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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

829–831

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Titel/Untertitel:

Lexikon der Religionspädgogik. Hrsg. von N. Mette u. F. Rickers. Bde. 1 u. 2.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2001. XVI, 2336 Sp. 4. Geb. ¬ 129,00. ISBN 3-7887-1745-9.

Rezensent:

Günter R. Schmidt

Das LexRP ist gegenwärtig das umfangreichste religionspädagogische Nachschlagewerk. Mit seinen von 397 Autoren verfassten 777 Artikeln behandelt es eine reiche Vielfalt von Themen:

Disziplinen und Fachrichtungen (Psychoanalyse, Erziehungswissenschaft, Religionspädagogik, Katechetik), Länder und Regionen (bis hin zu Liechtenstein und den Färöer-Inseln), (religions)pädagogische Epochen und Strömungen (Aufklärung, liberale Religionspädagogik, Arbeitsschule), Autoren, auch weniger bekannte (A. Rademacher, E. Heyn), kirchliche Dokumente (Catechesi Tradendae), Institutionen (Bureau International Catholique de l'Enfance), Rechtliches (Trennung von Staat und Kirche, Reichskonkordat), Adressatenvoraussetzungen (Behinderung, Altenarbeit, Arbeiterbildung), Liturgie (Konfirmation, Kindergottesdienst), religiöse Erziehung in anderen Religionen und Weltanschauungen (Bar Mitzwah, Jugendweihe), Schule (Disziplin), religionsdidaktische Konzeptionen (Interreligiöser RU, Problemorientierter RU), Auslegung und Inhalt der Bibel (Bibelarbeit, Exodus), Dogmatik (Bekenntnis, Gott, Ostern, Symbol), Ethik (Gewalt, Gerechtigkeit), Didaktik und Methodik (Bilddidaktik, Elementarisierung, Erzählen).

Als "leitende Gesichtspunkte" geben die beiden Herausgeber N. Mette (kath.) und F. Rickers (ev.) u. a. "ökumenische Orientierung" und "interreligiöse Verständigung" an. Die "Bedeutung anderer Religionen für die Religionspädagogik" werde in den nächsten Jahren noch zunehmen. Als "Lerndimensionen" sollten "die feministische Theologie" und "die politische Bildung" wichtig genommen werden. Dieses Ziel sei allerdings "erst in Ansätzen" erreicht. Sie wollten eine religionsdidaktische Enzyklopädie schaffen, welche den Bedürfnissen von Theoretikern und Praktikern gleichermaßen entgegenkommt. Religionspädagogik verstehen sie als eine "Verbundwissenschaft", welche Erkenntnisse vieler Disziplinen auf ihre eigene Fragestellung hin integriert. Stichwörter anderer Disziplinen sollten "aus der Sicht der Religionsdidaktik und nicht wie in anderen Lexika rein fachlich präsentiert werden".

