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Ausgabe:

September/2002

Spalte:

918 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Witherington, Ben, III

Titel/Untertitel:

The Gospel of Mark. A Socio-Rhetorical Commentary.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2001. XXIV, 463 S. gr.8. Kart. US$ 35,00. ISBN 0-8028-4503-7.

Rezensent:

Petr Pokorny'

Wie schon die anderen Arbeiten des Vf.s ist auch der vorliegende Kommentar als eine zusammenhängende Abhandlung disponiert, die kontinuierlich gelesen werden kann. In dieser Hinsicht entspricht er dem Untertitel - W. behandelt das Markusevangelium als ein Ganzes, und der Leser kann seine Darstellung gut verfolgen.

Der erste Teil, der der Einleitung und der Gesamtschau gewidmet ist, umfasst die ersten 62 Seiten. Durch H. C. Kee (Community of the New Age, 1977) inspiriert, behauptet W., dass die Gattung des Markusevangeliums durch die Apokalyptik mehr als durch die Biographie beeinflusst ist (Jesu Auftreten als Konflikt mit dem Satan - 7 f.61). Die Einzelgeschichten sind auf Erinnerungen (apomnemoneumata - Belege: Justin und Papias) gebaut, hinter denen das semitische Milieu noch zu spüren ist. Als Evangelist war Markus doch mehr Sammler als Redaktor oder sogar Autor. Das Ganze ist für die Lektüre, nicht zum Vorlesen bestimmt (Argument: "wer es liest ..." - o anaginoskon, Mk 13,14) und wahrscheinlich zwischen 66 und 70 n. Chr. in Rom geschrieben worden. Die anderen zwei Synoptiker sind von Markus abhängig.

Bedeutend ist, dass W. das Markusevangelium für einen Torso hält, der nach 16,8 über die Erscheinungen Jesu berichten musste, was dem Inhalt des mündlichen Evangeliums entspricht, das schon in Mk 1,1 programmatisch erwähnt ist (42-49.412-418).

Den zweiten Teil (65-419) bildet der sukzessive Kommentar, der viele interessante Einzelbeobachtungen birgt und mehrere Übersichten der (meistens chiastischen) Struktur der einzelnen Perikopen oder längerer Textsegmente. Mancherorts schimmert eine moderne literarische Inspiration durch (11,1-15,47 ist "Long Day's Journey into Night" überschrieben), die die Deutung lebendig macht. Als Nachtrag wird "Mark's Perspective on the Disciples" behandelt (wahre Nachfolge ist erst nach Ostern möglich). Literaturverzeichnis (gleich am Anfang) und gute Register (am Ende) sind für den Leser recht nützlich.

Der Kommentar ist als "Socio-Rhetorical" bezeichnet und enthält Material zur Strukturanalyse einzelner Perikopen, einige Exkurse zur Rhetorik (388 f.) sowie z. B. Informationen über das Leben der römischen christlichen Gemeinden. Doch bietet er auch viele historische Informationen. Das entspricht der Methode, die möglicherweise z. T. durch die Arbeiten von V. Robbins inspiriert ist. Leider wird diese Methode nicht konsequent durchgeführt. Von den umfassenden Prinzipien der Struktur erfährt der Leser nur, dass sie mit dem mündlichen Evangelium zusammenhängen, was schon zum Konsens der Markusforschung gehört. Auf der anderen Seite ist der sonst oft vorkommende Versuch, das Problem der Deutung eines Textes durch eine Hypothese über seinen verlorenen Teil zu lösen, im Rahmen einer programmatisch literarischen Analyse nicht professionell, besonders wenn man sich zunächst mit den anderen Lösungen nicht näher beschäftigt hat. Z. B. wird die literarische Behandlung dieses Problems durch J. Lee Magness (Sense and Absence, 1986, Rez. ThLZ 114, 1989, 884 f.) nicht erwähnt. Die Tendenz, die für die zahlreichen Arbeiten von W. bezeichnend ist, ist auch hier sichtbar: Die Jesusüberlieferung wird als Erinnerung betrachtet (und ohne Zweifel enthält sie viele Erinnerungen), aber gleichzeitig den Formeln der nachösterlichen Verkündigungen angepasst. Die inspirierende Spannung innerhalb des Textes und diejenige zwischen dem Text und seiner Wirkungsgeschichte werden dadurch geschwächt. Als Gegenposition zur neoliberalen Markusforschung (z. B. B. Mack) ist dies begreiflich, allerdings nicht überzeugend. Störend wirkt auch die fehlende Auseinandersetzung mit einigen bedeutenden Arbeiten zum Thema, wie z. B. der wirklich literarischen Studie von D. Dormeyer. Die Behandlung der bedeutenden Rolle des Hoheitstitels Sohn Gottes ohne Erwähnung der grundlegenden Arbeiten von Ph. Vielhauer ist ebenfalls wenig verständlich (W. zitiert nur J. D. Kingsbury, der sich allerdings eindeutig auf Vielhauer beruft).