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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

813–816

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Werbick, Jürgen

Titel/Untertitel:

Den Glauben verantworten. Eine Fundamentaltheologie.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2000. XVI, 888 S. gr.8. Geb. ¬ 45,00. ISBN 3-451-26259-2.

Rezensent:

Walter Dietz

Das Buch des Münsteraner Theologen Jürgen Werbick stellt Fundamentaltheologie im umfassenden, katholischen Sinn dar; aber es bietet seinem Inhalt nach Vieles, was sich auch im evangelischen Bereich mit Lust und Gewinn lesen lässt. Fundamentaltheologie wird evangelischerseits ja enger begriffen (vgl. Joest 1974) oder in einem vagen Übergang zur Dogmatik (vgl. Sauter Zugänge 1998). W. konzipiert sein Buch als ein echtes Kompendium der Fundamentaltheologie, das sich als Replik auf Nietzsche lesen lässt und vieles im kritischen Dialog mit ihm zur Sprache bringt.

Er beschreibt vier Streitfälle, von denen die ersten beiden auch unter das evangelische Verständnis von Fundamentaltheologie fallen: 1. "Religion" 3-181, 2. "Offenbarung" 227-402, 3. "Erlösung" 427-627 und 4. "Kirche" 657-844, verbunden mit drei "Zwischenreflexionen" und einer Schlußreflexion": 1. "Glaube und Vernunft"" (185-224), 2. "Die Sprache des Glaubens" (zum Bilderverbot; 405-423), 3. "Glaube und Sinn" (631-653) und 4. "Endgültigkeit und Vorläufigkeit" (847-866). Am Ende des Ganzen steht ein umfangreiches und aktuelles Literaturverzeichnis sowie ein Personenregister.

In den Streitfällen geht es darum, auf Grund von Religions- und Kirchenkritik den christlichen Glauben zur Selbstprüfung zu bringen, so dass er sich "vernünftig verantworten" lässt (Klappentext). Als Ziel der Fundamentaltheologie betrachtet es W., "die Unbeliebigkeit der Glaubensoption nach den Maßstäben wissenschaftlicher Rationalität wenn schon nicht zwingend zu erweisen, so doch als in irgendeinem Sinne vernünftig nachvollziehbar aufzuweisen" (190). Es geht also darum, angesichts der Kritik sich und anderen Rechenschaft zu geben über den Glauben als "vernünftiges Wagnis" (174, bezogen auf eine "nicht-beliebige Option" 197). Für W. schließt dies Streifzüge in den Kern des christlichen Dogmas mit ein, z. B. die Frage nach dem Sühnetod Jesu oder dem Wesen der Kirche. Es endet bei der Frage nach dem Lehramt, so dass das Buch einen sehr weiten Bogen spannt von der Gretchenfrage "Wie hältst Du's mit Religion und mit Gott?" (3 ff.7 ff.) zu der letzten, weniger ultimativen Frage "Wie hältst Du es mit dem Papst?" (847- 863). Dieser Bogen führt somit von der lebensweltlichen zur kirchlichen Brisanz, orientiert sich aber stets an der Wahrheitsfrage. Er umfasst ein weites Land, das sich in fundamentaltheologischer Perspektive auf die Tiefendimension dogmatischer Fragen einlässt. Dass dabei nicht von einem dezidiert philosophischen Programm aus argumentiert wird, sondern das biblische Zeugnis - dezidiert auch des Alten Testaments (z. B. zum Bilderverbot) - weitläufig Berücksichtigung findet (leider gibt es kein Bibelstellenregister), macht - etwa im Unterschied zu H. Verweyens Entwurf (1991) - das Profil von W.s Buch aus (das sich übrigens eher bescheiden als "ein" neues Standardwerk seiner Art versteht). Die Wahrheitsfrage will er nicht apodiktisch oder mittels Letztbegründung beantworten (cf. 203 ff. u. 625 f. Anm. 71), sondern in nachdrücklichem Werben für den positiven Sinn von Religion. Es gehe durchaus darum zu zeigen, dass man mit Religion etwas anfangen kann (4), um so die "Glaubwürdigkeit des Christlichen mit guten Gründen zu erweisen" (XV). Fundamentaltheologie hat also mit Apologetik zu tun, wobei sich die apologetische Situation verschoben habe: Die Nützlichkeitsfrage wird der Wahrheitsfrage weithin vorgeordnet (5); wenn sich die Fundamentaltheologie diesem neuen Fragehorizont anpasst, sollte sie "wissen, was sie tut" (ebd.). Luther habe seinerzeit nicht dargelegt, "wofür es gut ist, einen Gott zu haben", sondern, "was es bedeutet, an den einzigen und wahren Gott zu glauben" (8). Durch Nietzsche tritt eine "Zuspitzung der apologetischen Situation" ein (9), die W. in seinem Buch unablässig und weitläufig ernst nimmt. Die Versuchung, Nietzsche im Sinn christlich-postmoderner Exegese aufs eigene Ufer umzuladen, kommt ihm glücklicherweise nicht in den Sinn. Die Herausforderung seiner Radikalkritik wird sehr präzise beschrieben ("Was es heißt, keinen Gott zu haben" 21-37). Nietzsche wird - über die vielen Seiten hinaus, wo sein Name fällt (vgl. 887) - zum Souffleur kritischer Anfragen, der das ganze Werk begleitet. Dahinter steht die (m. E. richtige) implizite These, dass die Religionskritik über ihn hinaus nichts Originelleres, Schärferes, Beachtenswerteres mehr gesagt hat: Seine "religionskritischen Argumentationslinien sind nach wie vor die Frontlinien der Auseinandersetzung um Religion" (35). Die These vom Tod Gottes - begriffen als menschheitsgeschichtliche Tat - befreit nach Nietzsche vom "Widerspruch des Lebens", von der Vergöttlichung des Nihilismus, zur Treue zur Erde (21 f.). Im Gegenüber zu Nietzsches Projekt will Fundamentaltheologie im Sinne W.s "einen gut begründeten Konsens herstellen darüber, daß es für den Menschen gut ist zu glauben" (56 f.). Die dialektische Verknüpfung von Wahrheits- und Nützlichkeitsfrage wird durchaus im Sinne Nietzsches aufgegriffen (das Wahre muss gut und lebensdienlich sein). Aber gegen den prominenten Künder des Todes Gottes versucht W. die "Vorteilhaftigkeit der Option christlicher Glaube" (57) zu verdeutlichen, gegen jede reduktive Wahrnehmung des Christentums ("nur als ..."); er will "Gott und die Güte menschlichen Lebens in einen erhellenden, argumentativ nachvollziehbaren Zusammenhang" bringen (77 f.).

