1560 von einer vielgestaltigen Erscheinung mittelalterlichen Kirchentums zu einer Konfession gewandelt hat". (49)

Mit Spanien als religiösem Zentrum des 16. und 17. Jh.s setzt die Darstellung ein und informiert über Politik und Kirche zur Zeit Philipps II. sowie über die Intensivierung und Erneuerung von Frömmigkeit und Theologie. Anschaulich wird dabei auch die kirchliche Kulturgeschichte Spaniens im 16. und 17. Jh., wenn das Theater im Dienst der Propagierung kirchlicher Lehre oder die neuen Orden bzw. ordensähnliche Zusammenschlüsse und die bedeutenden Gestalten der spanischen Mystik, Theresa von Avila und Johannes vom Kreuz, dargestellt werden. In der Theologie werden die theologische Umorientierung von den Sentenzen des Petrus Lombardus zur Summa theologica des Thomas von Aquin sowie die Auseinandersetzungen um die Gnadenlehre und Grundfragen theologischer Ethik hervorgehoben. Damit kommt die erhebliche Bedeutung von Kirche und Theologie Spaniens für die Geschichte Europas im konfessionellen Zeitalter klar zum Ausdruck. Es folgt eine knappe Porträtierung der Päpste nach Abschluss des Konzils von Trient bis zum Dreißigjährigen Krieg, von Pius V. bis zu Urban VIII., die in je eigener Weise ihre Kirchenpolitik auf die Herausstellung Roms als kirchliches Zentrum der Weltchristenheit konzentrierten.

Neben Spanien wird sodann die römisch-katholische Konfessionalisierung am Beispiel Polens dargestellt unter dem Titel: "Die Rückkehr Polens zur römisch-katholischen Kirche". Schon früh, seit den 20er Jahren des 16. Jh.s, gab es nicht wenige Anhänger der reformatorischen Bewegungen Mittel- und Westeuropas in Polen-Litauen. Die Verschiebung der Kräfteverhältnisse nach 1560 und der schließlich bestimmende Einfluss der römisch-katholischen Kirche in Polen, vor allem durch die bedeutsame Wirksamkeit der ausländischen Jesuiten im Land, stehen im Mittelpunkt dieses Abschnittes.

Die Vorgänge im Alten Reich werden unter den beiden Begriffen "Reform und Gegenreformation" beschrieben. Von der Rezeption der Beschlüsse des Tridentinums und den tragenden politischen Kräften der Gegenreformation ausgehend, kommen im weiteren Verlauf der Darstellung ausführlich das kirchliche Leben, Frömmigkeit und Theologie zur Sprache. Am Beispiel Bayerns werden die Einheit von Familien-, Landes-, Reichs- und Religionspolitik sowie die Kirchenreform im Sinne des Trienter Konzils und die Rekatholisierung großer Teile der Bevölkerung am Beispiel von Julius Echter von Mespelbrunn und dem Hochstift Würzburg aufgezeigt. Ein eigener Unterabschnitt ist der Reform und Gegenreformation in Innerösterreich und den habsburgischen Erblanden gewidmet. In Oberösterreich machten die Anhänger der Reformation "um die Wende zum 17. Jahrhundert 85 % des Adels, 75 % der Stadtbewohner und 50 % der Landbevölkerung aus. Innerösterreich war nahezu vollständig zum lutherischen Glauben übergegangen" (93). Trotz großer Anstrengungen der Reform und Gegenreformation konnten ihre Ziele doch nur recht zögerlich, erst zu Beginn des 17. Jh.s im Zusammenhang mit der Ausbreitung eines absolutistischen Regierungsstils und einer Stabilisierung der landesherrlichen Gewalt verwirklicht werden. "Strukturell blieb das Kirchentum im Heiligen Römischen Reich noch für lange Zeit ein Kirchentum neben dem Ideal der tridentinischen Reform" (97). Das gilt auch für die Reform des kirchlichen Lebens, der Frömmigkeit und Theologie. Wenn sich auch langzeitig gesehen spürbare Erfolge der tridentinischen Reformmaßnahmen einstellten, so kommt K. doch zu dem Ergebnis, dass die mittelalterliche Religiosität noch weithin im Untergrund, z. T. auch in der Öffentlichkeit, weiterlebte und das Ideal vollständiger Christianisierung nicht erreichbar war. "Von einem einheitlichen geistlichen Profil war die römisch-katholische Kirche weit entfernt." (114)

