Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2002

Spalte:

905 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Asiedu-Peprah, Martin

Titel/Untertitel:

Johannine Sabbath Conflicts as Juridical Controversy.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2001. XIV, 280 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 132. Kart. ¬ 49,00. ISBN 3-16-147530-5.

Rezensent:

Michael Labahn

Martin Asiedu-Peprah, der inzwischen als Lecturer in Cape Coast, Ghana, lehrt, wendet sich in seiner bei F. J. Moloney und M. Coloe entstandenen doctoral dissertation über die Sabbatkonfliktgeschichten in Joh 5,1-47 und 9,1-10,21 zuletzt viel diskutierten johanneischen Texten zu. Er setzt neue Akzente, indem er das Gerichtsmotiv mit Hilfe des alttestamentlichen rîb-Schemas auf eine gesicherte Basis stellen will. Die Ziele dieser Studie werden klar formuliert: 1. "to determine the precise nature of the juridical metaphor", 2. "to examine the role of this specific juridical metaphor" und 3. "to explore the historical setting [...] and to infer from it the social function" (2 f.).

A.-P. betont den Sabbatkonflikt wie die christologische Frage als die beiden Hauptthemen. Methodisch bedient er sich der narrativen Kritik, insbesondere des reader-response criticism, ohne den historischen Kontext, in dem der Text rezipiert werden soll, zu übergehen. Unter dem alttestamentlichen rîb-Schema versteht A.-P. eine juristische Auseinandersetzung zwischen zwei Parteien ohne Beteiligung eines Richters mit den Hauptelementen: accusation, response, conclusion of controversy. Von den weiteren Bestandteilen ist vor allem das juridical parable beachtenswert, das der Erklärung der Hirtenrede (Joh 10,1 ff.) dient. Anlass der Kontroverse ist das gesetzlose Handeln Jesu am Sabbat. Das rîb-Schema dient dem Erzähler "to communicate his message to the reader" und "to construct a narrative christology" (183), die letztlich zur Spaltung unter den Anklägern führt. Erst nach dem Scheitern des Dialogs führt die Auseinandersetzung zum forensic trial in Joh 18,28-19,16 (34.181 f.). Als Kommunikationsziel bestimmt A.-P. "an appeal to non-Christian Jews within the broad framework of first-century Judaism" (213; vgl. 231), näherhin die Bedrohung der joh. Gemeinde mit dem noch nicht erfolgten Synagogenausschluss (200.222 f.).

Die gründliche Arbeit enthält eine Reihe nützlicher Beobachtungen. Sie bestätigt die christologische Zentrierung der untersuchten Abschnitte und arbeitet ihre soteriologische Essenz heraus. Interessant ist, dass A.-P. Joh 5 und 9 f. mit Hilfe des rîb-Schemas aneinander reiht, da Joh 5 keine Reaktion auf Jesu Verteidigung berichtet; Signalcharakter hat der Vers 9,16, der die Vorwürfe aus Kap. 5 aufnimmt und damit die Fortsetzung der Kontroverse anzeigt (130 f.). Zudem sei die Anfertigung des heilsamen Breis (Joh 9,6) ein schöpferischer Akt (125), mit dem das Wirken Gottes am Sabbat fortgesetzt werde (145). Gerade wenn man mit A.-P. die Parallelität beider Geschichten beachtet, stellt sich die Frage, ob das Verstehen additiv geschehen soll oder ob die Parallelstruktur zu einem Vergleich der beiden Texte und seiner Helden einlädt.

Ist der Vergleich mit dem rîb-Schema erfrischend, so bleibt die Frage, ob damit eine so umfassende Antwort gegeben ist, wie es der Anspruch der Arbeit nahelegt. Joh 9 enthält gerichtliche Motive, da die Befragungen Züge eines Verhörs tragen. Zudem ist die von A.-P. betonte bilaterale Kontroverse weithin durch Monologe Jesu gekennzeichnet; die zweite Partei kommt primär in Dialogen mit Dritten wie den beiden Geheilten und den Eltern des Blindgeborenen zu Wort.

