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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

839–841

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Barth, Hans-Martin

Titel/Untertitel:

Begegnung wagen - Gemeinschaft suchen.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. 420 S. gr.8 = Bensheimer Hefte, 94. ¬ 20,90. ISBN 3-525-87184-8.

Rezensent:

Fernando Enns

Evangelisch und Ökumenisch - so lässt sich, entsprechend des Leitspruches des Evangelischen Bundes, dessen Präsident der Vf. seit 1997 ist, diese Sammlung von Aufsätzen, Reden und Meditationen charakterisieren. Evangelisch, weil der eigene konfessionelle Standpunkt stets erkennbar bleibt - mal explizit, mal implizit. Freilich heißt evangelisch in diesem Fall genauer lutherisch, ohne jedoch den Blick auf reformierte Auslegungstraditionen zu vernachlässigen. Ökumenisch, weil die Vergewisserung des Eigenen stets in der Begegnung mit dem Anderen gesucht und geschärft wird. Dies geschieht nicht als Selbstzweck, sondern in dem Bemühen, das Fremde jeweils auch als solches wahrzunehmen, zu verstehen und Gemeinschaft, so dies über den Weg des genaueren Kennenlernens möglich werden sollte, zu (ver-)suchen.

Immerhin 25 Beiträge zu unterschiedlichsten Themen aus der Ökumene, inklusive der nichtchristlichen Religionen, präsentieren sich dem Leser in breit gewählten inhaltlichen Sinnabschnitten hier nicht erstmalig, aber in gesammelter Form. Beeindruckend ist die Vielfalt in Sprache, Stil und Fragerichtung. Das kann wohl nicht anders sein, wenn von einem Ökumeniker über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren Diskussionsbeiträge in einem Band zusammengestellt werden, der sich Inhalten der Theologie, Fragen der Kirche und dem möglichen Zusammenleben von Religionen in immer wieder veränderten Kontexten und vor je anderen Gesprächspartnern gestellt hat. Dass dies dennoch nur ein Bruchteil des Wirkens des Vf.s wiedergibt, beweist ein Blick auf das angehängte Verzeichnis der Veröffentlichungen auf immerhin 21 Seiten.

E. Lippolt bietet in seinem Geleitwort (zum 60. Geburtstag des Vf.s) drei hilfreiche Zugänge und zutreffende Beschreibungen an: Zunächst die Wahrnehmung anderer christlicher Konfessionen und Religionen "... ohne Berührungsangst, ohne prinzipielle Abwehrhaltung, ja, mit der Erwartung, dass die evangelische Kirche nicht alles übernehmen, aber doch manches dazulernen könne. Dazulernen, nicht um das Eigene zu verachten oder zu vergessen, sondern um es zu vertiefen und zu bereichern" (5). Hier geht der Vf. klassischen Fragen der Ökumenischen Theologie nach, wie dem Amt ("... wir sind es einander schuldig, dass wir unserem Partner sagen, an welchen Punkten wir sein Tun oder Denken nicht anerkennen können."), dem Verhältnis von Wort und Bild in Orthodoxie und Luthertum ("Wie lässt sich die Option der lutherischen Reformation für die Priorität des Wortes und zuungunsten des Bildes theologisch begründen?") und der Pneumatologie (in zehn Thesen werden die Unterschiede zwischen reformatorischer und ostkirchlich-orthodoxer Tradition skizziert). Da der Vf. sich nicht damit begnügt, die konfessionsspezifischen Aussagen einfach gegenüberzustellen, sondern in ihren jeweiligen Begründungszusammenhängen zu verstehen sucht, führt er an die Kernfragen der Ökumene heran, z.B. an das Verhältnis von Dogmenbildung und Schrift. Der Vf. eröffnet uns dabei auch einen Blick in das eigene Marburger Laboratorium, an dem er, Ordinarius für Systematische Theologie und Religionsphilosophie am Fachbereich Evangelische Theologie der Phillips-Universität Marburg, den Vorarbeiten anderer folgend, die Forschungsstelle Ökumenische Theologie einrichten konnte. Diese ist scheinbar zu einer Drehscheibe der unterschiedlichsten Beziehungen und des Austausches zur römisch-katholischen und orthodoxen Welt geworden und bietet eine entsprechende Empfehlung für andere Universitäten.