Den Protestantismus in Westeuropa schildert K. anhand der einzelnen Länder Schweiz, Frankreich, den Niederlanden, England, Schottland und Irland. Ausgangspunkt ist jeweils eine Situationsschilderung des Protestantismus in diesen Ländern im letzten Drittel des 16. Jh.s. Das ist besonders für die Schweiz aufschlussreich, wo die Ausprägungen reformierter Theologie zwischen 1560 und 1675 detailliert erörtert werden, was im Zusammenhang mit Frömmigkeit und kirchlichem Leben selten so dicht und klar wahrzunehmen ist. Bei der Schilderung des französischen Protestantismus stehen die Religionskriege zwischen 1559 und dem Edikt von Nantes 1598 sowie der Zusammenstoß mit dem erstarkten römischen Katholizismus im Zentrum, während in den Niederlanden entsprechend ihrer Bedeu- tung Frömmigkeit und Theologie sowie das kirchliche Leben schwerpunktmäßig dargestellt werden. Der Weg der Kirche von England wird von dem Regierungsantritt Königin Elisabeths I. 1558 bis zur Revolution von 1688 in enger Verbindung mit der politischen Geschichte aufgezeigt. Auf der Geschichte der puritanischen Bewegung liegt dabei ein besonderer Schwerpunkt. K. stellt fest: "Niemals seit Reformationsbeginn war es in einem Lande Europas zu einer derart hochgespannten apokalyptischen Erwartung gekommen, die verbunden war mit der Hoffnung darauf, dass die Königsherrschaft Christi und seiner Heiligen verwirklicht würde [...] In der Forderung nach Gewissensfreiheit lag der Beginn einer Entwicklung zu einer allmählichen Privatisierung der Religion." (182)

Die europäische Ausrichtung dieser Geschichte des konfessionellen Zeitalters zeigt sich auch darin, dass wesentliche kirchen- und theologiegeschichtliche Grundzüge in Skandinavien (Schweden, Dänemark und Norwegen) und in Osteuropa und Südosteuropa knapp und dennoch informationsreich herausgestellt werden. Die Entwicklung des Protestantismus in Polen, Ungarn, in Innerösterreich und in den habsburgischen Erblanden sowie die Konfessionen in Siebenbürgen treten ins Blickfeld, wobei der Überblick über die Geschichte der unitarischen Bewegung und ihre internationale Bedeutung m. E. besonders hervorzuheben ist.

Der dritte Teil dieser Geschichte des konfessionellen Zeitalters widmet sich ausführlich der lutherischen und reformierten Kirchen- und Theologiegeschichte in Deutschland. Ausgehend von der Situation um 1560 wird zunächst der Einigungsprozess unter den Anhängern der Wittenberger Reformation bis zum Konkordienbuch von 1580 und seinen Kritikern beschrieben, woraufhin die Darstellung des Luthertums in den beiden Hauptschwerpunkten gelehrte Theologie sowie Frömmigkeit und kirchliches Leben folgen. Die Darstellung des Reformiertentums beginnt mit den konfessionsbildenden Vorgängen in den einzelnen Territorien (Kurpfalz, Hessen-Kassel, Kurbrandenburg und den Ereignissen in Kursachsen unter Kurfürst Christian I. von 1586-1591), woraufhin die reformierte Theologie und Frömmigkeit in ihren Entwicklungsstadien und inneren Spannungen ebenso detailliert zum Ausdruck kommen wie die Wegphasen in der Geschichte des Luthertums. Ein eigener Abschnitt ist der Irenik gewidmet, in dem Georg Calixt und der Synkretismus dargestellt werden. Das dritte Kapitel wird abgeschlossen mit den zwischenkonfessionellen Beziehungen und der Mischkonfessionalität (Ostfriesland als Sonderfall) und einem knappen Blick auf das Verhältnis von Christen und Juden sowie auf die Missionsunternehmungen im konfessionellen Zeitalter.

Es ist beeindruckend, wie der Vf. die schon aus dieser Inhaltsübersicht hervorgehende Informationsfülle in eine zuweilen spannend zu lesende Lektüre zu bannen versteht. Die Aspekte der Politik-, Kirchen-, Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte kommen in der Darstellung aller drei Konfessionen in einem jeweils gut ausgewogenen Verhältnis zum Ausdruck. Einen besonderen Akzent legt K. - sicher mit Bedacht - auf die Schilderung von Frömmigkeit und kirchlichem Leben. Hier wird erfreulicherweise auch über den Kirchenraum, die Gottesdienstpraxis, über Gesang und Musik und das Amtsethos der Pfarrer informiert. So werden neben den zentralen Themen der Frömmigkeitsgeschichte wie Buße, Beichte, Kirchenzucht, Passions- und Sakramentsfrömmigkeit, Sterben und Tod und Eschatologie auch immer wieder kultur- und mentalitätsgeschichtliche Aspekte herausgestellt, auf die gerade auch die neuere Frühneuzeitforschung aufmerksam macht.