Entsprechend der Vielzahl der Mitarbeiter und ihrer divergierenden theologischen und religionspädagogischen Orientierungen sind die einzelnen Beiträge unterschiedlicher Tendenz. Nur teilweise konvergieren sie auf die religionspädagogische Hauptaufgabe zu, das Verstehen des christlichen Glaubens und damit seinen Vollzug zu fördern. Nicht wenige bleiben im allgemein-religiösen und -pädagogischen Bereich stehen. Besonders die Auswahl und Anlage dogmatisch relevanter Artikel scheint großenteils einseitig einer modernistischen Theologie verpflichtet. Ein Artikel Jungfrauengeburt fehlt, unter Maria, Marienverehrung wird die katholische Lehre nur kritisch gestreift und Maria hauptsächlich als "Kristallisationspunkt zwischen den gesellschaftlichen u. a. kirchlich-theologischen Herausforderungen der Gegenwart" (1292) gesehen. Auferstehung hat keinen eigenen Artikel, unter Kreuz und Auferstehung wird einerseits konzediert, dass "die Heilstat Gottes in K. u. A." das Zentrum von Glaube und Theologie ausmache, andererseits erklärt, die Jugendlichen brächten dafür kaum Interesse mit und der didaktische Schritt vom Kreuz über die Auferstehung zur Christologie sei deshalb gegenwärtig nicht "vordringlich" (1117). Immerhin wird diese Meinung durch den Artikel Ostern kompensiert, der das Thema K. A. "in ein spiralförmig zu behandelndes Kerncurriculum" aufnimmt. Himmelfahrt und Gericht haben kein eigenes Stichwort. Der Artikel Jesus von Nazareth nennt zwar als wichtige "Frage, wie aus dem Verkündiger des Reiches Gottes der verkündigte Christus werden konnte", gibt aber keinen didaktischen Hinweis, wie dieser Weg den Lernenden geebnet werden kann. Auch unter Christus findet man einen solchen Hinweis nicht. Dieser Artikel macht zwar verständlich, wie unterschiedliche historische Situationen zu unterschiedlichen christologischen Begrifflichkeiten führen, zeigt jedoch keine Aneignungsmöglichkeiten für gegenwärtige Lehrer und Schüler auf. Christologisch defizitär ist auch der Artikel Sünde, Erbsünde, Sündenvergebung. Unter Rechtfertigung wird zwar auf Anknüpfungsmöglichkeiten in den jugendlichen Erfahrungen hingewiesen, doch bleibt das extra me/propter Christum verschwommen und es wird kaum ein Zusammenhang zur Heiligung hergestellt. Für Kirche zeichnen ein evangelischer und ein katholischer Autor gemeinsam. Der Tendenz nach ist der Artikel einseitig protestantisch. Es wird zwar erwähnt, dass in der Amtsfrage "das entscheidende ökumenische Konfliktpotential" liege, jedoch nicht mitgeteilt, worin genau die Divergenz besteht. Trinität(slehre) fehlt als Stichwort. Im Artikel Gott ist sie nur impliziert. An dem gegenwärtig in der RP verbreiteten Trend, vor der Aufgabe, die verstehende Aneignung der zentralen christlichen Glaubensinhalte zu fördern, in Historie und Ethik zu flüchten, hat auch das LexRP teil. Ein Artikel Dogmatik fehlt, es findet sich jedoch Ethik, Ethisches Lernen. Dieser ist jedoch eher allgemein gehalten als christlich-theologisch. Ein eigener Artikel wäre angesichts gegenwärtiger Diskussionen für Wert. Wertwandel zu fordern. Unter Werteerziehung wird auf Ethische Erziehung verwiesen, doch fehlt auch ein solcher Artikel. In den Artikeln zur RP und ihrem Verhältnis zu den Nachbardisziplinen wird für ein weites Verständnis des Gegenstandes plädiert. Nicht wenige Autoren neigen dazu, das Zurücktreten biblischer Inhalte und Orientierungen in den letzten vier Jahrzehnten eher als unvermeidliche Folge gesellschaftlicher Entwicklungen denn als Versagen religionspädagogischer Theorie und Praxis zu bewerten. Weithin lässt man die RP aus dem Rahmen einer Theologie heraustreten, die sich als Selbstbesinnung christlichen Glaubens auf seine Inhalte und Aufgaben versteht. Was den schulischen Religionsunterricht (RU) anlangt, sind sich Fachdidaktiker beider Konfessionen angeblich "darin einig, daß ein RU in die Bildungsarbeit der Schule nicht mehr integrierbar ist, der sich aus dogm. oder bibl. Prämissen ableitet" (1788). Ist das eine Erkenntnis oder ein Programm? Den vorfindlichen Schülerinteressen gibt man verschiedentlich ein normatives Übergewicht, als ginge es in der Schule nur darum, Schülern ihren mitgebrachten Interessenhorizont bewusst zu machen und nicht primär darum, ihn zu erweitern. Hat RP Entchristlichung nur zu konstatieren oder hat sie dagegen anzugehen?

Erfreulich ist, dass nicht-christliche Religionen in einem gewissen Maße berücksichtigt und entsprechende Artikel wenigstens teilweise von Anhängern dieser Religionen verfasst sind. Weniger erfreulich ist dagegen, dass in manchen von Christen verfassten Artikeln um des interreligiösen Anliegens willen zu wenig christliches Profil gezeigt wird. Offensichtlich fordert eine gegenwärtig verbreitete "theological correctness" die Zurechtstutzung des Christentums nach Dialogkriterien. Um "negative Auswirkungen" zu vermeiden, soll das Solus Christus "konsequent existenzial gehandhabt" (1237), d. h. im Klartext, nach außen nicht vertreten werden. Es wird eine Theologie gefordert, "die die Heilswege von Synagoge u. Moschee als gleichberechtigt u. gleichwertig anerkennt" (1243). Damit wird nicht weniger als die Abschaffung des Christentums gefordert!

Obwohl ein Artikel Interreligiöses Lernen vorkommt, wird der Leser unter Lernen nicht über Begriff und Struktur von Lernen aufgeklärt, sondern ebenfalls mit interreligiösen Postulaten konfrontiert. Ein Artikel Lernpsychologie fehlt. Auch unter Sozialisation erfährt der Leser nichts über ihre Wirkweise. Zudem wird der Begriff nicht hinreichend von dem der Erziehung unterschieden. Verwunderlich ist auch das Fehlen des Stichworts Denken oder Denkpsychologie, setzen doch eine solide Unterrichtsplanung und -durchführung Einsicht in die Struktur von Denk- und Lernprozessen voraus. Die Stichwörter Unterrichtsplanung und Lernmotivation vermisst man ebenso wie solche zu einzelnen Methoden wie Gespräch, Diskussion oder Hausaufgabe.

Trotz der theologischen Einseitigkeit nicht weniger Hauptartikel und mancher offener Desiderate wird das LexRP für viele Jahre zum unentbehrlichen Handwerkszeug pädagogischer, religionspädagogischer und pastoraltheologischer Theoretiker und Praktiker gehören.