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Ausgabe:

September/2002

Spalte:

901 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schroeder, Christoph O.

Titel/Untertitel:

History, Justice, and the Agency of God. A Hermeneutical and Exegetical Investigation on Isaiah and Psalms.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 2001. XIV, 236 S. gr.8 = Biblical Interpretation Series, 52. Lw. ISBN 90-04-11991-4.

Rezensent:

Karin Schöpflin

Bei Christoph Schroeders Buch handelt es sich um die gründlich überarbeitete Fassung seiner am Princeton Theological Seminary 1999 angenommenen Dissertation. Im ersten Teil entfaltet der Autor seine bereits im Vorwort vorgestellte These "that the biblical view of divine agency in history and creation is realistic." (XI): Nach alttestamentlicher Auffassung handelt Gott in der Geschichte; die Welt ist Gottes Schöpfung, außerhalb derer YHWH als Herrscher steht. Menschliches Dasein und Gesellschaft sind als Bestandteil der Schöpfung eingebettet in ein Kräftefeld, in eine Sphäre von Mächten, die YHWH kontrolliert und zu denen der Mensch in Beziehung treten muss. Der Mensch kann sich an Gott wenden und um dessen Eingreifen bitten. Die Vorstellung einer göttlichen Ratsversammlung ist eine (von weiteren wie Feuer oder Geist) für Gottes überzeitliches Eingreifen.

Mit der so skizzierten biblischen, alle ontologischen Bereiche umfassenden ("universalistischen") Auffassung kontrastiert Sch. in einem äußerst knappen Abriss das antike griechische Geschichtsverständnis sowie neuzeitliche Konzeptionen, die Geschichte auf Fakten reduzieren und lediglich den Menschen als Akteur in der Geschichte wahrnehmen. Dem stellt Sch. seine Auffassung gegenüber, die er an Jes 1-6 zu illustrieren sucht: Er begreift das Jesajabuch als Geschichtsschreibung, in der sich spezifische historische Erfahrung manifestiere, und liest es dezidiert nicht historisch-kritisch, sondern erklärt: "we thus maintain that a narrative reading of the book of Isaiah is a historical reading." (59)

Er konzentriert sich auf Jes 5 und 6: Das Weinberglied, das gleichnishaft die gesamte Geschichte Israels bis 587/6 umgreift, sieht diese Ereignisse als Konsequenz der Verletzung von Recht und Gerechtigkeit; die Weheworte sind Jesajas Analyse seiner Gesellschaft und beschwören zugleich das Gericht herauf; die Vision in Jes 6 antwortet auf die vermessene Annahme des Volkes, dass es die Wirklichkeit kontrolliere. Jes 6 zeigt, dass YHWH als König des Universums die Geschichte bestimmt. So gefährdet menschliche Anmaßung das Gleichgewicht des Universums. Der Auftrag an Jesaja zeugt von dem göttlichen Entschluss, unverständlich und fremd zu sein, indem er durch die Assyrer handelt. So erfasst prophetische Geschichtsschau tiefere Dimensionen von Geschichte, die bei bloßer Betrachtung von Fakten unsichtbar bleiben.

Der zweite, umfangreichere Teil befasst sich mit "Gottes Handeln als Antwort auf Gebete". Ausgehend vom Problem des Stimmungsumschwungs untersucht Sch. zunächst Pss 3 und 6 (Kap. 4), dann konzentriert er sich auf Ps 7 (Kap. 5-9). Zunächst diskutiert er Hypothesen eines kultisch vermittelten Heilsorakels (Begrich, Beyerlin, Gerstenberger) sowie das tempeltheologische Modell, das den Stimmungsumschwung mit neuer Anwesenheit des zuvor für den Beter abwesenden YHWH erklärt.

Tragend für Sch.s Exegese der drei Psalmen und des Stimmungswechsels in ihnen wird seine These, dass der Umschwung mit dem Übergang von der Nacht zum Tag zusammenhänge: Während nachts negative Mächte wirken, signalisiere das Morgengrauen die Aktivität YHWHs. Zudem sei der Tagesanbruch die Stunde, zu der man traditionell den Gott als Richter anrufe. Innerhalb der ausführlichen Betrachtung von Ps 7 setzt sich Sch. mit der These, dass der Beter von Ps 7 ein rechtlich Verfolgter sei, und der damit zusammenhängenden Annahme eines Ordals am Jerusalemer Tempel (H. Schmidt, Delekat, Beyerlin) auseinander und widerlegt diese. Er entdeckt hingegen Parallelen zu Ps 7 in mesopotamischen Beschwörungstexten, wo die Gottheit in existentieller Not als Richter angerufen wird. Auf deren Urteil hin wird das Böse zurückgelenkt auf seine Urheber, die so der Vernichtung anheim fallen. Dies Abwenden des Bösen von ihm erfährt der Betende als Wirklichkeit des Übergangs vom Tod zum Leben. Ps 7 bildet den Höhepunkt der redaktionellen Abfolge der Pss 3-7. Diese umreißt einen Prozess, den der Beter durchschreitet, und deutet auf einen liturgischen Gebrauch der Gebete während einer Nacht und des darauf folgenden Morgens hin.

Im Rahmen der Zusammenfassung (3. Teil) weitet sich abschließend der Blick des Autors auf einige wenige weitere Psalmen.

Die theoretischen Einstiegskapitel des Buches bleiben - in diesem Rahmen notgedrungen - skizzenhaft. Der Autor liest die alttestamentlichen Texte erklärtermaßen nicht historisch- kritisch, sondern "holistisch". Seine Exegese setzt sich in erster Linie mit formkritischen Forschungsbeiträgen auseinander. Außerdem zieht er Vergleichsmaterial aus mesopotamischer Gebetsliteratur heran. Die Auslegung von Ps 7 im Vergleich mit den genannten Texten wirft neues Licht auf diesen Psalm und bietet bedenkenswerte Anstöße. In diesen Kapiteln liegt eindeutig die Stärke dieses Buches.

Die Auswahl an alttestamentlichen Texten, die vertieft behandelt werden, ist recht begrenzt. Es handelt sich zudem um Passagen, die deutlich von Jerusalemer Tradition geprägt sind. Deshalb bleibt angesichts der schmalen Textbasis die Anfrage, wieweit sich die Thesen Sch.s im Blick auf das AT insgesamt tatsächlich verallgemeinern lassen. Es ist das Verdienst dieser Arbeit, dass sie die behandelten Texte in ihrer jeweiligen Besonderheit würdigt und überdies eine mögliche Befangenheit moderner Leser in einem von der Aufklärung geprägten Denken bewusst macht.