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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

834–836

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Klostermann, Götz

Titel/Untertitel:

Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen- Rechtsgrundlagen im kirchlichen und staatlichen Recht. Eine Untersuchung zum öffentlichen Wirken der evangelischen Kirchen in der Bundesrepblik Deutschland.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. XX, 302 S. gr.8 = Jus Ecclesiasticum, 64. Geb. ¬ 49,00. ISBN 3-16-147279-9.

Rezensent:

Karl-Hermann Kästner

Die vorliegende Schrift widmet sich einer Problematik, die gleichermaßen in Grundfragen des Staatskirchenrechts, der Ekklesiologie und des Kirchenrechts hineinführt. Sie wird dieser komplexen Aufgabe im Ergebnis gut gerecht.

Aus rechtlicher Sicht - und aus dieser ist das vorliegende Buch geschrieben - erscheint die Thematik, der sich der Vf. widmet, nachhaltig geprägt durch die Spannung zwischen der Frage nach dem kirchlichen Öffentlichkeitsauftrag (welche auf das innerkirchliche Selbstverständnis Bezug nimmt) einerseits und der kirchlichen Erwartungshaltung (ihrem "Öffentlichkeitsanspruch") andererseits, dass der selbst empfundene Öffentlichkeitsauftrag auch im Rahmen der staatlichen Rechtsordnung adäquat realisiert werden kann. Inwieweit dies gelingt, hängt von den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen einerseits und der kirchenpolitischen Situation andererseits ab. Zu Recht verweist der Vf. auf "die Parallelen zwischen der Gewährleistung des öffentlichen Wirkens der Kirchen und ihrer rechtlichen Normierung einerseits und der gesamten Situation des Staatskirchenrechts andererseits" (3).

Die einschlägigen Probleme staatlichen Rechts werden solide abgehandelt. Allerdings wäre aus meiner Sicht die staatliche Rechtshoheit etwas stärker zu betonen, als dies im vorliegenden Buch geschieht. So ist - um ein Beispiel zu nennen - die Aussage auf S. 39 ("in allen Bereichen, in denen Staat und Kirche zusammenarbeiten, kann dies nur im Wege der Verständigung, nicht aber durch ein vom Staat bestimmtes oder zu kontrollierendes Vorgehen erfolgen") nur dann tragbar, wenn deutlicher, als dies in der vorliegenden Schrift geschieht, differenziert wird zwischen einer Staatsaufsicht über die Kirchen einerseits (die nach gegenwärtiger Verfassungslage ausgeschlossen ist) und staatlicher Ingerenz durch gesetzliche Schranken kirchlicher Entfaltung andererseits (die Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV ausdrücklich vorbehalten bleibt).

Was den Anwendungsbereich des Grundrechts auf Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) angeht, orientiert sich der Vf. an dem - sehr weiten - herrschenden Verständnis. Im Ergebnis geht er davon aus, dass dem Grundrecht kein Anspruch der Kirchen auf besondere öffentliche Wirkung entnommen werden kann. Dem ist zuzustimmen. Doch erscheint diese Partie des Buches und auch die zum religiösen Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV) recht knapp gefasst und ziemlich ergebnisbezogen formuliert. Hier wäre eine etwas weiter ausholende dogmatische Betrachtung wünschenswert gewesen, da es sich, vom staatlichen Recht her gesehen, um Kardinalfragen der Thematik handelt. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Vorstellung eines Öffentlichkeitsauftrags keineswegs Gemeingut der Kirchen und Religionsgemeinschaften in Deutschland ist. Vielmehr bestehen im diesbezüglichen Verständnis deutliche Differenzen, teils sogar innerhalb der Konfessionen selbst. Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass die staatliche Rechtsordnung einschlägigen Vorstellungen freiheitlich Raum gewährt, aber es legt eine eingehende Prüfung der Frage nahe, ob und gegebenenfalls welche verfassungsdogmatischen Konsequenzen aus der Tatsache hergeleitet werden können bzw. müssen, dass der religiöse Öffentlichkeitsauftrag faktisch als durchaus partielles Phänomen des religiösen Spektrums in Deutschland auftritt. Insofern ist das vorliegende Buch zu einer prinzipiellen Thematik in staatskirchenrechtlicher Hinsicht doch sehr akzentuiert aus der evangelischen Perspektive verfasst (was allerdings bereits im Titel des Buches angekündigt wird).

Eine Qualifizierung der Kirchen als gesellschaftliche Verbände wird vom Vf. grundsätzlicher Kritik unterzogen (92 ff.). Auch hier ergeben sich offene Fragen. Denn aus dem prinzipiellen verfassungsrechtlichen Verbot einer Identifizierung von Staat und Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften (Art. 140 in Verbindung mit Art. 137 Abs. 1 WRV) folgt, dass die Kirchen ebenso wie die sonstigen Religionsgemeinschaften zwingend dem gesellschaftlichen Bereich zuzuordnen sind und dort als religiöse Institutionen neben anderen - nicht-religiösen - Verbänden wirken, allerdings versehen mit spezifischen (aber tatbestandlich umgrenzten) verfassungsrechtlichen Garantien.

Diese religionsrechtliche Absicherung gibt allen davon profitierenden Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zwar (zu Recht) einen besonderen Freiraum, soweit die einschlägigen Normen tragen, aber keine spezielle Qualität, welche sie schlechterdings aus dem Kreis der sonstigen gesellschaftlichen Verbände heraushebt und es dem Grunde nach verbietet, sie als (religiöse bzw. weltanschauliche und insofern verfassungsrechtlich besonders qualifizierte) "Verbände" einzustufen. Die Argumentation des Vf.s , die sich im Wesentlichen auf die im Grundgesetz enthaltenen religiösen Freiheitsrechte stützt und eben daraus einen prinzipiell durchgängigen (religionsbezogenen) verfassungsrechtlichen Status ableitet, schließt - von seinem extensiven Verständnis des Grundrechts auf Religionsfreiheit her freilich konsequent - von der grundrechtlichen Ebene direkt auf den allgemeinen Status der Kirchen als solchen und umgekehrt; das droht in einen verfassungsrechtlichen Zirkelschluss zu münden.

Als gut gelungen und für den theologisch nicht speziell vorgebildeten Leser informativ und weiterführend stellt sich der zweite Hauptteil des Buches dar, der sich differenziert mit den einschlägigen theologischen und kirchenrechtlichen Aspekten befasst. Auf diesem außerordentlich vielschichtigen und seit Jahrzenten umstrittenen Feld hat der Vf. eine ausgewogene Analyse vorgelegt, die die einschlägigen theologischen Ansätze informativ aufarbeitet und insbesondere auch den heterogenen kirchlichen Normbestand hilfreich strukturiert. Eine weitere Vertiefung, insbesondere in theologischer Hinsicht, wäre von einer im Ansatz juristisch angelegten Arbeit zumutbarerweise nicht zu erwarten.

Insgesamt ist es dem Vf. gelungen, bei der Bearbeitung der komplexen Thematik ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der historischen, der juristisch-dogmatischen und der theologischen Perspektive zu wahren und überdies für eine gute Lesbarkeit der Darstellung zu sorgen. Als Ergebnis liegt ein sehr erfreuliches Buch vor, das der Diskussion um den Öffentlichkeitsauftrag weiterführende Impulse vermittelt.