Dies geschieht durch das anthropologische Phänomen des "Versprechens", durch dessen Bejahung der Mensch das - sein!- Leben als Geschenk statt als Zumutung begreifen kann. Im Versprechen hat die Pascalsche Wette (78 f. cf. 174 ff.) ihre Vertrauensbasis, so dass es sich nicht um eine beliebige, sondern eine rational verantwortbare Option handelt. "Verantwortbarkeit meint hier nicht Absicherung durch Beweise, sondern kritische Explikation des Versprechens, dem sich die Glaubenden im Bereich des Christlichen mit ihrer Wette anvertrauen." (79) Damit ist zugleich das Gesamtprojekt der Fundamentaltheologie W.s angezeigt: Die christliche Wahrheit gilt es, als Wahrheit in Beziehung auszulegen und plausibel zu machen. Die Gottesbeziehung des Menschen ist Ort der Wahrheit und seines "Wahrwerdens", an dem der Mensch nicht "entselbstet" (Nietzsche), sondern zur Suche nach dem eigenen "Gutsein" angespornt werden soll (ebd.). Trotz der Heiligkeit (81 ff.91 ff.) und Andersheit Gottes (95 ff. cf. 124 ff.; Lévinas) bleibt der "Gott-in-Beziehung", seine "Pro-Existenz" (H. Peukert) für W. maßgeblich, vermittelt durch Erwählung und Forderung (90 ff.), wobei hier der alttestamentliche Hintergrund bestimmend bleibt. Dies führt bis zum Gedanken der "Anerkennung des Anderen als des Ursprungs meiner Freiheit", so dass Gott gerade als "Gegeninstanz zum Traum von menschlicher Unbedingtheit und Selbsterlösung" erkennbar wird (118 f. cf. 152.168).

Der Offenbarungsbegriff wird vor allem in Auseinandersetzung mit Deismus, Spinoza, Leibniz und Lessing diskutiert; am Ende war Religion nicht mehr unter Berufung auf "äußerliche Offenbarung" begründbar (252, Fichte). Durch Troeltsch wurde das supranaturale Offenbarungsverständnis beendigt (257 ff.), durch Hegel der Begriff der Selbstoffenbarung zum Angelpunkt (282 ff.330), bei K. Barth diese an die Souveränität des Vaters geknüpft (291). Für W. besteht darin der "offenbarungstheologische Grund-Satz", dass Offenbarung bestimmt sei durch die übernatürliche Erschließung des Wortes Gottes, "das sich der Mensch nicht selber sagen könne" (295). Offenbarung sei zwar rational einholbar, aber nicht ableitbar (296) oder verfügbar (310). W. löst das Paradox Kierkegaards (Offenbarung des Absoluten in geschichtlicher Kontingenz) pneumatologisch: durch den Geist wird Gottes ewige Offenbarung geschichtliches Zeugnis (353 ff.). Die Absolutheit der christlichen Offenbarung wird durch die Unbegreiflichkeit des unendlichen Gottes (Gregor v. Nyssa cf. 373 f.; Johannes Damascenus 378, Cusanus 406; zum "wahrhaft Unendlichen" Hegels cf. 624) ebenso hinterfragt wie von pluralistischen Religionskonzepten (Panikkar; Hick) und der postmodernen These einer "transversalen Vernunft" (376 ff. zit. 380; W. Welsch). Im Blick auf Gott ist Absolutheit eine zutiefst zwiespältige Kategorie (368), weil es zugleich das Höchste des Denkens (Anselm) wie das unaufhebbare Ende der Denkmöglichkeit markiert (Schelling, cf. 400 f.; vgl. auch 606 ff. - wobei Ende Abbruch oder Zur-Ruhe-Kommen bedeuten kann). Es kann nicht im Blick auf Selbstverwirklichung angeeignet und verwertet werden (Lévinas, 368 f.), Gott bleibt auch in seiner Offenbarung Geheimnis (gegen Feuerbach, 373 cf. 370), ein Geheimnis, das sich nach W. jedoch konkret manifestiert im Versprechen, das die Vernunft sich nicht selber geben kann (372 f.).

