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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

843–846

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Rainer, Michael J. [Red.]

Titel/Untertitel:

"Dominus Iesus". Anstößige Wahrheit oder anstößige Kirche? Dokumente, Hintergründe, Standpunkte und Folgerungen.

Verlag:

Münster-Hamburg: LIT 2001. IX, 349 S. gr.8 = Wissenschaftliche Paperbacks, 9. Kart. ¬ 19,90. ISBN 3-8258-5203-2.

Rezensent:

Michael Plathow

1. Die Reaktionen auf die Erklärung der röm.-katholischen Glaubenskongregation "Dominus Iesus" - Über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche" (D. I.) vom 5.8.2000 reichen von den Beurteilungen "Ende des Ökumeneoptimismus" (I. U. Dalferth), "Rückschlag für die Ökumene" (M. Kock), "unökumenisch" (H. M. Barth) über "restriktive Interpretation der Konzilstexte" (P. Neuner), "autoritäres Dokument" (H. Häring), weiter "manifester theologischer Irrtum" (EKD-Synode vom 9.11.2000) bis zu "Zeichen für die Stärke der Erneuerungsbewegung in der (röm.-kath.) Kirche" (F. Kerstins). Der vorliegende Dokumentenband will "einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte" leisten zum "Wahrheitsanspruch der Religionen, zur Dialogfähigkeit des Christentums und zur Ökumenebasis des Katholischen" (VI). "Gibt es eine römische Leitkultur?", fragt der Hg. M. J. Rainer im Vorwort.

2. Diese Dokumentensammlung enthält nach der röm.-kath. Erklärung "D. I." und den beiden Interviewtexten einmal zwischen Kardinal J. Ratzinger und Chr. Geyer in: FAZ 22.9.2000, S. 51 ff. und zum andern zwischen dem jetzigen Kardinal K. Lehmann und S. Höher und P. Siebenmorgen in: "Welt am Sonntag" 10.9.2000, S. 37 f. folgende thematisch geordnete Beiträge: I. zur Hermeneutik röm.-kath. Dokumente und ökumenischer Texte von P. Hünermann, E. Jüngel, B. J. Hilberath, S. Wiedenhofer; II. zum Thema "Das Katholische und die Religionen im Zeitalter des Pluralismus" von Cl. Thoma, J. Reikerstorfer, J. D'Arcy May, J. Werbick, H. Häring; III. "zum Verhältnis der katholischen Kirche zu den ökumenischen Kirchen" von O. Fuchs, P. Neuner, H. Hoping, I. U. Dalferth, J.-H. Tück, N. Klein; IV. sind Statements von Einzelnen zusammengetragen wie H. Küng, H. M. Barth, F. Kerstins, K. Raiser, Th. Schneider, Bischöfin M. Jepsen, Bischof W. Huber und das SWR2-Forum "Wer ist die wahre Kirche?" mit J. Hilberath und R. Leicht.

Der Anhang V. gibt als Kontextskizzen die Note der Glaubenskongregation über den Ausdruck "Schwesterkirchen" vom 30.6.2000 wieder, ferner einen "Rückblick auf den Prozeß evangelisch-katholischer Ökumene im 20. Jahrhundert" von L. Bendel-Maidl, B. Brenners Analyse von "Communio Sanctorum. Katholisch-lutherische Studie zu Kirche als Gemeinschaft der Heiligen" sowie die Reaktion der belgischen katholischen Theologen und des Vorstandes der deutschen Sektion der Europäischen Gesellschaft für katholische Theologie auf "D. I.".

Der Dokumentenband umfasst also verschiedene Genera öffentlicher Äußerungen und Stellungnahmen zu "D. I.", und zwar röm.-kath. und evangelischer Theologen verschiedener Disziplinen aus dem deutschen Sprachraum (außer: J. D'Arcy May, 112 ff.). Die Literaturübersicht vom 30.11.2000 durch M. Mühl/J.-H. Tück verweist als "ein erster bibliographischer Überblick" auf weitere Reaktionen und Kommentierungen aus dem italienischen und englischen Sprachraum sowie auf zusätzliche deutschsprachige Äußerungen.

3. Um das weite Spektrum der anhaltenden Diskussion über "D. J." anzudeuten, seien zusätzlich als exemplarische Antworten erwähnt: der zustimmende Beitrag von Erzbischof P. J. Cordes in: FAZ 7.4.2001, 46 und die kritische Entgegnung von Bischof i. R. G. Müller in: FAZ 19.4.2001, 54 ; die orthodoxe Sicht von Metropolit Damaskinos in seinem Briefwechsel mit Kardinal J. Ratzinger in: Communio 30, 2001, 282-296 und von D. Oancea in: KNA-Dok. Nr. 11 (25.9.2001), S. 1 ff.; die anglikanische Antwort von Erzbischof G. Carey in: Anglican Communion News Service 2219, Lambeth Palace, London 2000; die freikirchliche Stimme in: EBPS 084 (14.11.2000), S.4; die Kritik aus jüdischer Perspektive von M. Brumlik in: zur Debatte 1/2001, 17 f.; die synodalen Stellungnahmen der EKD vom 9.11.2000; der Westfälischen Landessynode vom 13.- 16.11.2000 und der evang.-methodistischen Kirche in: EmK-Amtsblatt 31.12.2000, S. 33; des ÖRK-Ungarn vom 14.9.2000 in: Reformpress 7 (2000), Nr. 8-9, S. 4 f. und die Sammlungen in: epd-Dok. Nr. 40/00 und 43/00.