In der Koexistenz mit den nichtchristlichen Religionen steht die Frage nach dem bleibenden christlichen Missionsauftrag und der missionarischen Verantwortung im Kontext des interreligiösen Dialogs voran. Über die Darstellung unterschiedlicher Verhältnisbestimmungen von Mission und Dialog und alternativen Bemühungen (vgl. Hick, Küng, u. a.) gelangt der Vf. schließlich zu einer "trinitarischen Struktur", dem deutlichen Bemühen folgend, theologische Engführungen in der eigenen konfessionellen Tradition aufzubrechen (im Sinne der entsprechenden VELKD-Studie von 1991). Es ist nicht so sehr die Originalität, die hier besticht, sondern die Klarheit in Sprache und Gliederung, sowie die Ernsthaftigkeit, mit der auch nach Konkretionen des theoretisch Erfassten gefragt wird. Zwei Beiträge zum besonderen Verhältnis zwischen Christentum/ Bibel und Islam/Koran gewinnen im Lichte jüngster Ereignisse höchste Aktualität, wenn hier nach einem "geistlichen Erkenntnisgewinn durch gegenseitige Wahrnehmung" gesucht wird. Dies ist nicht ohne eine reflektierte Hermeneutik des Fremden zu haben. Das Beispiel dieser Beiträge beweist, wie lohnend der gelegentliche Blick zurück in das bereits Gedachte und Erarbeitete in der ökumenischen Bewegung sein kann. So wird dieser Band zu einem guten Teil auch dazu beitragen, das "ökumenische Gedächtnis" aufzufrischen.

Als zweiter Zugang, dem zweiten Großkapitel des Sammelbandes folgend, bietet Lippolt das Stichwort "Gelebter Glaube" an. Mindestens ebenso stark, wie den Vf. gedankliche Systembildungen anderer interessieren, so gewiss auch die gelebte Spiritualität, die den Alltag durchdringt und Gestaltungspotenziale freilegt. Sehr schnell steht dann die Wahrheitsfrage zur Debatte und mit ihr die Suche nach entsprechenden Methoden und Modellen in der Ökumene: Einheit und Vielfalt, Konsens und Bekenntnisse, versöhnte Verschiedenheit, Konvergenz und Interdependenz. Wiederum wird jeweils anhand konkreterer Fragestellung die dahinterliegende größere Herausforderung erkannt, sei es in Form einer Meditation eines Adventsliedes oder der Entdeckung des Herzensgebetes der Ostkirche. - Der dritte Teil lässt sich in seiner Vielfältigkeit hinsichtlich der Themen nur etwas künstlich unter der Überschrift "Begegnung und Gemeinschaft leben" zusammenfassen. Die Berücksichtigung der Lebendigkeit von Religion in unterschiedlichen Frömmigkeitsstilen oder in der Mystik zeigt unter anderem, welchen Ort der Vf. der Theologie gegenüber der Kirche zumisst: Diese brauchen einander, um sich gegenseitig zur Klarheit zu verhelfen. Größtmögliche theologische Kompetenz ist anzustreben. Dies wird anhand der letzten beiden Beiträge zur Rechtfertigungslehre besonders deutlich, sicherlich nicht zuletzt auf Grund der Diskussionen um die "Gemeinsame Erklärung" hier ausgewählt.

Das vom Vf. selbst gemalte Titelbild "tris hagion" illustriert in seiner Kreativität, dem ernsten Interesse am Anderen sowie der Sensibilität für den gelebten Glauben - farbenfroh und mit dem Mut zu groben Pinselstrichen - eine Handschrift, die auch die Beiträge dieses Sammelbandes auszeichnen.