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Ausgabe:

September/2002

Spalte:

881–884

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Begg, Christopher

Titel/Untertitel:

Josephus' Story of the Later Monarchy (AJ 9,1-10,185).

Verlag:

Leuven: University Press; Leuven: Peeters 2000. X, 708 S. gr.8 = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 145. Kart. ¬ 75,00. ISBN 90-6186-966-8 u. 90-429-0785-1.

Rezensent:

Roland Deines

Das vorliegende Buch des bekannten Josephus-Forschers bildet die Fortsetzung eines Unternehmens, das mit seinem früheren Werk Josephus' Account of the Early Divided Monarchy (AJ 8,212-420)1 begonnen hat. Diese umfassend angelegten Studien dienen offenbar als Vorarbeit für seine angezeigte Bearbeitung der Bücher 5-10 der Antiquitates Judaicae innerhalb der monumentalen Josephus-Kommentierung, die seit 1999 von Steve Mason ediert wird und von der mittlerweile zwei Bände vorliegen (Brill, vgl. http://www.yorku.ca/smason/pages/Josephus.htm). Der größte Teil der insgesamt 24 thematische Kapitel umfassenden Arbeit erschien ab 1988 in Aufsätzen (vgl. die Bibliographie 649 f.), die für die vorliegende Publikation leicht überarbeitet wurden. Entstanden ist so eine auf minutiöser Beobachtung und genauem Textvergleich basierende, detaillierte Nachzeichnung der von Josephus in Ant 9,1-10,185 angewandten Quellenauswahl (das entspricht der von 1Kön 22,52- 2Kön 25,26 bzw. 2Chr 19,1-36,21 abgedeckten Epoche) sowie ihrer historischen und literarischen Bearbeitung.

Die einzelnen Kapitel orientieren sich inhaltlich weitgehend an den jeweils wirkenden biblischen Hauptgestalten (Könige und Propheten) und besitzen einen einheitlichen, dreiteiligen Aufbau. Zunächst 1. werden knapp die biblischen Quellen des betreffenden Abschnitts genannt und was davon in welcher Reihenfolge bei Josephus aufgenommen wird. Das ist da besonders interessant, wo in den biblischen Texten Parallelberichte vorliegen (Könige- und Chronikbücher in der Hauptsache, aber auch in den prophetischen Büchern, insbesondere Jes 36-39 und Jer 37-44; von den kleinen Propheten werden Jona und Nah in den fortlaufenden Bericht eingeschaltet, während Hos, Joel, Am, Ob, Hab, Zef u. Mal bei Josephus überhaupt nicht vorkommen [vgl. 312 f.; zu Micha s. 513]). Danach wird 2. der Stoff in der Reihenfolge, wie sie Josephus bietet, in kleinere Einheiten gegliedert (mit jeweils eigener Überschrift, die allerdings nicht ins Inhaltsverzeichnis aufgenommen wurde, wodurch eine schnelle Orientierung unmöglich wird) und analysiert. Den Abschluss bildet 3. jeweils eine Zusammenfassung der Beobachtungen unter dem Stichwort "Conclusions: Josephus's Rewriting of [hier dann die entsprechenden Bibelstellen]".

Auch diese "Conclusions" sind dreiteilig aufgebaut. B. erläutert zunächst im Falle der Parallelüberlieferungen die von Josephus vorgenommene Textauswahl und ihre möglichen Gründe, anschließend die Frage der Textform, der Josephus folgte. Dass diese Analyse abschnittsweise erfolgt, erweist sich als sehr hilfreich, denn so wird deutlich, dass Josephus alles andere als mechanisch arbeitete. Er folgte vielmehr - aus von B. vielfach plausibel gemachten Gründen - wechselweise der Chronik oder den Königebüchern (für die Spätzeit auch Jeremia) und kombinierte damit prophetische und außerbiblische Überlieferungen bzw. ganz eigenes Sondergut (das häufig rabbinische Parallelen besitzt, die von B. ebenfalls mit großer Sorgfalt verzeichnet sind). Ebenfalls zum ersten Teil gehört die Frage nach dem verwendeten Bibeltext (wobei unterschieden wird zwischen masoretischem Text, Qumran, LXX in ihren verschiedenen Rezensionen, Vetus Latina und den Targumim). Auch hier konnte B. zeigen (allerdings nicht zu jedem Abschnitt in gleicher Weise eindeutig), dass Josephus variierte und wahlweise dem masoretischen Text, der LXX oder einer anderen, teilweise targumisch erweiterten Textform folgte.

Den zweiten Teil der "Conclusions" bildet die Analyse der "rewriting techniques": Auslassungen, Ergänzungen, Änderungen der Perikopenfolge, Umstellungen etc. werden benannt und zu erklären versucht. Dabei entsteht ein profiliertes und spannendes Bild des Theologen, des Historikers, des Erzählers und des Apologeten Josephus.