Dass mit diesem Band von K. ein aus langer Forschungsarbeit hervorgegangenes, bedeutsames Werk erschienen ist, das auch den verhältnismäßig großen Umfang rechtfertigt, ist offenkundig. Es wird gewiss in der erfreulich lebhaften allgemeinhistorischen und theologischen Frühneuzeitforschung auf längere Sicht eine wichtige Rolle spielen. Respekt und Dankbarkeit sind die vorherrschenden, angemessenen Reaktionen nach der Lektüre; einige kritische Anfragen habe ich an folgenden Punkten:

Bei der Darstellung des Luthertums wird zunächst die gelehrte Theologie und erst danach die Frömmigkeit geschildert, während bei der reformierten Konfession Theologie und Frömmigkeit im Zusammenhang erörtert werden. Die enge Beziehung der lutherisch-orthodoxen Theologie (der Begriff "Orthodoxie" kommt - wenn ich recht sehe - kaum vor) zur Frömmigkeit sowohl der einzelnen Theologen wie auch der Frömmigkeitspraxis der Zeit kann damit nicht so deutlich herausgestellt werden, wie es gewiss in der Intention des Vf.s liegt.

Bei der Darstellung der Theologie an den Universitäten hätte m. E. das charakteristische Doppelamt in der Verknüpfung von Lehr- und Predigtamt eine stärkere Betonung erfahren sollen (es wird kurz auf Seite 228 erwähnt). Die enge Verbindung von Kanzel und Katheder im Protestantismus des konfessionellen Zeitalters ist doch nicht nur für die Theologiegeschichte, sondern auch für die Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit ein höchst bedeutsames Phänomen.

Eine weitere Problemanzeige sehe ich in dem Verhältnis der vorausgegangenen Darstellung zu den in Kapitel 5 noch knapp eigens verhandelten Themen wie "Programme für eine Reform der Welt" und "Spiritualistische Traditionen". Die Probleme des Spiritualismus werden freilich schon unter dem Abschnitt "Lutherische gelehrte Theologie" berührt (236ff.). Hier musste deshalb auch schon auf die Arndtschen Streitigkeiten über die "Vier Bücher vom wahren Christentum" im Zusammenhang mit der Kontroverse um Hermann Rahtmann eingegangen werden, wie auch auf die Nachwirkung Valentin Weigels im 3. Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts. Ob es glücklich war, in dem mit "Ausblick" überschriebenen letzten Kapitel des Werkes die spiritualistischen Traditionen von Caspar Schwenckfeld, Daniel Sudermann, Valentin Weigel und Jakob Böhme sowie das Rosenkreuzertum und den Paracelsismus in Form eines solchen "Anhangs" zum Ausdruck zu bringen, möchte ich doch bezweifeln. Diese Traditionen sind doch viel stärker besonders mit der vorausgegangenen lutherischen Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte verbunden, worin mir K. gewiss zustimmen würde, was nur durch diese m. E. etwas unglückliche Anordnung zu Missverständlichkeiten führen kann. Die heutige kontrovers geführte Arndt-Diskussion zeigt dies ja ganz besonders. Auch wären m. E. Johann Valentin Andreae und Johann Amos Comenius besser im 3. als im 5. Kapitel zur Darstellung gekommen. Warum Georg Calixt und der Synkretismus eine so eigenständige Behandlung außerhalb der Darstellung des Luthertums gefunden hat, ist mir ebenfalls nicht ganz verständlich. Schließlich hätte ich lieber auf die Jahreszahlen im Titel verzichtet, aber das wird vermutlich eine Vorgabe aus der Gesamtreihe sein.

Von kleineren Druckfehlern abgesehen, muss es auf S. 230 Nikolaus Gallus "(1516-1570)" statt "(1560-1570)", auf S. 246 "Gregor XIII." statt "Gregor XIV", auf S. 275 Johannes Althusius "(1557-1638)" statt "(1597-1638)" heißen.