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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

846–848

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schuegraf, Oliver

Titel/Untertitel:

Der einen Kirche Gestalt geben. Ekklesiologie in den Dokumenten der bilateralen Konsensökumene.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2001. 463 S. gr.8 = Jerusalemer Theologisches Forum, 3. Kart. ¬ 55,30. ISBN 3-402- 07502-4.

Rezensent:

Günther Gaßmann

Nachdem sich der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) in letzter Zeit von intensiver theologischer Arbeit im engeren Sinne, abgesehen von einigen Studien in "Glauben und Kirchenverfassung", weitgehend verabschiedet hat, geschieht solche Arbeit nun vor allem in den bilateralen theologischen Gesprächen zwischen den weltweiten christlichen Gemeinschaften und zwischen deren Mitgliedskirchen. In den vergangenen 35 Jahren hat die Zahl dieser Gespräche ständig zugenommen und mit ihnen die von ihnen erarbeiteten Berichte, die eine umfangreiche, kaum noch zu überschauende neue Gattung theologischer Literatur darstellen - einer Literatur, der es nicht primär um theologische Aufarbeitung, Klärung und neue Erkenntnis geht, sondern um einen Beitrag zur Verwirklichung engerer Gemeinschaft unter den getrennten Kirchen. Diese Intention der Gespräche und ihrer Berichte spiegelt sich auch in den behandelten Themen und den thematischen Schwerpunkten wider. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Ekklesiologie eine zentrale Stellung in den Dialogergebnissen einnimmt. Dieses - nicht nur ökumenisch - grundlegenden Themas hat sich Oliver Schuegraf in seiner Doktorarbeit für die Augustana-Hochschule in Neuendettelsau angenommen.

Das Buch hat drei Hauptteile. Der erste Teil, "Ekklesiologie in den Dokumenten der bilateralen Konsensökumene", ist einleitender Art. Er beschreibt die ökumenische Konsenstheorie als Ausdruck der Zielsetzung der bilateralen Gespräche (allerdings nicht aller Gespräche). Sodann identifiziert der Vf. die ekklesiologischen Einzelaspekte und die Methode seiner Untersuchung, stellt in kurzen Porträts die an den Dialogen beteiligten Kirchenfamilien vor und schließt mit einem Überblick über die multilaterale Ökumene seit Gründung des ÖRK (vor allem im Blick auf die Texte zur Einheit der Kirche). Gerade an diesem letzten Punkt wären einige Hinweise auf die unterschiedlichen Methoden und Zielsetzungen sowie die jeweiligen Vorzüge und Grenzen der bilateralen und multilateralen Gespräche hilfreich gewesen. Auch fehlt in diesem einleitenden Teil eine Behandlung der Aufgabe der Rezeption, die ja für die konkrete kirchengeschichtliche Umsetzung der Ergebnisse der (meisten) bilateralen Gespräche von entscheidender Bedeutung ist.

Der fast 300 Seiten umfassende Mittelteil, "Darstellung und Evaluation der Konsensdokumente", bietet eine nach den einzelnen Dialogpartnern (z. B. Anglikaner und Altkatholiken, Methodisten und römisch-katholische Kirche) geordnete Übersicht, Einordnung und Beurteilung von 28 Dialogen auf internationaler Ebene. Diesen Dialogen zugeordnet wird eine größere Zahl ihnen entsprechender Gespräche auf nationaler Ebene (z. B. anglikanisch-lutherisch in den USA) und im kontinentalen/regionalen Bereich (z. B. Anglikaner und Lutheraner in Nordeuropa-Porvoo, Leuenberger Kirchengemeinschaft, EKD und orthodoxe Kirchen). Der Vf. ordnet, um das komplizierte Geflecht der Dialoge etwas zu vereinfachen, die Leuenberger Konkordie und Nacharbeit dem lutherisch-reformierten Dialog, die von der EKD verantworteten Gespräche mit der Kirche von England (Meißen 1982) dem anglikanisch-lutherischen und die verschiedenen Gespräche zwischen EKD und orthodoxen Kirchen dem lutherisch-orthodoxen Dialog zu. Die zwei Gespräche der römisch-katholischen Kirche mit Vertretern evangelikaler und pentekostaler Gruppen und Bewegungen hätte man vielleicht in einer besonderen Gruppe aufführen können, da es sich hier nicht um offizielle Gespräche zwischen Kirchen handelt. Auf der reichen Palette der vorgestellten Dialoge fehlen lediglich der Dialog zwischen dem Lutherischen Weltbund und der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten (1994-1998) und der "Meißen" entsprechende Dialog (1994-1997) zwischen den anglikanischen Kirchen Großbritanniens und Irlands und den lutherischen und reformierten Kirchen Frankreichs.