Als Drittes wird schließlich die Frage gestellt, welche Aussageabsichten ("messages") Josephus mit seiner Darbietung des Stoffes für seine heidnische und jüdische Leserschaft (zur Grundannahme der "double audience" s. 3) verbindet. Auch hier erweist es sich von Vorteil, dass nach den intendierten Lesern am Ende jedes einzelnen Abschnitts gefragt wird und nicht nur pauschal, so dass die inhaltliche Variabilität der an sich bekannten Antworten (wonach die jüdischen Leser ermahnt werden, in Rom die von Gott gebrauchte Macht zu sehen, deren Überwindung und Ende allein in Gottes Hand steht aber gleichwohl zuverlässig durch die Propheten vorher- gesagt ist, während den heidnischen Lesern vor Augen gestellt wird, dass auch im Judentum - entgegen verbreiteter Meinung- die Ideale hochgehalten werden und ihre leuchtenden Vertreter haben, die für das römische Ethos entscheidend sind) erkennbar wird. Den vor allem bei Tacitus erkennbaren antijüdischen Vorurteilen (wonach Juden gegen alle Nichtjuden nur Verachtung übrig hätten: adversus omnes alios hostile odium) der römischen Gesellschaft wird durch die überlegte Darstellungsweise des Josephus die Basis zu entziehen versucht.

Gerahmt werden die 24 Abschnitte von einer knappen Einleitung (ausführlicher begründet B. seine Methodik in seinem oben genannten Buch zu Ant 8) und einer abschließenden Zusammenfassung, in der die Einzelbeobachtungen noch einmal in der Art der Kapitel-"Conclusion" gebündelt werden. Ein gutes Literaturverzeichnis (von dem in den Anmerkungen reichlich gebraucht gemacht wurde) und Register runden das Werk ab. Leider fehlt ein Register der behandelten griechischen Begriffe und Wendungen, was darum bedauerlich ist, weil in den oftmals exkursartigen Anmerkungen sich manche nützliche Wortstudie verbirgt. Zudem ist das Sachregister eher zu knapp, man findet aber das Gesuchte in der Regel über das Stellenregister.

Der Wert dieser Arbeit für die Josephus-Forschung dürfte unbestritten sein, weil sie gerade in den weniger beachteten biblischen Abschnitten der Antiquitates offen legt, wie der jüdische Historiker quellen- und redaktionskritisch arbeitete. Was B.s Methode von den Studien Feldmans (vgl. dazu die Rez. von M. Vogel, ThLZ 126, 2001, 37-40), die im Übrigen regelmäßig zum Vergleich herangezogen werden, unterscheidet, ist die vollständige Analyse von zusammenhängenden Textsegmenten, während Feldman in seinen "Portraits" stärker auswählt. So werden bei B. das redaktionelle Profil des Josephus und seine erzählerischen Gewichtungen präziser erfasst. Besonders reizvoll ist dabei die psychologisierende Interpretation, die Josephus erkennen lässt, wenn er seinen Protagonisten über den biblischen Wortlaut hinaus Motive und Gefühlsregungen zuschreibt, die ihr Handeln bestimmten. Gerade diese Herausarbeitung der wertenden Ergänzungen oder Modifikationen macht das Buch auch für die neutestamentliche Exegese zu einer erhellenden Lektüre. Nicht nur, weil anhand des Josephus ein Einblick möglich ist, wie ein gebildeter Jerusalemer im 1. Jh. seine Bibel las und interpretierte, sondern auch, weil hier redaktionelle Arbeit an vorliegenden Quellen im Detail studiert werden kann. So zeigt sich an zahlreichen Stellen, dass Josephus sachliche Widersprüche in seinen biblischen Vorlagen erkannte und sie zu erklären oder auszugleichen versuchte. Das, was ihm Unbehagen bereitete, ist aber vielfach dasselbe, was auch in der modernen Kritik als problematisch empfunden wurde. Sein historisches Bewusstsein und, darin enthalten, ein Gespür für das Mögliche und Vernünftige ist nicht völlig verschieden von modernen Fragestellungen. Historisch-kritische Distanz und Nüchternheit ist nicht erst eine Erfindung der Aufklärung, sondern lässt sich schon bei dem jüdischen Historiker des 1. Jh.s nachweisen. In dieser Hinsicht könnte Josephus als erster Autor einer Geschichte Israels (und dass er das ist und nicht ein bloßer Nacherzähler, wird durch B.s Arbeit ja gerade deutlich) auch für Alttestamentler eine hilfreiche Lektüre sein. Zudem erscheint es mir als lohnende Aufgabe, einmal die Redaktionstätigkeit der Synoptiker mit der des Josephus zu vergleichen, schreibt er seine Werke doch zur selben Zeit wie Matthäus und Lukas. Die stärkere Einbeziehung solcher Beobachtungen, wie B. sie vorgelegt hat, könnte vor allem dazu führen, zu einfache Deutungen zu widerlegen, etwa, dass ein Autor nur den hebräischen Text oder nur die LXX verwendet haben kann oder dass er bei redaktionellen Änderungen immer nach demselben Schema zu verfahren habe. B. jedenfalls hat gezeigt, dass zumindest Josephus seine Stoffe äußerst variabel seiner Leserschaft zu vermitteln wusste.

Die Arbeit mutet mit 635 Seiten Text den Lesenden einiges zu, aber sie belohnt dafür auch mit reichem Gewinn, indem das Bewusstsein für den Autor Josephus geschärft wird und es darüber hinaus reichlich Anlass gibt, die eigene textvergleichende Methodik zu überdenken.

Fussnoten:

1) BEThL 108, Leuven 1993. Vgl. dazu die Rez. von W. Wiefel in ThLZ 119 (1994), 312 f.