Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2002

Spalte:

924 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

[Junghans, Helmar:]

Titel/Untertitel:

Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen. Ausgewählte Aufsätze hrsg. von M. Beyer u. G. Wartenberg.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2001. 431 S. m. Abb. gr.8 = Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, 8. Geb. ¬ 34,00. ISBN 3-374-01910-2.

Rezensent:

Gottfried Seebaß

Die Verlage übernehmen sie nicht gern - den Benutzern aber sind sie eine Freude: die gesammelten Aufsätze von Wissenschaftlern zu ihrem engeren Fachgebiet. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass man sich entschloss, zum 70. Geburtstag des emeritierten Leipziger Kirchenhistorikers Helmar Junghans einen leider schmal - im Blick auf das Gesamtwerk zweifellos zu schmal - geratenen Band mit einer Auswahl seiner Beiträge zu seinen drei Hauptarbeitsgebieten: "Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen" herauszubringen. Dabei ist der erste Bereich mit einem Beitrag zum Verhältnis von "Christen und Juden im Mittelalter", zum mittelalterlichen Vorbild für Luthers Lehre von den beiden Reichen bei Ockham und Biel sowie der Einleitung zum Neudruck von Ulrich Pinders Passionsspiegel vertreten. Von den vielfältigen Beiträgen, die J. zum Humanismus leistete, findet sich nur einer, der zum nationalen Humanismus bei Ulrich von Hutten und Luther, doch kann für eine Reihe früherer Arbeiten zu diesem Thema auf den schon 1984 erschienenen Sammelband "Der junge Luther und die Humanisten" verwiesen werden. Eine Hommage an den Lehrer Franz Lau ist das "Plädoyer für Wildwuchs der Reformation als Metapher". Im Übrigen aber sind die Arbeiten mit Ausnahme zweier Beiträge zu Müntzer vor allem Luther gewidmet. Dessen Reformation steht ganz im Mittelpunkt des Bandes.

Dabei ist die Spannweite beachtlich. Die Aufsätze befassen sich mit dem "Reichtum einer geschichtlichen Persönlichkeit - Martin Luther", mit seiner Reform der Kirche ("Freiheit und Ordnung bei Luther während der Wittenberger Bewegung und der Visitationen"; "Luthers Gottesdienstreform - Konzept oder Verlegenheit") und den sozialethischen Implikationen und Folgen seiner Theologie ("Sozialethisches Denken und Handeln bei Martin Luther", "Luther und die Kultur"). Sie wenden sich- umsichtig, differenzierend und gleichwohl entschieden - dem umstrittenen Thema "Luther und die Juden" zu und nehmen auch "Martin Luthers letzte Jahre" in den Blick. Von besonderem Interesse ist, was J. über "Kaiser Karl V. am Grabe Luthers in der Schloßkirche zu Wittenberg" herausgefunden hat, dass nämlich die von der Historienmalerei des 19. Jh.s ins Bild gesetzte Szene des Kaisers am Grab Luthers historisch sehr wohl belegt und keineswegs unwahrscheinlich ist. Erfreulich ist, dass man die den Tischreden in dem Neudruck der Weimarer Ausgabe vorangestellte inhaltsreiche und umfassende Einleitung ebenso aufgenommen hat, wie den wichtigen Beitrag zu "Martin Luther und die Rhetorik". Drei Beiträge widmen sich der Konfrontation der Reformation mit zeitgenössischen Themen: "Die Ablaßkonstitution vom 1. Januar 1967 und Luther", "Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen der Konkordienformel von 1577 und der Leuenberger Konkordie von 1973" und "Ist die lutherische Agende zeitgemäß?". Besonders der zuletztgenannte, wiederum dem Gedenken an den Lehrer Franz Lau gewidmete Beitrag bietet unter ständigem Rückgriff auf Luther Gesichtspunkte, wie sie bei jeder Liturgiereform vorab bedacht werden sollten. Dem dritten Thema des Bandes - der Kirche in Sachsen - sind drei Aufsätze zuzuordnen: "Der Einfluß des Absolutismus auf die sächsische Kirchengeschichte", "Die Berufung von Gottlieb Christoph Adolph Harleß nach Leipzig und die Erneuerung des Luthertums in Sachsen" sowie "Kirchengeschichtsschreibung in Leipzig im Wandel der Theologie und Wissenschaftskultur". Wie nicht wenige andere der Arbeiten von J. hat gerade auch der Aufsatz über die Berufung von Harleß einen durchaus aktuellen Anlass, nämlich die knappe Erwähnung der neulutherischen Theologen der Universität Leipzig im Jubiläumsband zur 575-Jahrfeier der Universität. J. wollte in ihm ausdrücklich "jene Vereinfachungen vermeiden, die im Leser schematisches Denken fördern und die mitwirkenden religiösen und theologischen Kräfte nicht einmal ahnen lassen". Diese Kräfte in jenen Epochen aufzuspüren, denen er seine Arbeiten widmete, war - der Band beweist es - stets eines der Anliegen von J.

Über die Auswahl lässt sich bei einem Band gesammelter Aufsätze immer streiten. Aber vielleicht wäre es im Blick auf den runden Geburtstag, zu dem der Band erschien, doch sinnvoll gewesen, die Selbstvorstellung von J. aus Anlass seiner Wahl in die Sächsische Akademie der Wissenschaften nachlesen zu können. Auf die Texte zur Müntzer-Wanderausstellung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR hingegen hätte man m. E. durchaus verzichten können - selbst wenn sie zeitgeschichtlich und ihrer Prägnanz wegen auch weiterhin Interesse beanspruchen können. Wahrscheinlich wären die neun Abschnitte zu Müntzers Leben, die J. für eine breitere Leserschaft in "Die Union/Der neue Weg" 1989 zum 500. Geburtstag Müntzers publizierte, aussagekräftiger gewesen. So findet man sie nur in der Bibliographie der Schriften von J. für die Jahre 1959 bis 2001, die man erfreulicherweise dem Band beigegeben hat. Im Übrigen wurde der Band ausgesprochen benutzerfreundlich gestaltet. Nicht nur die Erstveröffentlichungsorte sind genannt, sondern auch die originalen Seitenumbrüche eingefügt worden.

Die Sammlung bietet insgesamt einen repräsentativen Querschnitt durch das reiche Lebenswerk von J. Vor allem aber macht sie deutlich, dass kirchenhistorische Arbeit, die sich bewusst auch in den Dienst der christlichen Gemeinden stellt - und dies unter den Bedingungen der DDR noch einmal in einer besonderen Situation - wissenschaftlich-kritischer und quellennaher Arbeit keinen Abbruch tut, sondern im Sinne von J. recht verstanden eher fordert und fördert.