Nach A.-P. kommt dem Sabbatthema eine herausragende Bedeutung im Johannesevangelium zu, wie er es mit seiner Auslegung von 5,18 erhebt, die das differenzierende ou monon übergeht: Sabbatbruch, die Bezeichnung Gottes als Vater und der Anspruch, Gott gleich zu sein, liegen auf einer Ebene, wobei das Motiv der Gottgleichheit mit Joh 5,16 f. auf das Sabbatwirken bezogen wird (78). Dies wird in der Exegese von 5,19 ff. durchgehend entfaltet. M. E. ist jedoch anders zu gewichten, da das Motiv der (differenzierten) Identität Jesu mit Gott ein johanneisches Thema ist, das nicht am Sabbatproblem hängt. Dies stützt auch Joh 10,32 f., wo nur vom Sich-Gott-Gleichstellen und nicht von der Sabbatverletzung gesprochen wird. Das Sabbatthema ist im Johannesevangelium kein eigenständiger Topos, so dass Geltungsbereich, Orthopraxie u. ä. verhandelt würden (anders die Tradition hinter Joh 7,19 ff.). Der Hinweis auf den Sabbat ist ein wichtiger narrativer Katalysator für den Fortgang der Auseinandersetzung über Jesus. Das entscheidende crimen, das zur Verfolgung und zur Verurteilung durch "die Juden" führt, ist jedoch Jesu Anspruch, Gott gleich zu sein. Dies ordnet sich der johanneischen Hermeneutik zu, da der Gegenstand der zur Verurteilung Jesu führt, von seinen Gegnern durchaus treffend erkannt wurde (Gottgleichheit), aber ihre Konsequenz falsch ist. Jesus ist kein Gotteslästerer, sondern der Sohn von Anfang an. Wird auf den Sabbatkonflikt der Finger gelegt, so überrascht, dass 7,14 ff., der Rückverweis auf die Sabbatverletzung (7,23.25; vgl. die ausdrückliche Erwähnung des Sabbats in 7,22 f.), nicht in die Diskussion integriert wird: "the Sabbath motif, as a basis for conflict [...], had been absent" in Joh 7 f. (47; vgl. aber 47, Anm. 18 und 180 f.238 f.). "Die Juden", eine im Johannesevangelium durchaus schillernd charakterisierte Gruppe, sind eng mit Joh 5 verbunden, da sie zur Furcht und unaufrichtigen Rede der Jerusalemer führen (7,13; vgl. auch 9,22). Eine Aufforderung wie 7,24 wäre ein idealer Aufhänger für die erneute Aufnahme der Kontroverse bzw. die vermisste Stellungnahme der zweiten Gruppe im bei A.-P. vorausgesetzten rîb-Schema.

A.-P. beachtet eine "rhetoric of persuasion"; dies erinnert an die zeitgenössische Gerichtsrede als wichtiges Feld, rhetorische Fertigkeiten zu erproben. Auch wenn A.-P. sein Schema von jüdischen (und damit auch von nichtjüdischen) Prozessschemata abgrenzt, wäre zumindest zu prüfen, wie das Verhältnis zu diesem Komplex in Theorie (Handbücher) und Praxis (Prozessreden) aussieht. Als Beispiel mag die Infragestellung der Integrität des Prozessgegners durch polemische Sprache dienen, die A.-P. im Dienste der christologischen Überzeugung sieht. Diese Inkriminierung ist aber eine Aufgabe des Prozessredners (vgl. z.B. Cic Part 137). Zudem ist m. E. zweifelhaft, dass die Kommunikationssituation einen offenen Dialog angesichts der Drohung des Bruchs mit der Synagoge erkennen lasse. Im Johannesevangelium vollziehen sich auf der narrativen Ebene Trennungsprozesse, die kaum noch mit Versöhnung und Frieden rechnen lassen (229). Aussagen wie die Bezeichnung des Teufels als "Vater der Juden" (8,44) sind das Ende eines Dialogs und nicht auf Fortsetzung aus und setzen eine bereits vollzogene Spaltung voraus.

Die Fragen sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass A.-P. eine herausfordernde Studie zu einem wichtigen johanneischen Thema vorgelegt hat. Die narrativen Analysen bieten eine gute Basis für die weitere Arbeit an Joh 5 und 9 f. Die gut lesbare und durch ausführliche Register erschlossene Studie (leider fehlt das Stichwort "Ironie", zu dem A.-P. Treffendes beiträgt) kann auch dann, wenn man wie der Rez. im Einzelnen anders urteilt, mit Gewinn gelesen werden.