Die einzelnen Dialoge werden in ihrer Geschichte, ihren verschiedenen Phasen und Ergebnissen und in ihrer Bedeutung vorgestellt. Ekklesiologisch relevante Berichte, Einsichten und Kontroverspunkte werden hervorgehoben. Angesichts der erdrückenden Fülle des Materials muss sich der Vf. mit kurzen Überblicken und ausgewählten Hinweisen begnügen, was gelegentlich zu nicht immer einsichtigen unterschiedlichen Gewichtungen führt. So wird das Leuenberger Dokument "Die Kirche Jesu Christi" (1994) auf sieben Seiten vorgestellt, während die ekklesiologisch (und kirchengeschichtlich) höchst relevante "Porvooer Gemeinsame Feststellung" (1993), die zur Kirchengemeinschaft der anglikanischen Kirchen Großbritanniens und Irlands mit den meisten lutherischen Kirchen Nordeuropas geführt hat, mit knapp anderthalb Seiten auskommen muss, ganz zu schweigen von dem ekklesiologisch wichtigen anglikanisch/römisch-katholischen Dokument "Kirche als Gemeinschaft", dem nur wenige Abschnitte (123 und 133 f.) gewidmet sind.

Der 65 Seiten umfassende dritte Teil, "Der einen Kirche Gestalt geben", erörtert noch einmal, nun in einer stärker systematischen Anordnung, ekklesiologisch wesentliche Aspekte aus den Dialogen. Zuerst wird das (fast) allen Dialogen gemeinsame Ziel, die Sichtbarmachung der in Christus bereits geschenkten Einheit, herausgestellt. Dem folgt die Beschreibung einer ähnlichen breiten Gemeinsamkeit im Blick auf den Grund der Kirche im dreieinigen Gott, die Bedeutung der biblischen Bilder für die Kirche, die umfassende ekklesiologische Bedeutung des Koinonia-Konzepts, wesentliche Übereinstimmungen in den vier notae ecclesiae, die Sendung/Mission der Kirche und ihre eschatologische Vollendung. Sodann wird ein den Dialogen gemeinsames "Wahrnehmungsdefizit" in der, von Ausnahmen abgesehen, unzureichenden oder gar missverständlichen ekklesiologischen Einbeziehung des Verhältnisses von Kirche und Israel beschrieben. Im nächsten Unterabschnitt weist der Vf., wiederum von den vier notae ecclesiae ausgehend, auf kontroverse Aspekte der Ekklesiologie hin, z. B. sündhafte - heilige Kirche, lokale - universale Kirche, Bischofsamt und Amtsstrukturen, die unterschiedlichen Vorstellungen im Blick auf die theologischen und strukturellen Voraussetzungen und Gestaltungen sichtbarer Einheit. Angesichts der hier bestehenden Differenzen sucht der Vf. in den Texten mögliche Annäherungen auf oder deutet selbst solche an. In einem letzten Unterabschnitt geht es um die Klärung von Voraussetzungen, Rahmenbedingungen, Regeln, Strukturen und Schritten für die Bemühungen um die Einheit der Kirche.

In der ansonsten ausführlichen Bibliographie vermisse ich die umfassende englische Dokumentation der bilateralen Berichte "Growth in Agreement, Bd. I 1984, und Bd. II 2000, sowie die vom Centro Pro Unione in Rom herausgegegebene fortlaufende (bis jetzt 16 "Supplements") "Bibliography of Interchurch and Interconfessional Theological Dialogues". Auf den Seiten 117-136 hat sich der irreführende Seitentitel "6. Altkatholiken und römisch-katholische Kirche" statt "6. Anglikaner und römisch-katholische Kirche" eingeschlichen.

Das große Verdienst dieses Buches besteht darin, dass in ihm erstmalig das breite und vielgestaltige Panorama aller bilateralen theologischen Gespräche und ihrer Ergebnisse vorgestellt, geordnet und mit den dazugehörigen zahllosen bibliographischen Angaben versehen wird. Dabei geht die Arbeit weit über das Thema der Ekklesiologie hinaus, indem auch die anderen Themen der Dialoge einbezogen und die vielfältigen methodologischen Probleme ökumenischer Dialoge angesprochen werden. Diese mit breiter ökumenischer Kenntnis und einem bemerkenswerten Gespür für Zusammenhänge, Wechselbeziehungen und Möglichkeiten der bilateralen Ökumene (ich finde den Begriff "Konsensökumene" zu eng und häufig nicht zutreffend) geschriebene Arbeit leidet allerdings unter der Fülle des ekklesiologisch relevanten Materials samt den einbezogenen anderen Themen, so dass die Behandlung der spezifisch ekklesiologischen Themen häufig nur in Überblicken mit Verweisen auf einzelne Dialogergebnisse geschehen kann. Für die hier notwendigen eingehenderen Untersuchungen hat diese Arbeit jedoch eine äuserst hilfreiche Grundlage gelegt.