4. Inhaltlich konzentriert sich die hier dokumentierte Debatte - abgesehen von der Kritik an der sprachlichen und stilistischen Form dieser lehramtlichen Erklärung - auf folgende Themenbereiche:

a) die fundamentaltheologische Frage nach dem Wahrheitsanspruch der Religionen und nach der Beziehung des christlichen Glaubens zum Judentum (P. Hünermann, 55; J. D'Arcy May, 120) - die Letztere fasst "D. I." überhaupt nicht in den Blick - sowie nach dem Dialog mit den anderen Religionen (B. J. Hilberath, 82 f.; J. Reikerstorfer, 105 f.; J. D'Arcy May, 112 ff.). Die Frage nach der "Pluralitätsverträglichkeit" der christlichen Wahrheit bei einem kritischen Wahrheitsbewusstsein (J. Reikerstorfer, 103; H. Häring, 155) und nach der Dialogfähigkeit der christlichen Kirchen wird angeschnitten; kritisch wird die in quantitativen Kategorien denkende "Vollständigkeits-Logik" befragt (J. Werbick, 140) und eine ökumenische Hermeneutik, die sich aus der gleichstufigen Existenz-Achtung des Anderen und dem eigenen Melioritätsanspruch gerade angesichts der Diskrepanz von Vollständigkeitsanspruch und defizitärer Praxis zu definieren versucht (O. Fuchs, 181 f.194).

b) die hermeneutische Frage nach der Interpretation des II.Vatikanums. Ist es wirklich so, dass "D. I." nichts Neues sagt, denn "alles in "D. I." wurde schon früher gesagt" (I. U. Dalferth, 222) oder handelt es sich um eine "restriktive Interpretation" der Texte des II. Vatikanums (P. Neuner, 211)?

Am Glaubensverständnis (das 9-malige "es ist fest zu glauben" als Zustimmung zu bestimmten Glaubenssätzen und kirchenrechtlichen Festlegungen) wird die restriktive Interpretation aufgezeigt (H. Häring, 149); vor allem aber am Verständnis des "subsistit in". Entgegen der impliziten Öffnung in "Lumen gentium" 8 erfährt das "subsistit in" in "D. I." eine vorvatikanische Identifizierung der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche nur mit dem röm.-katholischen Kirchentum; die Abqualifizierung der anderen Kirchen ist logische Folge (B. J. Hilberath, 81; J. Werbick, 139; Th. Schneider, 277; P. Neuner, 202 ff.; N. Klein, 248 f.). P. Neuner weist zudem für das Verständnis der reformatorischen Kirchen als "Kirchen und kirchliche Gemeinschaften" nach, dass das Konzil bewusst offen gelassen hat, "welche als "Kirchen" und welche als "kirchliche Gemeinschaften" zu werten seien" (207). "Wenn das Dokument "D. I." behauptet, die Kirchen der Reformation seien "nicht Kirchen im eigentlichen Sinn", ist das vom II. Vatikanum her nicht gedeckt" (209).

E. Jüngel interpretiert im Sinn der trinitarischen Begründung von Kirche in der evangelischen, röm.-katholischen und orthodoxen Theologie der Gegenwart das "subsistit in" als Gemeinschaft gegenseitigen Andersseins, die analog auch für die Verwirklichung der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche in den sichtbaren, verfassten Kirchentümern zu begreifen ist (60.76).

c) die mit b) zusammenhängende Frage nach einer "pluralistischen Ekklesiologie" (J.-H. Tück, 234), nach den Kennzeichen der Kirche, die ja "D. I." im "gültigen Episkopat" und in der "vollständigen Wirklichkeit der Eucharistie" erkennt (H. Hoping, 218), nach dem Verhältnis von Orts-/Universalkirche einerseits und Teil-/Gesamtkirche andererseits und nach der "Einheit in versöhnter Verschiedenheit" (J.-H. Tück, 244).

H. Küng charakterisiert die Erklärung der Glaubenskongregation vom 5.9.2000 als "Tor in die Vergangenheit" (255). Für evangelische Leser stellt die Aussage in "D. I.", Nr. 16 : "Jesus Christus setzt seine Gegenwart und sein Heilswerk in der Kirche und durch die Kirche fort", eben die röm.-katholische Kirche als Empfängerin und Vermittlerin des Heils, eine Herausforderung dar, die kritische Frage nach der Unterscheidung von Handeln Gottes und menschlichem Tun zu stellen (opus Dei - opus hominum). Damit aber sind die Protestanten durch "D.I."- sozusagen als heilsame Nebenwirkung - nach dem eigenen Selbstverständnis evangelischen Kircheseins gefragt. "Wo Jesus Christus ist, da ist auch die katholische Kirche", und zwar in evangelischer Katholizität, stellt E. Jüngel konfessorisch fest in: "Die Katholizität evangelischer Theologie", in: KNA-Dok. Nr.5 (3.7. 2001), S. 6.

Das ökumenische Gespräch auf "versöhnte Verschiedenheit" hin weiterführend, erweist sich für D. Ritschl das Kirchesein einer Gemeinschaft darin, dass folgende Kennzeichen in ihr erfahren und gelebt werden: a) Anbetung des dreieinen, barmherzigen Gottes, b) Weitererzählen der Story von Abraham bis zu Jesu Kreuz, Auferstehung und Kommen in Herrlichkeit, c) persönliches Eintreten für diese Story, d) Eintreten für andere, auch für Nichtgläubige, e) Freiheit, sich im ethischen Verhalten immer als Glied seiner Kirche zu sehen (D. Ritschl: Konsens ist nicht das höchste Ziel. Gründe für eine Hermeneutik des Vertrauens in den Christus praesens, in: Konrad Raiser/Dorothea Sattler [Hg.]: Ökumene vor neuen Zeiten, Freiburg 2000, [531-547] 545).

Somit hat "D. I." eine kritische und konstruktive Diskussion ausgelöst, zu deren Versachlichung diese Dokumentensammlung beiträgt.