Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

848 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Wagner, Harald [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Einheit - aber wie? Zur Tragfähigkeit der ökumenischen Formel vom "differenzierten Konsens".

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2000. 139 S. 8 = Quaestiones Disputatae, 184. Kart. ¬ 16,50. ISBN 3-451-02184-6.

Rezensent:

Reinhard Brandt

Die (mit Ausnahme von H. Meyer) römisch-katholischen Autoren in diesem Sammelband möchten aus Anlass der Bestätigung der sog. "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" (GER) am 31.10.1999 Entstehung, theologisches Verständnis, Implikationen und Anwendbarkeit der Formel vom "differenzierten Konsens" aufzeigen (8) - einer Formel, die in der GER zwar explizit nicht genannt wird, mit der sich aber die Argumentationsstruktur der GER kennzeichnen lässt. Anliegen des Bandes ist, die Verwurzelung dieser Argumentationsstruktur in den katholisch akzeptierten Theorien von der "Einheit in Vielfalt" und der "Hierarchie der Wahrheiten" sowie in der von evangelischer Seite eingebrachten Vorstellung von "versöhnter Verschiedenheit" aufzuzeigen (8).

Was unter einem "differenzierten Konsens" verstanden werden soll, wird mit einer Bestimmung von Harding Meyer von 1995 erläutert: "Es handelt sich um einen in sich differenzierten Konsens, der im Blick auf die jeweils erörterte Lehrfrage stets zwei Konsensaussagen enthält:

- eine Aussage der Übereinstimmung in dem, was in dieser Lehrfrage als gemeinsam als das Grundlegende oder Wesentliche erachtet wird, und

- eine gemeinsame Aussage darüber, dass und warum die verbleibenden Verschiedenheiten in dieser Lehrfrage als zulässig und legitim gelten können und die Übereinstimmung im Grundlegenden oder Wesentlichen nicht in Frage stellen" (55 u. ö.).

Die Autoren und ihre Beiträge: Harald Wagner: Ekklesiologisch-theologische Strukturprinzipien als Grundlage des "differenzierten Konsenses"; Harding Meyer: Die Prägung einer Formel. Ursprung und Intention; Magnus Striet: Denkformgenese und -analyse in der Überlieferungsgeschichte des Glaubens. Theologisch-hermeneutische Überlegungen zum Begriff des differenzierten Konsenses; Hans Jörg Urban: Jenseits von Häresie und Schisma, oder: Differenziertes voneinander Lernen als Prinzip der Ökumene; Lothar Ullrich: Differenzierter Konsens und Komplementarität. Mögliche Wege zur Einheit in Verschiedenheit; Harald Wagner: Abschlußgedanken.

Durch die Beiträge wird u. a. die Einschätzung der Kritiker der GER bestätigt, nur die in ihr vorgelegten Erklärungen der Lehre seien von den Lehrverurteilungen nicht getroffen. Stört man dieses "labile Gleichgewicht" durch "steile, exklusive" Lehraussagen, dann "treffen auch die Lehrverurteilungen wieder." (107)- Wie sich jedoch die Darstellung der Lehre in der GER zum gesamten Lehrbestand in den jeweiligen Kirchen verhält (vgl. GER 5 und die Summenformel von Can. 33 des tridentinischen Rechtfertigungsdekrets), wird weder in der GER noch im Sammelband erörtert. Auch eine Erörterung, was sich daraus für die Geltung der GER in den Lehrordnungen der beteiligten Kirchen ergibt, fehlt.

Wiederholt wurde kritisiert, der differenzierte Konsens in der GER biete nur Formeln an, die einerseits die Lehrunterschiede überspielen und sich andererseits in den beiden Lehrtraditionen weiterhin unterschiedlich interpretieren lassen. Von anderen wird diese Interpretationsoffenheit bis hin zur Ermöglichung von Äquivokationen als neuer ökumenischer Ansatz gelobt. - Eine Auseinandersetzung mit diesen gegensätzlichen Reaktionen auf die Methode des differenzierten Konsenses fehlt auch dort, wo dieser entlang der einzelnen Abschnitte der GER erläutert wird (105 ff.117 ff.). Gegenüber der Kritik nur auf nichttheologische Faktoren zu verweisen (137), überzeugt nicht.

Gelegentlich wird auf die Leuenberger Konkordie Bezug genommen (40, 98) und der Eindruck erweckt, diese unterscheide sich von der GER nur im Themenbestand (104) und in der Geschichte der Abgrenzung der Partner (137). Ein Vergleich der Unterscheidung zwischen dem "gemeinsamen Verständnis des Evangeliums" und dem "Stand der Lehre" (in der LK) und der Methode des differenzierten Konsenses im Blick auf Lehraussagen (in der GER) bzw. eine Auseinandersetzung mit der These, dass dies zwei ganz verschiedene Ansätze des ökumenischen Gesprächs seien, fehlen.

Aufschlussreich ist demgegenüber, was als Voraussetzung für das Instrument des differenzierten Konsenses benannt wird, nämlich "der Wille zu Kircheneinheit als Grundvoraussetzung und Grundimpuls" (137). Dem korrespondiert, wie der Ausgleich zwischen den in der römisch-katholischen Kirche akzeptierten Theorien von Einheit und Vielfalt und dem evangelischen Modell von versöhnter Verschiedenheit gedacht wird: "Die Universalkirche und die lutherischen Kirchen stünden dann im Verhältnis von Universalkirche und Teilkirchen, ähnlich, wie sich heute das Verhältnis zwischen "Rom" und den katholischen Teilkirchen (= Diözesen, einschließlich der unierten Kirchenkreise) bestimmen lässt. Was hier für die Lehrkonvergenzen und Lehrkonsense behauptet wird, ist im Grunde nichts anderes als der "differenzierte Konsens", von dem dieses Buch handelt." (32) - Dass eine solche Bestimmung des differenzierten Konsenses mit dem römisch-katholischen Ökumenismus-Programm vereinbar ist, überrascht nicht, wird aber vielleicht nicht nur bei den Kritikern der GER auf Widerspruch stoßen.

Insgesamt ist das Buch nützlich, um sich über den Binnendiskurs unter verschiedenen Befürwortern der GER zu informieren (konstruktiv etwa bei M. Striet). Auf den Problembestand, der sich aus der breiten Debatte über die GER ergeben hat, geht der Band indes leider kaum ein.