Der "Streitfall Erlösung" (427 ff.) zeigt, dass die "Glaubwürdigkeitskrise" des Christlichen eminent soteriologisch bedingt ist (u. a. zu Anselm 437 ff., Nietzsche 460 ff.). Lösegeld- und Sühnopfertheologie werden eingehend diskutiert. Jesu Tod als Opfer (541 ff.) zeige die Freiheit Gottes als Überwindung der "Logik der Selbstbehauptung" (624).

Im "Streitfall Kirche" (657 ff.) wird protestantische Kirchenkritik ebenso berücksichtigt wie atheistische. Ihre "theologisch bedeutsamste Ausprägung" finde sie bei Kierkegaard (673-678; vgl. Nietzsche: Kirche als "Carikatur" und "der organisierte Krieg gegen das Christenthum" 682). Noch nicht im Blick auf die pneumatologische Begründung der Kirche (die also nicht abstrakt bei der Stiftung Jesu anhebt, cf. 710 f. und - zu A. Loisy - 688 f.), wohl aber im Blick auf die hierarchische Struktur und Ämterlehre berücksichtigt W. die spezifisch katholische Diskussionslage, wie sie durch die beiden Vatikanischen Konzilien begründet ist. Nachdem sich Christentumskritik vorrangig als Institutionenkritik formiert und in Szene setzt, ist die weitläufige Behandlung dieses Problemkreises - intern wie extern "Streitfall" par excellence - durchaus gerechtfertigt, so dass W.s Fundamentaltheologie mit Überlegungen zur Verhältnisbestimmung von geistlichem und akademischem Lehramt innerhalb der communio der Kirche endet. Dabei wirbt der Vf. für ein fruchtbares Zusammenspiel der "Identifikationsorte des Katholischen" als Zeugnisträgerschaften (loci: Schrift und Tradition, Kirchenväter, Konzilien, Katholische Kirche). Dieses Kapitel mag der evangelische Leser entweder hochnäsig überblättern (im satten Bewusstsein von Suffizienz und Einheit der protestantischen Prinzipien) oder mit Wehmut daran denken, dass ein explizites Lehramt in dieser Form - noch vor aller Streitbarkeit - bei ihm gar nicht zur Debatte steht: Fehlanzeige. So schließt sich der Bogen für W. in der Frage nach dem legitimen Schutz der "Identität des Christlichen" (866) durch ein lehramtliches Wächteramt, das offen bleibt für die geschichtliche Entwicklung der Selbstauslegung des Christentums.

Fazit: W.s Buch umspannt ein weites Feld, ist nicht nur umfassend, sondern mit 888 Seiten auch ziemlich umfangreich. Es wirkt sehr ausgereift und historisch trittsicher, mit profunden Analysen z. B. zum Begriff des Absoluten und zur Opferproblematik, natürlich auch mit gewissen Vorlieben (z. B. Schelling/Kierkegaard vs. Hegel). Tippfehler sind selten (703: Jer 7, nicht 6). Die Sprache ist mitunter etwas blumig, aber gerade daraus resultiert eine sehr gute Lesbarkeit des nirgendwo spröde oder abgestanden akademisch wirkenden Opus. Anhand des umfassenden Inhaltsregisters sind auch abschnittsweise Lektüren gut möglich, wenngleich ein Sachregister leider fehlt.

Insgesamt stellt das erschwingliche Werk eine wirklich beachtliche Bereicherung des theologischen Buchmarktes dar und ist die beste Fundamentaltheologie, die mir bislang untergekommen ist. Ein Werk, das im Gespräch mit Religions- und Kirchenkritik über theologische Tagesscharmützel hinaus seinen dauerhaften Wert behalten wird. Seine Stärke liegt darin, Religionskritik nicht vorweg "abzufertigen", sondern als ständigen Gesprächspartner einzubeziehen. Anschaffung und Lektüre können so auch dem evangelischen Leser ohne Vorbehalt empfohlen werden, da es aus keiner röm.-kath. Binnenperspektive heraus geschrieben ist.